Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Wiener Litteratur zu bahnen, den wir zu wandeln haben, nur in sehr geringem Grade. Künst¬ Wiener Litteratur zu bahnen, den wir zu wandeln haben, nur in sehr geringem Grade. Künst¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204913"/> <fw type="header" place="top"> Wiener Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_442" prev="#ID_441" next="#ID_443"> zu bahnen, den wir zu wandeln haben, nur in sehr geringem Grade. Künst¬<lb/> lerisch mitzuwirken vermag nur derjenige Künstler, der der Phantasie seiner<lb/> Zeitgenossen Ideale giebt, die sie lieben können, und die sie durch die Liebe<lb/> sich zum Eigentum macheu. Darum ist es nur folgerichtig, wenn die Ebner<lb/> parallel mit ihren humoristischen oder satirischen Bildern der Gesellschaft auch<lb/> mustergiltige Charaktere schafft, die wir lieben müssen, ohne daß sie dabei —<lb/> und das ist eben ihre Kunst — die Grenzen der Wahrscheinlichkeit überschritte<lb/> oder unser Wirklichkeitsgefühl verletzte. Ein solcher idealer Charakter ist gleich<lb/> das Gemeindekind selbst, das sich in hartem Kampfe mit der gemeinen Bauern¬<lb/> schaft, mit der Armut, mit den hartnäckigsten Vorurteilen der Umgebung gegen<lb/> das Kind eines Gehängten zur Selbständigkeit und zur allgemeinen Achtung<lb/> durcharbeitet. Ein solches Ideal ist der Kreisphysikus in der gleichnamigen<lb/> Novelle, der sich mit einem ihm unbewußt guten Kern aus der Befangenheit<lb/> jüdischer Nützlichkeitsmoral zu rein evangelischer Selbstlosigkeit und thatkräf¬<lb/> tiger Nächstenliebe läutert. Ein solches Ideal ist Lotti die Uhrmacherin, ist<lb/> die wahrhafte Bozena, ist die Hofrätiu im „Kleinen Roman" u. f. w. Es muß<lb/> auf diesen positiv idealistischen Geist der Dichtungen der Ebner mit umsomehr<lb/> Nachdruck verwiesen werden, als gerade ihre lebhaftesten Verehrer ihren „rück¬<lb/> sichtslosen Realismus" hervorzuheben pflegen. Sie aber macht sich, so oft<lb/> sie kann, über den Realismus lustig. So in folgender Stelle des „Gemeinde¬<lb/> kindes", am Schlüsse der Schilderung von Virgils, des verkommenen Ge¬<lb/> meindehirten und Pavels Pflegevaters, Wohnung: ,,So diente denn der<lb/> Flur als Aufbewahrungsort für die magern Vorräte an Getreide und Brot,<lb/> für Virgils nie gereinigte Stiefel, seine Peitsche, seinen Knüttel, für sein<lb/> schmutzfarbenes Durcheinander von alten Flaschen, hcnkellosen Körben, Töpfen<lb/> und Scherben, würdig des Pinsels eines Realisten." Und noch nachdrücklicher<lb/> in der merkwürdigen Novelle „Ein Traum," die ihr neuestes Buch: Miter¬<lb/> lebtes (Berlin, Paetel, 1889) enthalt. Der erzählende Maler steht mit der<lb/> traumbefaugneu Gräfin vor dem Gemälde ihres tragischen Enkelsvhnes und<lb/> spricht: „Das ist das beste, das steht mir höher als manches vielgerühmte<lb/> Werk der neuen Schule. Möchte wissen, in welche Kategorie die Alleskenner<lb/> und Nichtskenner den einreihen, der das gemalt hat. Ein Idealist? Ihr<lb/> Herren! seht nnr die Wahl des Stoffes: Eine Balgerei zwischen einem Sol¬<lb/> daten und einem Matrosen, um welche ein neugieriges Publikum sich schart.<lb/> Und nun die Ausführung! Wessen ist sie? Eines Realisten? Nein, eines<lb/> Künstlers, dem das Häßliche und Rohe widerstrebt, und der dennoch die Wahr¬<lb/> heit darstellt, die höchste, in deu Gluten seiner Feuerseele geläuterte Wahrheit.<lb/> Der macht aus einer Prügelei, die Nur in der Wirklichkeit schwerlich mit an¬<lb/> sehen möchten, ein unvergeßliches Kunstwerk." Bei der grenzenlosen Verrohung<lb/> des Geschmacks, die unsre Realisten sich im Namen der Wahrheit erlauben zu<lb/> dürfen glauben, können solche goldne Worte von einer auch von ihnen an-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0182]
