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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das Anwachsen der Großstädte

Jahre 1875 erst jeder '24., im Jahre 1871 jeder 28. Baier. Die Zunahme
der Einwohnerzahl von München steht daher in sehr ähnlichem Verhältnisse
wie die von Berlin.

Dresdens Einwohnerzahl stieg von 177 055 im Jahre 1871 ans 246000
im Jahre 1885, mithin um mehr als ein Drittel in 14 Jahren; gegenüber
einer Gesamtbevölkerung des sächsischen Staates von 3182003 Einwohnern war
bereits jeder 13. Sachse ein Dresdner. Die Einwohnerzahl dieser Stadt steht
also gegenüber der des Landes in einem noch höheren Prozentverhältnis als
die von Berlin und München.

Leipzig hat in diesen 14 Jahren sogar mehr als um die Hälfte an Ein¬
wohnerzahl zugenommen.

Betrachten wir einige andere europäische Großstädte, so zeigt allerdings
vor allem London weit bedenklichere Verhältniszahlen, indem dort die neueste
Zahlung eine Einwohnerzahl von 4944000 gegenüber 35241482 Bewohnern
des vereinigten Königreiches ausweist, 14 Prozent aller Briten mithin in London
wohnen und schou jeder 7. Brite ein Londoner ist, während im Jahre 1840
erst jeder 15. Brite in London wohnte.

Paris mit 2344000 Einwohnern gegenüber einer französischen Gesamt-
bevölkerung von 38218903 beherbergt 6,13 Prozent aller Franzosen, und
jeder 16. Franzose ist ein Pariser, was im Jahre 1840 erst jeder 35. Fran¬
zose war.

Wien hatte nach der Zählung von 1880 mit den Vororten 1104000 Ein¬
wohner, die österreichisch-ungarische Monarchie deren 37 882712. Hier war
erst jeder 34. Österreicher ein Wiener, wobei allerdings in die Wagschale fällt,
daß die ungarische Reichshälfte eine besondere Hauptstadt in Ofen-Pesth hat.

Haben auch die deutschen Großstädte noch lange nicht die riesenmäßige
und naturwidrige Ausdehnung von London nud Paris, so ist doch die oben
erwähnte Verdoppelung der Einwohnerzahl sämtlicher deutschen Großstädte
(von 100000 Einwohnern und mehr) unterhalb 14 Jahren, während sich die
Bevölkerung des platten Landes in Deutschland von 63,9 Prozent im Jahre
1871 ans 56,3 Prozent im Jahre 1885 vermindert hat, die Mittel- und Klein¬
städte aber fast stehen geblieben sind, ein warnendes Zeichen, wie sehr auch bei
uns die Bevölkerung bestrebt ist, sich in den Großstädten anzuhäufen und wie
das platte Laud immer mehr entvölkert wird.

Nun hat ja jede Großstadt unverkennbar eine Reihe von allgemeinen
Einrichtungen für das leibliche und geistige Wohl ihrer Einwohner, wie z. B.
Wasserleitungen, Straßenbeleuchtung, Kanäle. Markthallen, Schlachthäuser,
Schulen der verschiedensten Art, Belehrnngs-, Erbauungs-, Unterhaltungs- und
Knnstaustnlten, Krankenhäuser, Armenanstalten, Spitäler, Verkehrsanstalten?e.
wie sie in kleineren Städten oder ans dem Lande nicht oder doch lange nicht
so vollkommen getroffen werden. Die Weltstädte nennt daher W H. nicht


Das Anwachsen der Großstädte

Jahre 1875 erst jeder '24., im Jahre 1871 jeder 28. Baier. Die Zunahme
der Einwohnerzahl von München steht daher in sehr ähnlichem Verhältnisse
wie die von Berlin.

Dresdens Einwohnerzahl stieg von 177 055 im Jahre 1871 ans 246000
im Jahre 1885, mithin um mehr als ein Drittel in 14 Jahren; gegenüber
einer Gesamtbevölkerung des sächsischen Staates von 3182003 Einwohnern war
bereits jeder 13. Sachse ein Dresdner. Die Einwohnerzahl dieser Stadt steht
also gegenüber der des Landes in einem noch höheren Prozentverhältnis als
die von Berlin und München.

Leipzig hat in diesen 14 Jahren sogar mehr als um die Hälfte an Ein¬
wohnerzahl zugenommen.

Betrachten wir einige andere europäische Großstädte, so zeigt allerdings
vor allem London weit bedenklichere Verhältniszahlen, indem dort die neueste
Zahlung eine Einwohnerzahl von 4944000 gegenüber 35241482 Bewohnern
des vereinigten Königreiches ausweist, 14 Prozent aller Briten mithin in London
wohnen und schou jeder 7. Brite ein Londoner ist, während im Jahre 1840
erst jeder 15. Brite in London wohnte.

Paris mit 2344000 Einwohnern gegenüber einer französischen Gesamt-
bevölkerung von 38218903 beherbergt 6,13 Prozent aller Franzosen, und
jeder 16. Franzose ist ein Pariser, was im Jahre 1840 erst jeder 35. Fran¬
zose war.

