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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Der alte Bismarck

in seinem Herzen, als er sich durch Schnee und Wintersturm aufmachte, um
einem sterbenden Kaiser von neuem seine ganze Kraft zu widmen. Doch bald
sah er in der Seele seines neuen Herrn sich ein politisches Gebilde entgegen¬
stehen, das mit einem fieberhaften Übereifer, mit einer unberechenbaren Hast
verwirklicht werden sollte, die nur zu verstehen war aus der kurzen Spanne
Zeit, die dem siechen Kaiser zum Handeln vergönnt schien. Das politische
und soziale Fundament seiner fünfundzwanzigjährigen Ministerthätigkeit erwies
sich bald in allen seinen Grundvesten erschüttert. Rußland, dessen Freundschaft
und Vertrauen mit so außerordentlichen Mühen lange Jahre hindurch erstrebt
worden war, sollte plötzlich fallen gelassen und durch England ersetzt werden;
Frankreich, mit dem ein offener und fröhlicher Diplomatenkrieg geführt worden
war, kehrte in der Hoffnung auf die Rückgabe Lothringens gegen Deutschland
schmeichlerische Knisersyiupathieu heraus, die um so gefährlicher waren, als
nach dem Zusammenbruch der sentimentalen Täuschungen Frankreich sich wut¬
schnaubend an die empörte Russenbrust zu werfen drohte; in Dänemark sprach
man von der baldigen Zurückgabe Nordschleswigs, und in Gmunden sah man
hoffnungsvoll ein neues diademgeschmücktes Welfeutum im Herzen Deutschlands
wiedererstehen. Wenn das alles auch meist nur sanguinische Erwartungen
waren, der deutschen Politik machte jedenfalls die Bekämpfung dieser Stimmungen
und Täuschungen viel zu schaffen. Aber nicht nnr die auswärtigen Angelegen¬
heiten, auch die innern politischen Gewohnheiten sollten mit einem plötzlichen
Ruck geändert werden. Durch die sperrweit geöffneten Thore des Parlaments
drängte die politisch undisziplinirte Masse des bürgerlichen Volkes, nicht ge¬
schult in deu arbeitsvollen Ueberlieferungen des preußischen Beamtentums, in
hellen Haufen an die Stufen des Thrones und dicht an die Schwellen ver¬
antwortungsvoller Staatsämter. Ja selbst in den Privatgemüchern des könig¬
lichen Schlosses begegnete man plötzlich einer andern Gesellschaft; dort wo
sonst die Boß, die Schwerin, die Radziwill, die Lehndorff, die Döhnhosf ihrer
Frauenümter im Geist erbaugesessener Landesfamilien walteten, schälkelen nun
"die Schradern und die Helmholtzen," und nicht weit von der Thür warteten
zudringliche Kvmmerzienratsfranen, bis man auch ihnen auf ihre Mitglieds¬
karte irgend eines Vereins den Eintritt zu den kaiserlichen Zirkeln gewähren
würde. Ja selbst in der Armee zeigte sich bei den lauten Abriistungsrufeu
und den antimilitärischen Bürgersyiupathien eine leise Lockcrnngsbewegung, die
mir ein höherer Stabsoffizier, der kürzlich einen längeren Urlaub im Auslande
verbrachte, mit wenigen Worten treffend charakterisirte, indem er sagte: "Als
Kaiser Friedrich den Thron bestieg, ging es dnrch die ganze Armee wie das
Kommando: Rührt euch! und erst als der junge Kaiser das Szepter ergriff,
erklang der Ruf: stillgestanden! und die Armee stand wieder stramm nud
still, wie uuter des toten Soldatenkaisers Herrschaft."

Aber wenn auch die Welt zu wanken schien, der Kanzler wankte nicht.


Der alte Bismarck

in seinem Herzen, als er sich durch Schnee und Wintersturm aufmachte, um
einem sterbenden Kaiser von neuem seine ganze Kraft zu widmen. Doch bald
sah er in der Seele seines neuen Herrn sich ein politisches Gebilde entgegen¬
stehen, das mit einem fieberhaften Übereifer, mit einer unberechenbaren Hast
verwirklicht werden sollte, die nur zu verstehen war aus der kurzen Spanne
Zeit, die dem siechen Kaiser zum Handeln vergönnt schien. Das politische
und soziale Fundament seiner fünfundzwanzigjährigen Ministerthätigkeit erwies
sich bald in allen seinen Grundvesten erschüttert. Rußland, dessen Freundschaft
und Vertrauen mit so außerordentlichen Mühen lange Jahre hindurch erstrebt
worden war, sollte plötzlich fallen gelassen und durch England ersetzt werden;
Frankreich, mit dem ein offener und fröhlicher Diplomatenkrieg geführt worden
war, kehrte in der Hoffnung auf die Rückgabe Lothringens gegen Deutschland
schmeichlerische Knisersyiupathieu heraus, die um so gefährlicher waren, als
nach dem Zusammenbruch der sentimentalen Täuschungen Frankreich sich wut¬
schnaubend an die empörte Russenbrust zu werfen drohte; in Dänemark sprach
man von der baldigen Zurückgabe Nordschleswigs, und in Gmunden sah man
hoffnungsvoll ein neues diademgeschmücktes Welfeutum im Herzen Deutschlands
wiedererstehen. Wenn das alles auch meist nur sanguinische Erwartungen
waren, der deutschen Politik machte jedenfalls die Bekämpfung dieser Stimmungen
und Täuschungen viel zu schaffen. Aber nicht nnr die auswärtigen Angelegen¬
heiten, auch die innern politischen Gewohnheiten sollten mit einem plötzlichen
Ruck geändert werden. Durch die sperrweit geöffneten Thore des Parlaments
drängte die politisch undisziplinirte Masse des bürgerlichen Volkes, nicht ge¬
schult in deu arbeitsvollen Ueberlieferungen des preußischen Beamtentums, in
hellen Haufen an die Stufen des Thrones und dicht an die Schwellen ver¬
antwortungsvoller Staatsämter. Ja selbst in den Privatgemüchern des könig¬
lichen Schlosses begegnete man plötzlich einer andern Gesellschaft; dort wo
sonst die Boß, die Schwerin, die Radziwill, die Lehndorff, die Döhnhosf ihrer
Frauenümter im Geist erbaugesessener Landesfamilien walteten, schälkelen nun
„die Schradern und die Helmholtzen," und nicht weit von der Thür warteten
zudringliche Kvmmerzienratsfranen, bis man auch ihnen auf ihre Mitglieds¬
karte irgend eines Vereins den Eintritt zu den kaiserlichen Zirkeln gewähren
würde. Ja selbst in der Armee zeigte sich bei den lauten Abriistungsrufeu
und den antimilitärischen Bürgersyiupathien eine leise Lockcrnngsbewegung, die
mir ein höherer Stabsoffizier, der kürzlich einen längeren Urlaub im Auslande
verbrachte, mit wenigen Worten treffend charakterisirte, indem er sagte: „Als
Kaiser Friedrich den Thron bestieg, ging es dnrch die ganze Armee wie das
Kommando: Rührt euch! und erst als der junge Kaiser das Szepter ergriff,
erklang der Ruf: stillgestanden! und die Armee stand wieder stramm nud
still, wie uuter des toten Soldatenkaisers Herrschaft."

