Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zur Erklärung deutscher Revolntionssymxathien ^?9^^^92 gewisse Wahrheiten freier und mit besserem Erfolg als ein andrer zu hören Nur nach einer Seite hin waren diese Fürsprecher der freiesten Geistes¬ Vielleicht de>ß sie denn doch, in der Hitze des Wortwechsels, manchen übertriebenen
Eindruck bekommen und in Schiller mehr, als recht war, einen entschiedenen Revolntions- freund erblickt hatte. Die Nachricht der wirklich geschehenen Hinrichtung Ludwigs XVI. regte auch Schiller im tiefsten auf. Ungefähr von da an mag er bestimmter von den politischen Bestrebungen der lebenden Generation seine Hoffnung abgewendet haben und zu der Sinnes- weise gekommen sein, in der ihn schon auf seiner schwäbischen Reise 1733 seine Freunde kennen lernten- Zur Erklärung deutscher Revolntionssymxathien ^?9^^^92 gewisse Wahrheiten freier und mit besserem Erfolg als ein andrer zu hören Nur nach einer Seite hin waren diese Fürsprecher der freiesten Geistes¬ Vielleicht de>ß sie denn doch, in der Hitze des Wortwechsels, manchen übertriebenen
Eindruck bekommen und in Schiller mehr, als recht war, einen entschiedenen Revolntions- freund erblickt hatte. Die Nachricht der wirklich geschehenen Hinrichtung Ludwigs XVI. regte auch Schiller im tiefsten auf. Ungefähr von da an mag er bestimmter von den politischen Bestrebungen der lebenden Generation seine Hoffnung abgewendet haben und zu der Sinnes- weise gekommen sein, in der ihn schon auf seiner schwäbischen Reise 1733 seine Freunde kennen lernten- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204910"/> <fw type="header" place="top"> Zur Erklärung deutscher Revolntionssymxathien ^?9^^^92</fw><lb/> <p xml:id="ID_436" prev="#ID_435"> gewisse Wahrheiten freier und mit besserem Erfolg als ein andrer zu hören<lb/> geben könne. Körner aber ist voller Bedenken gegen das Vorhaben des Freundes,<lb/> Bedenken zum Teil von solcher Art, als ob es hier nicht auf einen frisch zu<lb/> wägenden Versuch in einem brennenden Handel, sondern ans möglichst sichre<lb/> Berechnung einer dauernden Wirkung allgemeiner Art, wiederum fast wie bei<lb/> einem Kunstwerk ankomme. Und wie wenig in der That Schiller für feine<lb/> Person im Sinne haben mochte, sich bei Ausführung seines Vorhabens durchaus<lb/> nur auf eine Seite zu stellen, dafür spricht wohl noch dies, daß er ja nnr<lb/> einige Wochen vorher sich den Gedanken durch den Kopf hatte gehen lassen,<lb/> in den: zur Republik gewordenen Frankreich sich selbst sein Glück und einen<lb/> Ersatz für die Aussichten auf eine kurmainzische Anstellung zu suchen, die ihm<lb/> durch die französische Einnahme des linken Rheinufers verloren gegangen waren.<lb/> Frau von Stein war über die damalige Stimmung in dem weimarischen Kreise<lb/> nichts weniger als erbaut und fragte noch im Dezember 17W — als in<lb/> Paris der Schrecken auf die Höhe stieg —, ob Schiller jetzt wohl bekehrt sei<lb/> und ob man jetzt die Männer des Nationalkonvents Ränber nennen dürfe, ohne<lb/> daß er sich darüber entsetze?")</p><lb/> <p xml:id="ID_437" next="#ID_438"> Nur nach einer Seite hin waren diese Fürsprecher der freiesten Geistes¬<lb/> entfaltung entschieden Partei zu ergreifen gewöhnt: gegen die, die man feit<lb/> lauge als die Feinde eben dieser geistigen Entfaltungsfreiheit selbst hatte ver¬<lb/> abscheuen lernen. Diese aber, die Pfaffen, die notorischen Despotenkuechte, die<lb/> eigensüchtigen Nutznießer und Beschützer alles Mißbrauchs, standen denn doch<lb/> jetzt alle in der Anfeindung des revolutionären Frankreichs voran. Schon die<lb/> Besorgnis, in ihre Gesellschaft zu geraten, oder das Bedürfnis, sich von ihnen<lb/> scharf abzuheben, mußte bei manchem, bewußt oder unbewußt, darauf hin¬<lb/> wirken, daß er fo lange als irgend möglich den Glauben an die Revolution und<lb/> ihr Gelingen aufrecht hielt. Gab man diesen Glauben auf, welche Aussichten<lb/> eröffneten sich dann? Der junge Genz, damals ein eifriger Kantianer, schrieb<lb/> im Dezember 1790: „Das Scheitern dieser Revolution würde ich sür einen der<lb/> härtesten Unfälle halten, die je das menschliche Geschlecht betroffen haben. Sie<lb/> ist die