Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.wiener Litteratur Alle diese Menschen sind in ihrer humoristischen Beleuchtung so lebensvoll Ans derselben Gesinnung ist die zweite, kürzere, aber poesiereiche Novelle Dieses erhabne Bild, worin der höchste Schmerz durch Schönheit ge¬ Den Schluß des Buches füllen zwei muntere, feine Kleinigkeiten von echt wiener Litteratur Alle diese Menschen sind in ihrer humoristischen Beleuchtung so lebensvoll Ans derselben Gesinnung ist die zweite, kürzere, aber poesiereiche Novelle Dieses erhabne Bild, worin der höchste Schmerz durch Schönheit ge¬ Den Schluß des Buches füllen zwei muntere, feine Kleinigkeiten von echt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204917"/> <fw type="header" place="top"> wiener Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_448" prev="#ID_447"> Alle diese Menschen sind in ihrer humoristischen Beleuchtung so lebensvoll<lb/> geschaffen, als wären sie der letzte Zweck der Erzählung. Ebenso gelungen<lb/> ist das Bild der Bretfeldischen Familie, und das Meisterstück ist die Baronin<lb/> Karoline, der Philosoph, der selbst eine poetische Gestalt werden mußte. Echt<lb/> Wiener Kolorit umhüllt die ganze Erzählung.</p><lb/> <p xml:id="ID_449"> Ans derselben Gesinnung ist die zweite, kürzere, aber poesiereiche Novelle<lb/> des Buches: „Ein Traum" entstanden. Die Gräfin v. T. hat das denkbar<lb/> größte Leid erfahren, das eine Mutter erfahren kann: sie hat ihren Sohn ver¬<lb/> loren, ihre zwei Enkelsöhne, und deren Mutter ist zu Paris verdorben. Der<lb/> sittliche Untergang der letztern hat den Tod des Mannes zur Folge gehabt;<lb/> der eine Enkelsohn, ein hoffnungsvoller Maler, ist im Duell gefallen, das er<lb/> herausgefordert hatte, weil die Ehre seiner Mutter angegriffen worden war.<lb/> Er wußte uicht, daß nichts zu retten war. Der andre ist auf einer Gemsjagd<lb/> gefallen. Die alte Gräfin, eine Greisin von fast überirdischer Schönheit, hat<lb/> alles das erleben und überleben müssen. Aber das Schicksal hat Erbarmen,<lb/> die Gräfin ist zeitweilig geistesabwesend, sie führt stundenweise ein Traum¬<lb/> leben, sie verliert da ihr Gedächtnis, und dann geht sie nachtwandlerisch im<lb/> Schlosse, das einsam in einer fruchtbaren Gegend Mährens gelegen ist, einher<lb/> und erwartet die Wiederkehr ihrer Kinder. Zur Abendstunde muß das Schloß<lb/> taghell beleuchtet sein, damit sie nicht, wie es einmal geschehen ist, von den An¬<lb/> kommenden überrascht werde. Vormittags pflegt die Gräfin bei klaren Sinnen<lb/> zu sein und dann schwermütig zur Schloßkapelle zu wandern, um an der Gruft<lb/> ihrer Kinder zu beten. Gegen ihre Diener und Nachbarn ist sie von der<lb/> thätigsten Liebe erfüllt, und man verehrt sie scheu, da der Arzt sie doch uicht für<lb/> geisteskrank hat erklären wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_450"> Dieses erhabne Bild, worin der höchste Schmerz durch Schönheit ge¬<lb/> bändigt erscheint, ist in kunstvoller Weise dargestellt. Ein Maler, den schlechtes<lb/> Wetter und Festgeber zufällig ins Schloß verschlagen haben, erzählt die Ge¬<lb/> schichte. Er hat das richtige Auge für die Greisenschönheit, für die traumhafte<lb/> Stimmung, er ist als Künstler mehr begabt, über die tragische Gestalt zu<lb/> urteile», als der junge Jrrenarzt, den die Verwandten der Gräfin zum stän¬<lb/> digen Begleiter der Kranken gemietet haben, und der in seiner jugendlichen<lb/> Ungeduld als Gelehrter sich bei dem einfachen Fall langweilt. Der Arzt fühlt sich<lb/> überflüssig und wird durch den Zwang seiner Stellung sogar sehr unliebens-<lb/> würdig : ein vorzüglicher Gegensatz zu dem Maler, der voller Teilnahme zwölf<lb/> Stunden im Schlosse der Gräfin verbringt.</p><lb/> <p xml:id="ID_451"> Den Schluß des Buches füllen zwei muntere, feine Kleinigkeiten von echt<lb/> wienerischer Färbung, „Der Muff," worin sich die Dichterin selber in ihrem<lb/> Verkehr mit ihrem Mann, dem Geueral a. D. Ebner-Eschenbach zeichnet;<lb/> dann „Die Kapitastinen," eine Humoreske, die wohl mit der ältere» berühmt<lb/> gewordnen „Die Freiherren von Gemperlein" den Vergleich aufhält.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0186]
wiener Litteratur
Alle diese Menschen sind in ihrer humoristischen Beleuchtung so lebensvoll
geschaffen, als wären sie der letzte Zweck der Erzählung. Ebenso gelungen
ist das Bild der Bretfeldischen Familie, und das Meisterstück ist die Baronin
Karoline, der Philosoph, der selbst eine poetische Gestalt werden mußte. Echt
Wiener Kolorit umhüllt die ganze Erzählung.
