Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zur italienischen Krisis Wie die Ezzeline, die Visconti, die Sforza, die Borgia, in der Verruchtheit Daß dieser Eigenart Italiens die Eigenart Preußens gerade entgegen¬ Zur italienischen Krisis Wie die Ezzeline, die Visconti, die Sforza, die Borgia, in der Verruchtheit Daß dieser Eigenart Italiens die Eigenart Preußens gerade entgegen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204746"/> <fw type="header" place="top"> Zur italienischen Krisis</fw><lb/> <p xml:id="ID_20" prev="#ID_19"> Wie die Ezzeline, die Visconti, die Sforza, die Borgia, in der Verruchtheit<lb/> zügelloser Wollust und Grausamkeit, sondern much im eigenartigen Deuten, Em¬<lb/> pfinden und Schaffen. So ging aus einem Chaos selbstsüchtiger Bestrebungen jene<lb/> Fülle eigenartiger Geister hervor, die auf allen Gebieten der höhern Kultur,<lb/> auf allen ohne Ausnahme (schone Künste, Kunstgewerbe, Handel, Bankwesen,<lb/> Kriegswissenschaft, Mechanik, Naturwissenschaften, Philosophie) bahnbrechend<lb/> gewirkt haben. So kam es, daß die Kulturleistungen von Florenz im drei¬<lb/> zehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert, damals eiuer Stadt von 100000 Ein¬<lb/> wohnern, schwerer wiegen, als alles, was das ungeheure Russenreich vom<lb/> zehnten bis ins neunzehnte Jahrhundert geschaffen hat. Unter dem Namen<lb/> Renaissance pflegt man jene Leistungen zusammenzufassen, obwohl es gar nicht<lb/> wahr ist, daß sie sämtlich ans dem wiedererweckten Geistesleben der Griechen<lb/> und Römer hervorgegangen sind. Sie sind selbständige Schöpfungen der<lb/> Italiener, und nur auf einen Teil hat der wiedererstandene Geist des Altertums<lb/> anregend, befruchtend und bildend gewirkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_21" next="#ID_22"> Daß dieser Eigenart Italiens die Eigenart Preußens gerade entgegen¬<lb/> gesetzt ist, wurde schon oben angedeutet. Der Italiener will nach seiner Eigen¬<lb/> art thätig sein, vor allem seine eigne Persönlichkeit, Leib und Seele zusammen,<lb/> zum selbständigen Kunstwerk vollenden und sie als solches zur Geltung<lb/> bringen. Der Preuße bescheidet sich, als Glied des Staates einen Lebenszweck<lb/> zu erfüllen, der ihm von oben gesetzt wird, und in seinein Dienste seine Ehre<lb/> zu finden. Italien ist groß durch die Fülle seiner originellen Einzelleistnngen,<lb/> Preußen durch die Unwiderstehlichkeit seiner Massenwirkung. Zudem sich hier<lb/> der einzelne dein Ganzen als Glied einfügt, opfert er freilich seine selbstsüch¬<lb/> tigen Gelüste, leistet aber auch oft genug Verzicht auf die volle Entfaltung<lb/> seiner gutem Anlagen und Kräfte. Selbst des Hochgestellten Thätigreit regelt<lb/> sich nach des Dienstes ewig gleichgestellter Uhr. Die Bindung um diese ewig<lb/> gleichgestellte Uhr des Dienstes ist es eben, was der echte Italiener als un¬<lb/> erträgliche Knechtschaft empfindet. (Den Klagen der Reisenden nach zu urteilen,<lb/> nehmen es sogar manche italienische Bahnbeamte mit der Dienstuhr nicht be¬<lb/> sonders genau.) Will das junge Königreich dem Italiener die preußische<lb/> Disziplin aufzwingen, so wird er entweder diesen Zwang abschütteln, oder in<lb/> jene Dumpfheit und Stumpfheit, oder