Wiener Litteratur
zu bahnen, den wir zu wandeln haben, nur in sehr geringem Grade. Künst¬
lerisch mitzuwirken vermag nur derjenige Künstler, der der Phantasie seiner
Zeitgenossen Ideale giebt, die sie lieben können, und die sie durch die Liebe
sich zum Eigentum macheu. Darum ist es nur folgerichtig, wenn die Ebner
parallel mit ihren humoristischen oder satirischen Bildern der Gesellschaft auch
mustergiltige Charaktere schafft, die wir lieben müssen, ohne daß sie dabei —
und das ist eben ihre Kunst — die Grenzen der Wahrscheinlichkeit überschritte
oder unser Wirklichkeitsgefühl verletzte. Ein solcher idealer Charakter ist gleich
das Gemeindekind selbst, das sich in hartem Kampfe mit der gemeinen Bauern¬
schaft, mit der Armut, mit den hartnäckigsten Vorurteilen der Umgebung gegen
das Kind eines Gehängten zur Selbständigkeit und zur allgemeinen Achtung
durcharbeitet. Ein solches Ideal ist der Kreisphysikus in der gleichnamigen
Novelle, der sich mit einem ihm unbewußt guten Kern aus der Befangenheit
jüdischer Nützlichkeitsmoral zu rein evangelischer Selbstlosigkeit und thatkräf¬
tiger Nächstenliebe läutert. Ein solches Ideal ist Lotti die Uhrmacherin, ist
die wahrhafte Bozena, ist die Hofrätiu im „Kleinen Roman" u. f. w. Es muß
auf diesen positiv idealistischen Geist der Dichtungen der Ebner mit umsomehr
Nachdruck verwiesen werden, als gerade ihre lebhaftesten Verehrer ihren „rück¬
sichtslosen Realismus" hervorzuheben pflegen. Sie aber macht sich, so oft
sie kann, über den Realismus lustig. So in folgender Stelle des „Gemeinde¬
kindes", am Schlüsse der Schilderung von Virgils, des verkommenen Ge¬
meindehirten und Pavels Pflegevaters, Wohnung: ,,So diente denn der
Flur als Aufbewahrungsort für die magern Vorräte an Getreide und Brot,
für Virgils nie gereinigte Stiefel, seine Peitsche, seinen Knüttel, für sein
schmutzfarbenes Durcheinander von alten Flaschen, hcnkellosen Körben, Töpfen
und Scherben, würdig des Pinsels eines Realisten." Und noch nachdrücklicher
in der merkwürdigen Novelle „Ein Traum," die ihr neuestes Buch: Miter¬
lebtes (Berlin, Paetel, 1889) enthalt. Der erzählende Maler steht mit der
traumbefaugneu Gräfin vor dem Gemälde ihres tragischen Enkelsvhnes und
spricht: „Das ist das beste, das steht mir höher als manches vielgerühmte
Werk der neuen Schule. Möchte wissen, in welche Kategorie die Alleskenner
und Nichtskenner den einreihen, der das gemalt hat. Ein Idealist? Ihr
Herren! seht nnr die Wahl des Stoffes: Eine Balgerei zwischen einem Sol¬
daten und einem Matrosen, um welche ein neugieriges Publikum sich schart.
Und nun die Ausführung! Wessen ist sie? Eines Realisten? Nein, eines
Künstlers, dem das Häßliche und Rohe widerstrebt, und der dennoch die Wahr¬
heit darstellt, die höchste, in deu Gluten seiner Feuerseele geläuterte Wahrheit.
Der macht aus einer Prügelei, die Nur in der Wirklichkeit schwerlich mit an¬
sehen möchten, ein unvergeßliches Kunstwerk." Bei der grenzenlosen Verrohung
des Geschmacks, die unsre Realisten sich im Namen der Wahrheit erlauben zu
dürfen glauben, können solche goldne Worte von einer auch von ihnen an-
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