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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Bismarck

Nun, damit beweisen sie nicht, daß Bismarck thatsächlich eine ans dem
Zusammenhang des allgemeinen Fortschritts gerissene oder rückwärts strebende
Einzelerscheinung sei, sie beweisen nur, daß der Gegenstand ihrer Betrachtung
zu groß und zu unfaßlich für ihre kleinen Prinzipienfinger ist, als daß sie
ihn in den großen Gedanken des Weltfortschritts einordnen könnten.

Und doch ist es nicht schwer zu erkennen, daß auch Bismarck trotz seiner
Riesengröße nur ein fortschreitendes Glied in jener Entwicklung ist, die jedes
idenlgestimmte Gemüt von dem Laufe der irdischen Dinge hofft. Einen solchen
Koloß brütet die Natur nicht ohne großen Zweck aus. Er ist mehr als ein
Prachtexemplar der preußisch-nationalen Spielart. Auf sein Wesen und Wirken
kann mau die Worte verändert anwenden, die Goethe seinen Wilhelm Meister
über Shakespeare sagen läßt: "Seine Werke sind keine Diplomatenstückchen.
Man glaubt vor den aufgeschlagenen, ungeheuern Büchern des Schicksals zu
stehen, in denen der Sturmwind des bewegtesten Lebens saust und mit Gewalt
rasch hin und Wider blättert." Ja, es weht und braust durch ihn der Geist
der Ewigkeit. Mag man ihn nennen, wie man will, den Geist Gottes oder
den Geist der Geschichte, Name ist Rauch und Schall -- eins aber ist sicher,
daß eine geniale und in ihrem innersten Wesen ursprüngliche Kraft in ihm
wirkt. Eine Kraft, die aus dein tiefsten Grunde alles Daseins entspringt und
die, wenn wir Leopold von Rankes weltumspannenden Geist verstehen, in den
großen Männern und durch sie in ihren Völkern persönlich lebendig und
dauernd wirksam wird. Das ist überhaupt das Wesen des Genies, daß es
eine ursprünglich freie, unbegrenzte Kraft in sich fühlt, die für die Zwecke
dieses Lebens zu groß erscheint. Sie kennt keine Schranken und will keinen
persönlichen Lohn. Sieht sie sich aber einmal eingespannt in die Lösung einer
begrenzten Aufgabe, so erscheint sie in jedem gegebenen Augenblick bis zur
Kleinlichkeit eindringlich wirksam, sie wählt unerschrocken die kühnsten Mittel
und bricht lieber in den Sielen zusammen, als daß sie auch nur einen einzigen
Schritt auf dem Wege, den es sie innerlich vorwärts drängt, umgethan ließe.
Wenn Bismarck um seinen Freund Motley schreibt, daß er fühle, wie er sich
in der Politik immer mehr einlebe, und wie er ernstlich fürchte, daß es ihm
auf die Dauer in dem politischen Handwerk gefallen werde, bekennt er da nicht
selbst, daß er seine universale, ursprünglich sreie und unbegrenzte Kraft ein¬
geschirrt sieht in die Enge eines bestimmten Zweckdaseins? In welch wunderbarer
Symbolik erscheint uns nun der junge Politiker, wie er im schwärmerischen
Gefühl feiner genialen, gottverliehenen Kraft den Kahn, der ihn zu Metternich
bringen soll, frei und ruhig den Rhein hinuntertreibeu läßt, vorbei an dem
Johannisberg des in selbstsüchtigen Zwecken bestimmten Österreichers! Wie ein
Poetischer Rückschlag in die unbegrenzten Weiten seiner ewigen Natur erscheinen
uns nun die melancholischen Briefe an seine Schwester, wie ein tiefschmerzliches
Sehnen nach seiner geistigen Heimat mit ihren freien Stimmungsslügen! Und


Der alte Bismarck

Nun, damit beweisen sie nicht, daß Bismarck thatsächlich eine ans dem
Zusammenhang des allgemeinen Fortschritts gerissene oder rückwärts strebende
Einzelerscheinung sei, sie beweisen nur, daß der Gegenstand ihrer Betrachtung
zu groß und zu unfaßlich für ihre kleinen Prinzipienfinger ist, als daß sie
ihn in den großen Gedanken des Weltfortschritts einordnen könnten.

