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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Akademisches Studium und allgemeine Bildung

Am schärfsten stoßen diese Gegensätze in der philosophischen Fakultät zu¬
sammen, und man könnte geradezu sagen, bei der ganzen Frage handele es
sich schließlich um die Stellung und Bedeutung der philosophischen Fakultät
in dem Organismus der Universitäten. Beide find gegen früher beträchtlich
geändert, namentlich weil der Netrieb der akademischen Studien nicht bloß
gegen die alten Zeiten, sondern auch gegen das, was noch vor wenigen Jahr¬
zehnten darin üblich war, eine tiefgehende Wandlung erfahren hat.

Alter akademischer Brauch setzte bekanntlich die philosophische Fakultät aw
die untere den drei ander" als den oberen entgegen. Mangelhafte Kenntnis
der Anfänge der Universitäten hat eine sehr unberechtigte Deutung dieser Be¬
zeichnung verschuldet. Auch der große Denker, den die Albertina mit Stolz
den ihren nennen darf, hat sie gelten lassen und dnrch seine Schrift über den
"Streit der Fakultäten" weiter verbreitet. Jene Rangordnung soll nämlich
bestimmt sein dnrch das Verhältnis der von den Fakultäten vertretenen Wissen¬
schaften zum Staate, insofern diejenigen Wissenschaften, an denen der Staat
ein besondres Interesse hat, weil ihre Lehren auf das praktische Leben Einfluß
üben, und die deshalb rücksichtlich ihrer Lehre von ihm abhängig sind, eine
losere Stellung einnehmen als die, welche von der Staatsgewalt völlig unab¬
hängig sein müssen, weil sie ihrem Wesen nach für ihre Lehre unbedingte
Freiheit fordern, sodaß sie durch staatliche Vorschriften beeinflussen ihr Dasein
überhaupt vernichten hieße. Weil Theologie, Jurisprudenz und Medizin dein
Staate nützen, indem sie ihm die für Erfüllung heikler Pflichten nötigen Ge¬
hilfen oder, wie Kant sagt, "Geschäftsführer des ewigen, des bürgerlichen
und des leiblichem Wohls der Meuschen," d. h. Geistliche, Richter und Ärzte
bilden, sollen sie für ihn wichtiger sein als die -- reine Geisteswissenschaft
pflegende -- philosophische Fakultät, obgleich diese doch eigentlich die von
jenen behandelten Wissenschaften mit in de" Kreis ihrer Betrachtung zieht,
nur daß sie kritisch behandelt, was jene positiv lehren, und so den Gegensatz
erneut, der zwischen rationaler Wissenschaft und positiver, zwischen theoretischer
und praktischer, zwischen Kritik und Satzung nun einmal besteht. Hier ent¬
springt der Streit der Fakultäten; rechtmäßig aber ist er nach Knut nur so
lauge, als die wissenschaftliche Begründung der Glaubens- und Rechtslehren
kritisch geprüft wird. Bestehen sie dabei uicht, so gilt es, sie umzubilden und
zu verbessern; der Streit der Fakultäten führt also dank der Philosophie zu
einer praktischen Reform. Dadurch aber ist das angebliche Rangverhültnis
der Fakultäten unter einander thatsächlich völlig verändert, und im Hinblick auf
die mittelalterliche Bezeichnung der Philosophie als der "Magd der Theologie"
kann Kant treffend bemerken, es frage sich nur, ob diese Dienerin der gnädigen
Fran die Schleppe nach- oder die Fackel vvrantrage.")



*) Vgl. K. Fischer, Geschichte der imicren Philosophie Bd. IV, S, 512 sf.
Akademisches Studium und allgemeine Bildung

Am schärfsten stoßen diese Gegensätze in der philosophischen Fakultät zu¬
sammen, und man könnte geradezu sagen, bei der ganzen Frage handele es
sich schließlich um die Stellung und Bedeutung der philosophischen Fakultät
in dem Organismus der Universitäten. Beide find gegen früher beträchtlich
geändert, namentlich weil der Netrieb der akademischen Studien nicht bloß
gegen die alten Zeiten, sondern auch gegen das, was noch vor wenigen Jahr¬
zehnten darin üblich war, eine tiefgehende Wandlung erfahren hat.