Wien hatte nach der Zählung von 1880 mit den Vororten 1104000 Ein¬
wohner, die österreichisch-ungarische Monarchie deren 37 882712. Hier war
erst jeder 34. Österreicher ein Wiener, wobei allerdings in die Wagschale fällt,
daß die ungarische Reichshälfte eine besondere Hauptstadt in Ofen-Pesth hat.

Haben auch die deutschen Großstädte noch lange nicht die riesenmäßige
und naturwidrige Ausdehnung von London nud Paris, so ist doch die oben
erwähnte Verdoppelung der Einwohnerzahl sämtlicher deutschen Großstädte
(von 100000 Einwohnern und mehr) unterhalb 14 Jahren, während sich die
Bevölkerung des platten Landes in Deutschland von 63,9 Prozent im Jahre
1871 ans 56,3 Prozent im Jahre 1885 vermindert hat, die Mittel- und Klein¬
städte aber fast stehen geblieben sind, ein warnendes Zeichen, wie sehr auch bei
uns die Bevölkerung bestrebt ist, sich in den Großstädten anzuhäufen und wie
das platte Laud immer mehr entvölkert wird.

Nun hat ja jede Großstadt unverkennbar eine Reihe von allgemeinen
Einrichtungen für das leibliche und geistige Wohl ihrer Einwohner, wie z. B.
Wasserleitungen, Straßenbeleuchtung, Kanäle. Markthallen, Schlachthäuser,
Schulen der verschiedensten Art, Belehrnngs-, Erbauungs-, Unterhaltungs- und
Knnstaustnlten, Krankenhäuser, Armenanstalten, Spitäler, Verkehrsanstalten?e.
wie sie in kleineren Städten oder ans dem Lande nicht oder doch lange nicht
so vollkommen getroffen werden. Die Weltstädte nennt daher W H. nicht


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[0215] Das Anwachsen der Großstädte Jahre 1875 erst jeder '24., im Jahre 1871 jeder 28. Baier. Die Zunahme der Einwohnerzahl von München steht daher in sehr ähnlichem Verhältnisse wie die von Berlin. Dresdens Einwohnerzahl stieg von 177 055 im Jahre 1871 ans 246000 im Jahre 1885, mithin um mehr als ein Drittel in 14 Jahren; gegenüber einer Gesamtbevölkerung des sächsischen Staates von 3182003 Einwohnern war bereits jeder 13. Sachse ein Dresdner. Die Einwohnerzahl dieser Stadt steht also gegenüber der des Landes in einem noch höheren Prozentverhältnis als die von Berlin und München. Leipzig hat in diesen 14 Jahren sogar mehr als um die Hälfte an Ein¬ wohnerzahl zugenommen. Betrachten wir einige andere europäische Großstädte, so zeigt allerdings vor allem London weit bedenklichere Verhältniszahlen, indem dort die neueste Zahlung eine Einwohnerzahl von 4944000 gegenüber 35241482 Bewohnern des vereinigten Königreiches ausweist, 14 Prozent aller Briten mithin in London wohnen und schou jeder 7. Brite ein Londoner ist, während im Jahre 1840 erst jeder 15. Brite in London wohnte. Paris mit 2344000 Einwohnern gegenüber einer französischen Gesamt- bevölkerung von 38218903 beherbergt 6,13 Prozent aller Franzosen, und jeder 16. Franzose ist ein Pariser, was im Jahre 1840 erst jeder 35. Fran¬ zose war. Wien hatte nach der Zählung von 1880 mit den Vororten 1104000 Ein¬ wohner, die österreichisch-ungarische Monarchie deren 37 882712. Hier war erst jeder 34. Österreicher ein Wiener, wobei allerdings in die Wagschale fällt, daß die ungarische Reichshälfte eine besondere Hauptstadt in Ofen-Pesth hat. Haben auch die deutschen Großstädte noch lange nicht die riesenmäßige und naturwidrige Ausdehnung von London nud Paris, so ist doch die oben erwähnte Verdoppelung der Einwohnerzahl sämtlicher deutschen Großstädte (von 100000 Einwohnern und mehr) unterhalb 14 Jahren, während sich die Bevölkerung des platten Landes in Deutschland von 63,9 Prozent im Jahre 1871 ans 56,3 Prozent im Jahre 1885 vermindert hat, die Mittel- und Klein¬ städte aber fast stehen geblieben sind, ein warnendes Zeichen, wie sehr auch bei uns die Bevölkerung bestrebt ist, sich in den Großstädten anzuhäufen und wie das platte Laud immer mehr entvölkert wird. Nun hat ja jede Großstadt unverkennbar eine Reihe von allgemeinen Einrichtungen für das leibliche und geistige Wohl ihrer Einwohner, wie z. B. Wasserleitungen, Straßenbeleuchtung, Kanäle. Markthallen, Schlachthäuser, Schulen der verschiedensten Art, Belehrnngs-, Erbauungs-, Unterhaltungs- und Knnstaustnlten, Krankenhäuser, Armenanstalten, Spitäler, Verkehrsanstalten?e. wie sie in kleineren Städten oder ans dem Lande nicht oder doch lange nicht so vollkommen getroffen werden. Die Weltstädte nennt daher W H. nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/215>, abgerufen am 05.02.2025.