Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Wiener Litteratur erkannten Künstlerin nicht oft genug wiederholt, nicht weit genug verbreitet Die erste, "Wieder die Alte," hinterläßt den Eindruck, als wollte die Wiener Litteratur erkannten Künstlerin nicht oft genug wiederholt, nicht weit genug verbreitet Die erste, „Wieder die Alte," hinterläßt den Eindruck, als wollte die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0183" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204914"/> <fw type="header" place="top"> Wiener Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_443" prev="#ID_442"> erkannten Künstlerin nicht oft genug wiederholt, nicht weit genug verbreitet<lb/> werden. Die Ebner hat auch ihre eignen künstlerischen Grundsätze in diese<lb/> Worte zusammengefaßt: nie verletzt sie die Schönheit durch die Wahrheit.<lb/> Ein Kunstverstaud von seltner Kraft leitet sie auf allen ihren Wegen, nie war<lb/> er bewundrungswürdiger als gerade in den Novellen ihres letzten Buches<lb/> „Miterlebtes."'</p><lb/> <p xml:id="ID_444" next="#ID_445"> Die erste, „Wieder die Alte," hinterläßt den Eindruck, als wollte die<lb/> Dichterin ihren in feigen: Pessimismus und in unfruchtbarem Groll sich ge¬<lb/> fallenden litterarischen Zeitgenossen den Standpunkt klar machen, als wollte<lb/> sie zeigen, was sie für die Pflicht ernsthafter Menschen hält. Sie greift hinein<lb/> in die Alltäglichkeit des großstädtischen Lebens, wählt ein Motiv, das allbeliebt<lb/> ist, zumal bei den sogenannten Realisten, aber sie führt es in ihrer eignen<lb/> Weife durch. Ein reicher Manu, ein gebildeter Epikureer, wie sie unsre Salons<lb/> füllen, liebt ein armes Mädchen, eine Lehrerin, Claire Dubois, die verwaiste<lb/> Tochter eines französischen Tanzmeisters. Ein prächtiges Geschöpf! Tapfer,<lb/> ehrenhaft und auch sehr hübsch. Sie plagt sich jetzt, um die in der Krankheit<lb/> ihrer Eltern aufgehäuften Schulden zu bezahlen. Es würde ihr kein Mensch<lb/> was anhaben können, wenn sie es nicht thäte, aber sie läßt sichs nicht nehmen.<lb/> Clnire lebt von ihrer Heiterkeit, von ihrem glücklichen Temperament, dem? wo<lb/> sie hinkommt, verbreitet sie Sonnenschein, und in den Häusern der Reichen,<lb/> des beschäftigungslosen Adels, herrscht die öde Langeweile des Müßiggangs.<lb/> Arnold Bretfeld, ihr verliebter Freier, ist ein Genußmensch der feinsten Sorte.<lb/> Ursprünglich hat er Tonsetzer werden wollen; aber bald hat er die Erkenntnis<lb/> gewonnen, daß ihm zum Erfolge als Komponist eigentliche Schöpferkraft fehle;<lb/> er ist stolz und klug genug gewesen, nach dieser Erkenntnis das vergebliche<lb/> Haschen und Jagen nach dem Erfolge aufzugeben, und hat sich damit begnügt,<lb/> sich zum Musikgelehrten auszubilden. Seine steinreiche Familie, die aus lauter<lb/> Geschäftsmenschen besteht, hat sich in seinen Willen gefügt, ihm genügende<lb/> Mittel für seine kostspieligen Liebhabereien zur Verfügung gestellt: es schmeichelt<lb/> ihr, den berühmten Musikkenner zum Bruder und Neffen zu haben. Allein<lb/> als Arnold mit seiner Absicht, die arme Tanzmeisterstochter zu heiraten, vor<lb/> die Geldmänner tritt, da hört ihnen der Spaß auf! Dazu haben sie sich den<lb/> Luxusbruder nicht auferzogen, und in unbeugsamer Weise erklärt ihn das<lb/> Haupt der Vretfelds sür enterbe, wenn er die arme Claire heirate. Und nun<lb/> geschieht, was man von einem Salonhelden nicht anders erwarten kann: er<lb/> verläßt Claire. Zum Glück hat das arme Mädchen an einer merkwürdigen<lb/> -alten Baronin eine, nicht materielle, die braucht sie uicht, sondern eine mo¬<lb/> ralische Stütze. Diese Baronin ist dnrch schweres Unglück, durch den Leicht¬<lb/> sinn ihres Mannes, um ihr ganzes schönes Vermögen gekommen. Jetzt ist der<lb/> einst flotte Husarenoffizier blödsinnig geworden, und Karoline ist Kravattenmacheriu<lb/> geworden, um sich und ihn zu ernähren. Sie lebt mit diesem und mit Clnire</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0183]
Wiener Litteratur
erkannten Künstlerin nicht oft genug wiederholt, nicht weit genug verbreitet
werden. Die Ebner hat auch ihre eignen künstlerischen Grundsätze in diese
Worte zusammengefaßt: nie verletzt sie die Schönheit durch die Wahrheit.