Alter akademischer Brauch setzte bekanntlich die philosophische Fakultät aw
die untere den drei ander» als den oberen entgegen. Mangelhafte Kenntnis
der Anfänge der Universitäten hat eine sehr unberechtigte Deutung dieser Be¬
zeichnung verschuldet. Auch der große Denker, den die Albertina mit Stolz
den ihren nennen darf, hat sie gelten lassen und dnrch seine Schrift über den
„Streit der Fakultäten" weiter verbreitet. Jene Rangordnung soll nämlich
bestimmt sein dnrch das Verhältnis der von den Fakultäten vertretenen Wissen¬
schaften zum Staate, insofern diejenigen Wissenschaften, an denen der Staat
ein besondres Interesse hat, weil ihre Lehren auf das praktische Leben Einfluß
üben, und die deshalb rücksichtlich ihrer Lehre von ihm abhängig sind, eine
losere Stellung einnehmen als die, welche von der Staatsgewalt völlig unab¬
hängig sein müssen, weil sie ihrem Wesen nach für ihre Lehre unbedingte
Freiheit fordern, sodaß sie durch staatliche Vorschriften beeinflussen ihr Dasein
überhaupt vernichten hieße. Weil Theologie, Jurisprudenz und Medizin dein
Staate nützen, indem sie ihm die für Erfüllung heikler Pflichten nötigen Ge¬
hilfen oder, wie Kant sagt, „Geschäftsführer des ewigen, des bürgerlichen
und des leiblichem Wohls der Meuschen," d. h. Geistliche, Richter und Ärzte
bilden, sollen sie für ihn wichtiger sein als die — reine Geisteswissenschaft
pflegende — philosophische Fakultät, obgleich diese doch eigentlich die von
jenen behandelten Wissenschaften mit in de» Kreis ihrer Betrachtung zieht,
nur daß sie kritisch behandelt, was jene positiv lehren, und so den Gegensatz
erneut, der zwischen rationaler Wissenschaft und positiver, zwischen theoretischer
und praktischer, zwischen Kritik und Satzung nun einmal besteht. Hier ent¬
springt der Streit der Fakultäten; rechtmäßig aber ist er nach Knut nur so
lauge, als die wissenschaftliche Begründung der Glaubens- und Rechtslehren
kritisch geprüft wird. Bestehen sie dabei uicht, so gilt es, sie umzubilden und
zu verbessern; der Streit der Fakultäten führt also dank der Philosophie zu
einer praktischen Reform. Dadurch aber ist das angebliche Rangverhültnis
der Fakultäten unter einander thatsächlich völlig verändert, und im Hinblick auf
die mittelalterliche Bezeichnung der Philosophie als der „Magd der Theologie"
kann Kant treffend bemerken, es frage sich nur, ob diese Dienerin der gnädigen
Fran die Schleppe nach- oder die Fackel vvrantrage.")



*) Vgl. K. Fischer, Geschichte der imicren Philosophie Bd. IV, S, 512 sf.
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[0222] Akademisches Studium und allgemeine Bildung Am schärfsten stoßen diese Gegensätze in der philosophischen Fakultät zu¬ sammen, und man könnte geradezu sagen, bei der ganzen Frage handele es sich schließlich um die Stellung und Bedeutung der philosophischen Fakultät in dem Organismus der Universitäten. Beide find gegen früher beträchtlich geändert, namentlich weil der Netrieb der akademischen Studien nicht bloß gegen die alten Zeiten, sondern auch gegen das, was noch vor wenigen Jahr¬ zehnten darin üblich war, eine tiefgehende Wandlung erfahren hat. Alter akademischer Brauch setzte bekanntlich die philosophische Fakultät aw die untere den drei ander» als den oberen entgegen. Mangelhafte Kenntnis der Anfänge der Universitäten hat eine sehr unberechtigte Deutung dieser Be¬ zeichnung verschuldet. Auch der große Denker, den die Albertina mit Stolz den ihren nennen darf, hat sie gelten lassen und dnrch seine Schrift über den „Streit der Fakultäten" weiter verbreitet. Jene Rangordnung soll nämlich bestimmt sein dnrch das Verhältnis der von den Fakultäten vertretenen Wissen¬ schaften zum Staate, insofern diejenigen Wissenschaften, an denen der Staat ein besondres Interesse hat, weil ihre Lehren auf das praktische Leben Einfluß üben, und die deshalb rücksichtlich ihrer Lehre von ihm abhängig sind, eine losere Stellung einnehmen als die, welche von der Staatsgewalt völlig unab¬ hängig sein müssen, weil sie ihrem Wesen nach für ihre Lehre unbedingte Freiheit fordern, sodaß sie durch staatliche Vorschriften beeinflussen ihr Dasein überhaupt vernichten hieße. Weil Theologie, Jurisprudenz und Medizin dein Staate nützen, indem sie ihm die für Erfüllung heikler Pflichten nötigen Ge¬ hilfen oder, wie Kant sagt, „Geschäftsführer des ewigen, des bürgerlichen und des leiblichem Wohls der Meuschen," d. h. Geistliche, Richter und Ärzte bilden, sollen sie für ihn wichtiger sein als die — reine Geisteswissenschaft pflegende — philosophische Fakultät, obgleich diese doch eigentlich die von jenen behandelten Wissenschaften mit in de» Kreis ihrer Betrachtung zieht, nur daß sie kritisch behandelt, was jene positiv lehren, und so den Gegensatz erneut, der zwischen rationaler Wissenschaft und positiver, zwischen theoretischer und praktischer, zwischen Kritik und Satzung nun einmal besteht. Hier ent¬ springt der Streit der Fakultäten; rechtmäßig aber ist er nach Knut nur so lauge, als die wissenschaftliche Begründung der Glaubens- und Rechtslehren kritisch geprüft wird. Bestehen sie dabei uicht, so gilt es, sie umzubilden und zu verbessern; der Streit der Fakultäten führt also dank der Philosophie zu einer praktischen Reform. Dadurch aber ist das angebliche Rangverhültnis der Fakultäten unter einander thatsächlich völlig verändert, und im Hinblick auf die mittelalterliche Bezeichnung der Philosophie als der „Magd der Theologie" kann Kant treffend bemerken, es frage sich nur, ob diese Dienerin der gnädigen Fran die Schleppe nach- oder die Fackel vvrantrage.") *) Vgl. K. Fischer, Geschichte der imicren Philosophie Bd. IV, S, 512 sf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/222>, abgerufen am 05.02.2025.