Und doch ist es nicht schwer zu erkennen, daß auch Bismarck trotz seiner
Riesengröße nur ein fortschreitendes Glied in jener Entwicklung ist, die jedes
idenlgestimmte Gemüt von dem Laufe der irdischen Dinge hofft. Einen solchen
Koloß brütet die Natur nicht ohne großen Zweck aus. Er ist mehr als ein
Prachtexemplar der preußisch-nationalen Spielart. Auf sein Wesen und Wirken
kann mau die Worte verändert anwenden, die Goethe seinen Wilhelm Meister
über Shakespeare sagen läßt: „Seine Werke sind keine Diplomatenstückchen.
Man glaubt vor den aufgeschlagenen, ungeheuern Büchern des Schicksals zu
stehen, in denen der Sturmwind des bewegtesten Lebens saust und mit Gewalt
rasch hin und Wider blättert." Ja, es weht und braust durch ihn der Geist
der Ewigkeit. Mag man ihn nennen, wie man will, den Geist Gottes oder
den Geist der Geschichte, Name ist Rauch und Schall — eins aber ist sicher,
daß eine geniale und in ihrem innersten Wesen ursprüngliche Kraft in ihm
wirkt. Eine Kraft, die aus dein tiefsten Grunde alles Daseins entspringt und
die, wenn wir Leopold von Rankes weltumspannenden Geist verstehen, in den
großen Männern und durch sie in ihren Völkern persönlich lebendig und
dauernd wirksam wird. Das ist überhaupt das Wesen des Genies, daß es
eine ursprünglich freie, unbegrenzte Kraft in sich fühlt, die für die Zwecke
dieses Lebens zu groß erscheint. Sie kennt keine Schranken und will keinen
persönlichen Lohn. Sieht sie sich aber einmal eingespannt in die Lösung einer
begrenzten Aufgabe, so erscheint sie in jedem gegebenen Augenblick bis zur
Kleinlichkeit eindringlich wirksam, sie wählt unerschrocken die kühnsten Mittel
und bricht lieber in den Sielen zusammen, als daß sie auch nur einen einzigen
Schritt auf dem Wege, den es sie innerlich vorwärts drängt, umgethan ließe.
Wenn Bismarck um seinen Freund Motley schreibt, daß er fühle, wie er sich
in der Politik immer mehr einlebe, und wie er ernstlich fürchte, daß es ihm
auf die Dauer in dem politischen Handwerk gefallen werde, bekennt er da nicht
selbst, daß er seine universale, ursprünglich sreie und unbegrenzte Kraft ein¬
geschirrt sieht in die Enge eines bestimmten Zweckdaseins? In welch wunderbarer
Symbolik erscheint uns nun der junge Politiker, wie er im schwärmerischen
Gefühl feiner genialen, gottverliehenen Kraft den Kahn, der ihn zu Metternich
bringen soll, frei und ruhig den Rhein hinuntertreibeu läßt, vorbei an dem
Johannisberg des in selbstsüchtigen Zwecken bestimmten Österreichers! Wie ein
Poetischer Rückschlag in die unbegrenzten Weiten seiner ewigen Natur erscheinen
uns nun die melancholischen Briefe an seine Schwester, wie ein tiefschmerzliches
Sehnen nach seiner geistigen Heimat mit ihren freien Stimmungsslügen! Und


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[0163] Der alte Bismarck Nun, damit beweisen sie nicht, daß Bismarck thatsächlich eine ans dem Zusammenhang des allgemeinen Fortschritts gerissene oder rückwärts strebende Einzelerscheinung sei, sie beweisen nur, daß der Gegenstand ihrer Betrachtung zu groß und zu unfaßlich für ihre kleinen Prinzipienfinger ist, als daß sie ihn in den großen Gedanken des Weltfortschritts einordnen könnten. Und doch ist es nicht schwer zu erkennen, daß auch Bismarck trotz seiner Riesengröße nur ein fortschreitendes Glied in jener Entwicklung ist, die jedes idenlgestimmte Gemüt von dem Laufe der irdischen Dinge hofft. Einen solchen Koloß brütet die Natur nicht ohne großen Zweck aus. Er ist mehr als ein Prachtexemplar der preußisch-nationalen Spielart. Auf sein Wesen und Wirken kann mau die Worte verändert anwenden, die Goethe seinen Wilhelm Meister über Shakespeare sagen läßt: „Seine Werke sind keine Diplomatenstückchen. Man glaubt vor den aufgeschlagenen, ungeheuern Büchern des Schicksals zu stehen, in denen der Sturmwind des bewegtesten Lebens saust und mit Gewalt rasch hin und Wider blättert." Ja, es weht und braust durch ihn der Geist der Ewigkeit. Mag man ihn nennen, wie man will, den Geist Gottes oder den Geist der Geschichte, Name ist Rauch und Schall — eins aber ist sicher, daß eine geniale und in ihrem innersten Wesen ursprüngliche Kraft in ihm wirkt. Eine Kraft, die aus dein tiefsten Grunde alles Daseins entspringt und die, wenn wir Leopold von Rankes weltumspannenden Geist verstehen, in den großen Männern und durch sie in ihren Völkern persönlich lebendig und dauernd wirksam wird. Das ist überhaupt das Wesen des Genies, daß es eine ursprünglich freie, unbegrenzte Kraft in sich fühlt, die für die Zwecke dieses Lebens zu groß erscheint. Sie kennt keine Schranken und will keinen persönlichen Lohn. Sieht sie sich aber einmal eingespannt in die Lösung einer begrenzten Aufgabe, so erscheint sie in jedem gegebenen Augenblick bis zur Kleinlichkeit eindringlich wirksam, sie wählt unerschrocken die kühnsten Mittel und bricht lieber in den Sielen zusammen, als daß sie auch nur einen einzigen Schritt auf dem Wege, den es sie innerlich vorwärts drängt, umgethan ließe. Wenn Bismarck um seinen Freund Motley schreibt, daß er fühle, wie er sich in der Politik immer mehr einlebe, und wie er ernstlich fürchte, daß es ihm auf die Dauer in dem politischen Handwerk gefallen werde, bekennt er da nicht selbst, daß er seine universale, ursprünglich sreie und unbegrenzte Kraft ein¬ geschirrt sieht in die Enge eines bestimmten Zweckdaseins? In welch wunderbarer Symbolik erscheint uns nun der junge Politiker, wie er im schwärmerischen Gefühl feiner genialen, gottverliehenen Kraft den Kahn, der ihn zu Metternich bringen soll, frei und ruhig den Rhein hinuntertreibeu läßt, vorbei an dem Johannisberg des in selbstsüchtigen Zwecken bestimmten Österreichers! Wie ein Poetischer Rückschlag in die unbegrenzten Weiten seiner ewigen Natur erscheinen uns nun die melancholischen Briefe an seine Schwester, wie ein tiefschmerzliches Sehnen nach seiner geistigen Heimat mit ihren freien Stimmungsslügen! Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/163>, abgerufen am 05.02.2025.