Ein Kunstverstaud von seltner Kraft leitet sie auf allen ihren Wegen, nie war
er bewundrungswürdiger als gerade in den Novellen ihres letzten Buches
„Miterlebtes."'
Die erste, „Wieder die Alte," hinterläßt den Eindruck, als wollte die
Dichterin ihren in feigen: Pessimismus und in unfruchtbarem Groll sich ge¬
fallenden litterarischen Zeitgenossen den Standpunkt klar machen, als wollte
sie zeigen, was sie für die Pflicht ernsthafter Menschen hält. Sie greift hinein
in die Alltäglichkeit des großstädtischen Lebens, wählt ein Motiv, das allbeliebt
ist, zumal bei den sogenannten Realisten, aber sie führt es in ihrer eignen
Weife durch. Ein reicher Manu, ein gebildeter Epikureer, wie sie unsre Salons
füllen, liebt ein armes Mädchen, eine Lehrerin, Claire Dubois, die verwaiste
Tochter eines französischen Tanzmeisters. Ein prächtiges Geschöpf! Tapfer,
ehrenhaft und auch sehr hübsch. Sie plagt sich jetzt, um die in der Krankheit
ihrer Eltern aufgehäuften Schulden zu bezahlen. Es würde ihr kein Mensch
was anhaben können, wenn sie es nicht thäte, aber sie läßt sichs nicht nehmen.
Clnire lebt von ihrer Heiterkeit, von ihrem glücklichen Temperament, dem? wo
sie hinkommt, verbreitet sie Sonnenschein, und in den Häusern der Reichen,
des beschäftigungslosen Adels, herrscht die öde Langeweile des Müßiggangs.
Arnold Bretfeld, ihr verliebter Freier, ist ein Genußmensch der feinsten Sorte.
Ursprünglich hat er Tonsetzer werden wollen; aber bald hat er die Erkenntnis
gewonnen, daß ihm zum Erfolge als Komponist eigentliche Schöpferkraft fehle;
er ist stolz und klug genug gewesen, nach dieser Erkenntnis das vergebliche
Haschen und Jagen nach dem Erfolge aufzugeben, und hat sich damit begnügt,
sich zum Musikgelehrten auszubilden. Seine steinreiche Familie, die aus lauter
Geschäftsmenschen besteht, hat sich in seinen Willen gefügt, ihm genügende
Mittel für seine kostspieligen Liebhabereien zur Verfügung gestellt: es schmeichelt
ihr, den berühmten Musikkenner zum Bruder und Neffen zu haben. Allein
als Arnold mit seiner Absicht, die arme Tanzmeisterstochter zu heiraten, vor
die Geldmänner tritt, da hört ihnen der Spaß auf! Dazu haben sie sich den
Luxusbruder nicht auferzogen, und in unbeugsamer Weise erklärt ihn das
Haupt der Vretfelds sür enterbe, wenn er die arme Claire heirate. Und nun
geschieht, was man von einem Salonhelden nicht anders erwarten kann: er
verläßt Claire. Zum Glück hat das arme Mädchen an einer merkwürdigen
-alten Baronin eine, nicht materielle, die braucht sie uicht, sondern eine mo¬
ralische Stütze. Diese Baronin ist dnrch schweres Unglück, durch den Leicht¬
sinn ihres Mannes, um ihr ganzes schönes Vermögen gekommen. Jetzt ist der
einst flotte Husarenoffizier blödsinnig geworden, und Karoline ist Kravattenmacheriu
geworden, um sich und ihn zu ernähren. Sie lebt mit diesem und mit Clnire
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