Ans derselben Gesinnung ist die zweite, kürzere, aber poesiereiche Novelle
des Buches: „Ein Traum" entstanden. Die Gräfin v. T. hat das denkbar
größte Leid erfahren, das eine Mutter erfahren kann: sie hat ihren Sohn ver¬
loren, ihre zwei Enkelsöhne, und deren Mutter ist zu Paris verdorben. Der
sittliche Untergang der letztern hat den Tod des Mannes zur Folge gehabt;
der eine Enkelsohn, ein hoffnungsvoller Maler, ist im Duell gefallen, das er
herausgefordert hatte, weil die Ehre seiner Mutter angegriffen worden war.
Er wußte uicht, daß nichts zu retten war. Der andre ist auf einer Gemsjagd
gefallen. Die alte Gräfin, eine Greisin von fast überirdischer Schönheit, hat
alles das erleben und überleben müssen. Aber das Schicksal hat Erbarmen,
die Gräfin ist zeitweilig geistesabwesend, sie führt stundenweise ein Traum¬
leben, sie verliert da ihr Gedächtnis, und dann geht sie nachtwandlerisch im
Schlosse, das einsam in einer fruchtbaren Gegend Mährens gelegen ist, einher
und erwartet die Wiederkehr ihrer Kinder. Zur Abendstunde muß das Schloß
taghell beleuchtet sein, damit sie nicht, wie es einmal geschehen ist, von den An¬
kommenden überrascht werde. Vormittags pflegt die Gräfin bei klaren Sinnen
zu sein und dann schwermütig zur Schloßkapelle zu wandern, um an der Gruft
ihrer Kinder zu beten. Gegen ihre Diener und Nachbarn ist sie von der
thätigsten Liebe erfüllt, und man verehrt sie scheu, da der Arzt sie doch uicht für
geisteskrank hat erklären wollen.
Dieses erhabne Bild, worin der höchste Schmerz durch Schönheit ge¬
bändigt erscheint, ist in kunstvoller Weise dargestellt. Ein Maler, den schlechtes
Wetter und Festgeber zufällig ins Schloß verschlagen haben, erzählt die Ge¬
schichte. Er hat das richtige Auge für die Greisenschönheit, für die traumhafte
Stimmung, er ist als Künstler mehr begabt, über die tragische Gestalt zu
urteile», als der junge Jrrenarzt, den die Verwandten der Gräfin zum stän¬
digen Begleiter der Kranken gemietet haben, und der in seiner jugendlichen
Ungeduld als Gelehrter sich bei dem einfachen Fall langweilt. Der Arzt fühlt sich
überflüssig und wird durch den Zwang seiner Stellung sogar sehr unliebens-
würdig : ein vorzüglicher Gegensatz zu dem Maler, der voller Teilnahme zwölf
Stunden im Schlosse der Gräfin verbringt.
Den Schluß des Buches füllen zwei muntere, feine Kleinigkeiten von echt
wienerischer Färbung, „Der Muff," worin sich die Dichterin selber in ihrem
Verkehr mit ihrem Mann, dem Geueral a. D. Ebner-Eschenbach zeichnet;
dann „Die Kapitastinen," eine Humoreske, die wohl mit der ältere» berühmt
gewordnen „Die Freiherren von Gemperlein" den Vergleich aufhält.
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