Aber wenn auch die Welt zu wanken schien, der Kanzler wankte nicht.


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[0154] Der alte Bismarck in seinem Herzen, als er sich durch Schnee und Wintersturm aufmachte, um einem sterbenden Kaiser von neuem seine ganze Kraft zu widmen. Doch bald sah er in der Seele seines neuen Herrn sich ein politisches Gebilde entgegen¬ stehen, das mit einem fieberhaften Übereifer, mit einer unberechenbaren Hast verwirklicht werden sollte, die nur zu verstehen war aus der kurzen Spanne Zeit, die dem siechen Kaiser zum Handeln vergönnt schien. Das politische und soziale Fundament seiner fünfundzwanzigjährigen Ministerthätigkeit erwies sich bald in allen seinen Grundvesten erschüttert. Rußland, dessen Freundschaft und Vertrauen mit so außerordentlichen Mühen lange Jahre hindurch erstrebt worden war, sollte plötzlich fallen gelassen und durch England ersetzt werden; Frankreich, mit dem ein offener und fröhlicher Diplomatenkrieg geführt worden war, kehrte in der Hoffnung auf die Rückgabe Lothringens gegen Deutschland schmeichlerische Knisersyiupathieu heraus, die um so gefährlicher waren, als nach dem Zusammenbruch der sentimentalen Täuschungen Frankreich sich wut¬ schnaubend an die empörte Russenbrust zu werfen drohte; in Dänemark sprach man von der baldigen Zurückgabe Nordschleswigs, und in Gmunden sah man hoffnungsvoll ein neues diademgeschmücktes Welfeutum im Herzen Deutschlands wiedererstehen. Wenn das alles auch meist nur sanguinische Erwartungen waren, der deutschen Politik machte jedenfalls die Bekämpfung dieser Stimmungen und Täuschungen viel zu schaffen. Aber nicht nnr die auswärtigen Angelegen¬ heiten, auch die innern politischen Gewohnheiten sollten mit einem plötzlichen Ruck geändert werden. Durch die sperrweit geöffneten Thore des Parlaments drängte die politisch undisziplinirte Masse des bürgerlichen Volkes, nicht ge¬ schult in deu arbeitsvollen Ueberlieferungen des preußischen Beamtentums, in hellen Haufen an die Stufen des Thrones und dicht an die Schwellen ver¬ antwortungsvoller Staatsämter. Ja selbst in den Privatgemüchern des könig¬ lichen Schlosses begegnete man plötzlich einer andern Gesellschaft; dort wo sonst die Boß, die Schwerin, die Radziwill, die Lehndorff, die Döhnhosf ihrer Frauenümter im Geist erbaugesessener Landesfamilien walteten, schälkelen nun „die Schradern und die Helmholtzen," und nicht weit von der Thür warteten zudringliche Kvmmerzienratsfranen, bis man auch ihnen auf ihre Mitglieds¬ karte irgend eines Vereins den Eintritt zu den kaiserlichen Zirkeln gewähren würde. Ja selbst in der Armee zeigte sich bei den lauten Abriistungsrufeu und den antimilitärischen Bürgersyiupathien eine leise Lockcrnngsbewegung, die mir ein höherer Stabsoffizier, der kürzlich einen längeren Urlaub im Auslande verbrachte, mit wenigen Worten treffend charakterisirte, indem er sagte: „Als Kaiser Friedrich den Thron bestieg, ging es dnrch die ganze Armee wie das Kommando: Rührt euch! und erst als der junge Kaiser das Szepter ergriff, erklang der Ruf: stillgestanden! und die Armee stand wieder stramm nud still, wie uuter des toten Soldatenkaisers Herrschaft." Aber wenn auch die Welt zu wanken schien, der Kanzler wankte nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/154>, abgerufen am 05.02.2025.