Hoffnung und der Trost für so viele alte Übel, unter denen die Mensch¬<lb/> heit seufzt. Sollte diese Revolution zurückgehn, so würden alle diese Übel<lb/> zehnmal unheilbarer. Ich stelle mir so recht lebendig vor, wie allenthalben<lb/> das Stillschweige» der Verzweiflung, der Vernunft zum Trotz, eingestehn</p><lb/> <note xml:id="FID_20" place="foot"> Vielleicht de>ß sie denn doch, in der Hitze des Wortwechsels, manchen übertriebenen<lb/> Eindruck bekommen und in Schiller mehr, als recht war, einen entschiedenen Revolntions-<lb/> freund erblickt hatte. Die Nachricht der wirklich geschehenen Hinrichtung Ludwigs XVI. regte<lb/> auch Schiller im tiefsten auf. Ungefähr von da an mag er bestimmter von den politischen<lb/> Bestrebungen der lebenden Generation seine Hoffnung abgewendet haben und zu der Sinnes-<lb/> weise gekommen sein, in der ihn schon auf seiner schwäbischen Reise 1733 seine Freunde<lb/> kennen lernten-</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0179]
Zur Erklärung deutscher Revolntionssymxathien ^?9^^^92
gewisse Wahrheiten freier und mit besserem Erfolg als ein andrer zu hören
geben könne. Körner aber ist voller Bedenken gegen das Vorhaben des Freundes,
Bedenken zum Teil von solcher Art, als ob es hier nicht auf einen frisch zu
wägenden Versuch in einem brennenden Handel, sondern ans möglichst sichre
Berechnung einer dauernden Wirkung allgemeiner Art, wiederum fast wie bei
einem Kunstwerk ankomme. Und wie wenig in der That Schiller für feine
Person im Sinne haben mochte, sich bei Ausführung seines Vorhabens durchaus
nur auf eine Seite zu stellen, dafür spricht wohl noch dies, daß er ja nnr
einige Wochen vorher sich den Gedanken durch den Kopf hatte gehen lassen,
in den: zur Republik gewordenen Frankreich sich selbst sein Glück und einen
Ersatz für die Aussichten auf eine kurmainzische Anstellung zu suchen, die ihm
durch die französische Einnahme des linken Rheinufers verloren gegangen waren.
Frau von Stein war über die damalige Stimmung in dem weimarischen Kreise
nichts weniger als erbaut und fragte noch im Dezember 17W — als in
Paris der Schrecken auf die Höhe stieg —, ob Schiller jetzt wohl bekehrt sei
und ob man jetzt die Männer des Nationalkonvents Ränber nennen dürfe, ohne
daß er sich darüber entsetze?")
Nur nach einer Seite hin waren diese Fürsprecher der freiesten Geistes¬
entfaltung entschieden Partei zu ergreifen gewöhnt: gegen die, die man feit
lauge als die Feinde eben dieser geistigen Entfaltungsfreiheit selbst hatte ver¬
abscheuen lernen. Diese aber, die Pfaffen, die notorischen Despotenkuechte, die
eigensüchtigen Nutznießer und Beschützer alles Mißbrauchs, standen denn doch
jetzt alle in der Anfeindung des revolutionären Frankreichs voran. Schon die
Besorgnis, in ihre Gesellschaft zu geraten, oder das Bedürfnis, sich von ihnen
scharf abzuheben, mußte bei manchem, bewußt oder unbewußt, darauf hin¬
wirken, daß er fo lange als irgend möglich den Glauben an die Revolution und
ihr Gelingen aufrecht hielt. Gab man diesen Glauben auf, welche Aussichten
eröffneten sich dann? Der junge Genz, damals ein eifriger Kantianer, schrieb
im Dezember 1790: „Das Scheitern dieser Revolution würde ich sür einen der
härtesten Unfälle halten, die je das menschliche Geschlecht betroffen haben. Sie
ist die Hoffnung und der Trost für so viele alte Übel, unter denen die Mensch¬
heit seufzt. Sollte diese Revolution zurückgehn, so würden alle diese Übel
zehnmal unheilbarer. Ich stelle mir so recht lebendig vor, wie allenthalben
das Stillschweige» der Verzweiflung, der Vernunft zum Trotz, eingestehn
Vielleicht de>ß sie denn doch, in der Hitze des Wortwechsels, manchen übertriebenen
Eindruck bekommen und in Schiller mehr, als recht war, einen entschiedenen Revolntions-
freund erblickt hatte. Die Nachricht der wirklich geschehenen Hinrichtung Ludwigs XVI. regte
auch Schiller im tiefsten auf. Ungefähr von da an mag er bestimmter von den politischen
Bestrebungen der lebenden Generation seine Hoffnung abgewendet haben und zu der Sinnes-
weise gekommen sein, in der ihn schon auf seiner schwäbischen Reise 1733 seine Freunde
kennen lernten-
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