Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Der alte Bismarck der arbeitsame Kanzler. Ob und in welchem Augenblick aber das Bedürfnis Der Hauptgrund aber, aus dem sie mit einem so radikalen, bei Bismarcks Ist es nicht mehr als merkwürdig, daß gerade diejenigen, die mit dem Der alte Bismarck der arbeitsame Kanzler. Ob und in welchem Augenblick aber das Bedürfnis Der Hauptgrund aber, aus dem sie mit einem so radikalen, bei Bismarcks Ist es nicht mehr als merkwürdig, daß gerade diejenigen, die mit dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204893"/> <fw type="header" place="top"> Der alte Bismarck</fw><lb/> <p xml:id="ID_401" prev="#ID_400"> der arbeitsame Kanzler. Ob und in welchem Augenblick aber das Bedürfnis<lb/> der Ruhe in ihm siegen soll, das kann lediglich Sache der allerintimsten Selbst-<lb/> benrteilung sein. Wenn es geschehen sollte, so werden wir mit tiefem Anteil<lb/> empfinden, daß nun auch die gewaltigen Räder seines Feuergeistes ihren welt¬<lb/> bewegenden Schwung zu den letzten Umläufen allmählich verlangsamen, dem<lb/> Kanzler aber, dem verdienstvollsten deutschen Manne seit der Reformation,<lb/> öffentlich anzuraten, zurückzutreten, ihn wie einen Friedrichsruher Cineinnatus<lb/> hinter einen Pflug zu stellen, oder ihn sogar, falls er nicht zurücktreten wolle,<lb/> drohend für eine unausbleibliche Katastrophe xost inortsw. verantwortlich zu<lb/> machen, das zeugt von einer Gesinnung, von der wir im Auslande nicht wissen,<lb/> ob sie mehr ihrer Dummheit wegen zu bemitleiden, oder ihrer Gemütsroheit<lb/> wegen zu verabscheuen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_402"> Der Hauptgrund aber, aus dem sie mit einem so radikalen, bei Bismarcks<lb/> Verdiensten ganz unverständlichen Haß gegen ihn bis zur Beseitigung ankämpfen,<lb/> das ist und bleibt die Überzeugung, daß der Kanzler eine individuelle<lb/> Abnormität sei, eine allzu überkrüftig geratene Persönlichkeit, im Gegensatz zu<lb/> der sie sich als die freisinnig verklärten Apostel ewig giltiger und zu größern<lb/> Zielen führender Entwicklungsgesetze fühlen. Sie glauben, daß des Kanzlers<lb/> überlebensgroße Einzelfigur mit ihrer unnatürlichen nationalen Kraftentwicklung<lb/> für die beglückenden Welttheorien, die sie hegen, verderblich wirken müsse.<lb/> Aber wie der Kanzler trotz seiner preußisch gearteten Natur nicht verderblich<lb/> eingewirkt hat auf die nationalen Theorien der 48er Volkseiniger, so wird er<lb/> nun anch durch sein deutsches Reichsgepräge nicht verderblich einwirken auf<lb/> die freiheitliche Entwicklung des Weltglückes.</p><lb/> <p xml:id="ID_403"> Ist es nicht mehr als merkwürdig, daß gerade diejenigen, die mit dem<lb/> Schlüssel einer philosophisch-liberalen Weltanschauung den geistigen Grund und<lb/> den materiellen Zusammenhang aller irdischen Dinge zu erschließen verstehen,<lb/> die mit ihrem Liebling Taine psychologische Weltgeschichte treiben, die aus dem<lb/> Fortschritt der Erfindungen, aus der ingeniösen Zusammensetzung von Eisen-<lb/> und Stahlschrauben Rückschlüsse auf den geistigen Gang der Menschheit machen,<lb/> die verbrecherische Ungeheuerlichkeiten aus darwinistischen Erbmüngeln zu er¬<lb/> klären wissen, kurz — ist es uicht merkwürdig, daß gerade diese Menschen, die<lb/> das Gras der „Entwicklung" auf die weitesten Entfernungen hinaus wachsen<lb/> hören, schlankweg annehmen, daß die Natur die Riesenkräfte, die sie in<lb/> der Person Bismarcks aufgespeichert hat, leichtsinniger Weise nicht für den<lb/> allgemeinen Weltfvrtschritt ökonomisch berechnet habe? Überall, in jeder einzelnen<lb/> Erscheinung der Kultur verstehen sie mit scharf geistigen Augen den sinnvollen<lb/> Zweck des rastlos sich fortentwickelnden „freiheitlichen Weltgeistes" zu erkennen,<lb/> in Bismarck allein soll dieser Geist mit seinen natürlichen Kräften einen<lb/> unnützen Seitensprung in die Luft gemacht haben oder gar eine bei der Unsumme<lb/> der aufgewandten Kraft gänzlich unbegreifliche Nückbewegung! Wer begreift das?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0162]
