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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Jeder Satz wirkt wie ein wuchtiger Schlag mit einem armstarken, mit Blei
und Eisen schwer beschlagenen Eichenstock. Und ist von seinen Hieben der
Jntrigautenhaufe, zu dein sich gewisse Männer von höchst zweifelhafter Be¬
fähigung um Friedrichs Thron zusammengeschart hatten, nicht bis über die
Greuzen unsres Baterlandes, "bis in die freie Schweiz hinein", jämmerlich
zersprengt worden?

Wunderbar genug begann mau in der deutscheu Presse gerade zu der Zeit
dieser erstaunlichen Kraftleistung von dein "schnell alternden Kanzler" zu reden.
"Er wird unsicher" -- "er hat kein Glück mehr" -- "er macht krampfhafte
und höchst unglückliche Anstrengungen, sich zu behaupten" -- "dem. greisen
Löwen fallen die Zähne aus" -- "er wird altersschwach, und sein System
wird über ihm zusammenbrechen:" -- das waren die liebenswürdigen Äuße¬
rungen der deutschen Presse, die wir Deutschen im Auslande Tag für Tag
mit schmerzlicher Empfindung lesen mußten. Wäre es nicht umgekehrt bei dem
Tode Kaiser Wilhelms an der Zeit gewesen, nachdrücklich auf die augenfällige
Kraft hinzuweisen, in der sein getreuer Kanzler ihn überdauerte? Wäre es in
diesem Augenblick für die deutsche Presse nicht eine dankbare Aufgabe gewesen,
einmal Rückschau zu halten auf die große Reihe von bedeutenden Männern,
die die Lebensbahn des gewaltigen Kanzlers gekreuzt haben, die in Freundschaft
oder Feindschaft von seinem Geiste gezehrt haben und die lebendige Teile seiner
ungeheuern Kraft gewissermaßen mit sich ius Grab nahmen, um daran zu
ermessen, ob man das Recht habe, einen solchen Organismus mit mutwilligen
Belieben ohne alleu zwingenden Anlaß für verbraucht zu erklären? Unter
dem Zeichen seines Geistes haben einst gestanden: zwei deutsche Kaiser, ein
gewnltthätiger Papst, zwei russische Zaren, ein französischer Kaiser, zwei fran¬
zösische Präsidenten, zwei Sultane, sechs amerikanische Präsidenten, je ein
König von Hannover, von Sachsen und von Baiern, ein König von Italien,
ein König und eine Königin von Spanien, Staatsmänner wie Beust, Nntouelli,
Hall, Thiers, Gambetta, Favre, Beaconsfield, Skobeleff, Gortschakvff, Jgnatiew,
Schuwalvff, Cavour, Hahmerle und Midhat Pascha, Parlamentarier wie
Tochter, v. Bincke, Hoverbeck. Laster, Löwe und Mallinervdt, persönliche und
theoretische Antipoden wie Arnim und Lnssalle, dazu noch die augenblicklich
kaltgestellten Gladstone und Andrassy, und um schließlich aus der langen Liste
der Mundtoten nur die letzten zu nennen, die Herren Sonnemanu und --
Geffcken! Wer endlich nennt die Namen, die jetzt noch Tag für Tag durch
seine Gedanken schwirren und die alljährlich nur eine Reihe neuer Gestalten
wie Boulanger und ChurclM, vermehrt werden!

Aber anstatt aus diesem einfache" Rückblick so viel wenigstens des Ver¬
trauens auf des Kanzlers zähe Lebenskraft zu schöpfen, um bescheiden den
Augenblick abwarten zu lernen, wo er selbst ein zunehmendes Ermüden seines
Geistes suhlen würde, gab ihm eine vorlaute Preßstimme schulmeisternd zu


Jeder Satz wirkt wie ein wuchtiger Schlag mit einem armstarken, mit Blei
und Eisen schwer beschlagenen Eichenstock. Und ist von seinen Hieben der
Jntrigautenhaufe, zu dein sich gewisse Männer von höchst zweifelhafter Be¬
fähigung um Friedrichs Thron zusammengeschart hatten, nicht bis über die
Greuzen unsres Baterlandes, „bis in die freie Schweiz hinein", jämmerlich
zersprengt worden?

Wunderbar genug begann mau in der deutscheu Presse gerade zu der Zeit
dieser erstaunlichen Kraftleistung von dein „schnell alternden Kanzler" zu reden.
„Er wird unsicher" — „er hat kein Glück mehr" — „er macht krampfhafte
und höchst unglückliche Anstrengungen, sich zu behaupten" — „dem. greisen
Löwen fallen die Zähne aus" — „er wird altersschwach, und sein System
wird über ihm zusammenbrechen:" — das waren die liebenswürdigen Äuße¬
rungen der deutschen Presse, die wir Deutschen im Auslande Tag für Tag
mit schmerzlicher Empfindung lesen mußten. Wäre es nicht umgekehrt bei dem
Tode Kaiser Wilhelms an der Zeit gewesen, nachdrücklich auf die augenfällige
Kraft hinzuweisen, in der sein getreuer Kanzler ihn überdauerte? Wäre es in
diesem Augenblick für die deutsche Presse nicht eine dankbare Aufgabe gewesen,
einmal Rückschau zu halten auf die große Reihe von bedeutenden Männern,
die die Lebensbahn des gewaltigen Kanzlers gekreuzt haben, die in Freundschaft
oder Feindschaft von seinem Geiste gezehrt haben und die lebendige Teile seiner
ungeheuern Kraft gewissermaßen mit sich ius Grab nahmen, um daran zu
ermessen, ob man das Recht habe, einen solchen Organismus mit mutwilligen
Belieben ohne alleu zwingenden Anlaß für verbraucht zu erklären? Unter
dem Zeichen seines Geistes haben einst gestanden: zwei deutsche Kaiser, ein
gewnltthätiger Papst, zwei russische Zaren, ein französischer Kaiser, zwei fran¬
zösische Präsidenten, zwei Sultane, sechs amerikanische Präsidenten, je ein
König von Hannover, von Sachsen und von Baiern, ein König von Italien,
ein König und eine Königin von Spanien, Staatsmänner wie Beust, Nntouelli,
Hall, Thiers, Gambetta, Favre, Beaconsfield, Skobeleff, Gortschakvff, Jgnatiew,
Schuwalvff, Cavour, Hahmerle und Midhat Pascha, Parlamentarier wie
Tochter, v. Bincke, Hoverbeck. Laster, Löwe und Mallinervdt, persönliche und
theoretische Antipoden wie Arnim und Lnssalle, dazu noch die augenblicklich
kaltgestellten Gladstone und Andrassy, und um schließlich aus der langen Liste
der Mundtoten nur die letzten zu nennen, die Herren Sonnemanu und —
Geffcken! Wer endlich nennt die Namen, die jetzt noch Tag für Tag durch
seine Gedanken schwirren und die alljährlich nur eine Reihe neuer Gestalten
wie Boulanger und ChurclM, vermehrt werden!

Aber anstatt aus diesem einfache» Rückblick so viel wenigstens des Ver¬
trauens auf des Kanzlers zähe Lebenskraft zu schöpfen, um bescheiden den
Augenblick abwarten zu lernen, wo er selbst ein zunehmendes Ermüden seines
Geistes suhlen würde, gab ihm eine vorlaute Preßstimme schulmeisternd zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/156>, abgerufen am 05.02.2025.