Der alte Bismarck
der arbeitsame Kanzler. Ob und in welchem Augenblick aber das Bedürfnis
der Ruhe in ihm siegen soll, das kann lediglich Sache der allerintimsten Selbst-
benrteilung sein. Wenn es geschehen sollte, so werden wir mit tiefem Anteil
empfinden, daß nun auch die gewaltigen Räder seines Feuergeistes ihren welt¬
bewegenden Schwung zu den letzten Umläufen allmählich verlangsamen, dem
Kanzler aber, dem verdienstvollsten deutschen Manne seit der Reformation,
öffentlich anzuraten, zurückzutreten, ihn wie einen Friedrichsruher Cineinnatus
hinter einen Pflug zu stellen, oder ihn sogar, falls er nicht zurücktreten wolle,
drohend für eine unausbleibliche Katastrophe xost inortsw. verantwortlich zu
machen, das zeugt von einer Gesinnung, von der wir im Auslande nicht wissen,
ob sie mehr ihrer Dummheit wegen zu bemitleiden, oder ihrer Gemütsroheit
wegen zu verabscheuen ist.
Der Hauptgrund aber, aus dem sie mit einem so radikalen, bei Bismarcks
Verdiensten ganz unverständlichen Haß gegen ihn bis zur Beseitigung ankämpfen,
das ist und bleibt die Überzeugung, daß der Kanzler eine individuelle
Abnormität sei, eine allzu überkrüftig geratene Persönlichkeit, im Gegensatz zu
der sie sich als die freisinnig verklärten Apostel ewig giltiger und zu größern
Zielen führender Entwicklungsgesetze fühlen. Sie glauben, daß des Kanzlers
überlebensgroße Einzelfigur mit ihrer unnatürlichen nationalen Kraftentwicklung
für die beglückenden Welttheorien, die sie hegen, verderblich wirken müsse.
Aber wie der Kanzler trotz seiner preußisch gearteten Natur nicht verderblich
eingewirkt hat auf die nationalen Theorien der 48er Volkseiniger, so wird er
nun anch durch sein deutsches Reichsgepräge nicht verderblich einwirken auf
die freiheitliche Entwicklung des Weltglückes.
Ist es nicht mehr als merkwürdig, daß gerade diejenigen, die mit dem
Schlüssel einer philosophisch-liberalen Weltanschauung den geistigen Grund und
den materiellen Zusammenhang aller irdischen Dinge zu erschließen verstehen,
die mit ihrem Liebling Taine psychologische Weltgeschichte treiben, die aus dem
Fortschritt der Erfindungen, aus der ingeniösen Zusammensetzung von Eisen-
und Stahlschrauben Rückschlüsse auf den geistigen Gang der Menschheit machen,
die verbrecherische Ungeheuerlichkeiten aus darwinistischen Erbmüngeln zu er¬
klären wissen, kurz — ist es uicht merkwürdig, daß gerade diese Menschen, die
das Gras der „Entwicklung" auf die weitesten Entfernungen hinaus wachsen
hören, schlankweg annehmen, daß die Natur die Riesenkräfte, die sie in
der Person Bismarcks aufgespeichert hat, leichtsinniger Weise nicht für den
allgemeinen Weltfvrtschritt ökonomisch berechnet habe? Überall, in jeder einzelnen
Erscheinung der Kultur verstehen sie mit scharf geistigen Augen den sinnvollen
Zweck des rastlos sich fortentwickelnden „freiheitlichen Weltgeistes" zu erkennen,
in Bismarck allein soll dieser Geist mit seinen natürlichen Kräften einen
unnützen Seitensprung in die Luft gemacht haben oder gar eine bei der Unsumme
der aufgewandten Kraft gänzlich unbegreifliche Nückbewegung! Wer begreift das?
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