sofern er zu den stärkeren Geistern ge¬<lb/> hört, in jene Geheimbündelci und Verschwörers zurücksinken, der er unter dem<lb/> iiiunöii rög'imo anheimgefallen war. Wie dessen absolute Herrscher die Kraft<lb/> des Munizipalgeistes bräche»?, ohne deu Bauernstand zu heben (hierin machten<lb/> allerdings die Habslmrg-Lothringer in Toskana und Lombardien eine rühm¬<lb/> liche Ausnahme), so haben sie den Individualismus vorübergehend gefesselt,<lb/> ohne jene Pflichttreue, Ordnungsliebe und gewohnheitsmäßige Unterordnung<lb/> unter die Forderungen des Gemeinwohls zu erzeugen, die uns Norddeutschen<lb/> vou den Hohenzollern anerzogen worden ist. Der gleiche Mißerfolg würde</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
Zur italienischen Krisis
Wie die Ezzeline, die Visconti, die Sforza, die Borgia, in der Verruchtheit
zügelloser Wollust und Grausamkeit, sondern much im eigenartigen Deuten, Em¬
pfinden und Schaffen. So ging aus einem Chaos selbstsüchtiger Bestrebungen jene
Fülle eigenartiger Geister hervor, die auf allen Gebieten der höhern Kultur,
auf allen ohne Ausnahme (schone Künste, Kunstgewerbe, Handel, Bankwesen,
Kriegswissenschaft, Mechanik, Naturwissenschaften, Philosophie) bahnbrechend
gewirkt haben. So kam es, daß die Kulturleistungen von Florenz im drei¬
zehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert, damals eiuer Stadt von 100000 Ein¬
wohnern, schwerer wiegen, als alles, was das ungeheure Russenreich vom
zehnten bis ins neunzehnte Jahrhundert geschaffen hat. Unter dem Namen
Renaissance pflegt man jene Leistungen zusammenzufassen, obwohl es gar nicht
wahr ist, daß sie sämtlich ans dem wiedererweckten Geistesleben der Griechen
und Römer hervorgegangen sind. Sie sind selbständige Schöpfungen der
Italiener, und nur auf einen Teil hat der wiedererstandene Geist des Altertums
anregend, befruchtend und bildend gewirkt.
Daß dieser Eigenart Italiens die Eigenart Preußens gerade entgegen¬
gesetzt ist, wurde schon oben angedeutet. Der Italiener will nach seiner Eigen¬
art thätig sein, vor allem seine eigne Persönlichkeit, Leib und Seele zusammen,
zum selbständigen Kunstwerk vollenden und sie als solches zur Geltung
bringen. Der Preuße bescheidet sich, als Glied des Staates einen Lebenszweck
zu erfüllen, der ihm von oben gesetzt wird, und in seinein Dienste seine Ehre
zu finden. Italien ist groß durch die Fülle seiner originellen Einzelleistnngen,
Preußen durch die Unwiderstehlichkeit seiner Massenwirkung. Zudem sich hier
der einzelne dein Ganzen als Glied einfügt, opfert er freilich seine selbstsüch¬
tigen Gelüste, leistet aber auch oft genug Verzicht auf die volle Entfaltung
seiner gutem Anlagen und Kräfte. Selbst des Hochgestellten Thätigreit regelt
sich nach des Dienstes ewig gleichgestellter Uhr. Die Bindung um diese ewig
gleichgestellte Uhr des Dienstes ist es eben, was der echte Italiener als un¬
erträgliche Knechtschaft empfindet. (Den Klagen der Reisenden nach zu urteilen,
nehmen es sogar manche italienische Bahnbeamte mit der Dienstuhr nicht be¬
sonders genau.) Will das junge Königreich dem Italiener die preußische
Disziplin aufzwingen, so wird er entweder diesen Zwang abschütteln, oder in
jene Dumpfheit und Stumpfheit, oder sofern er zu den stärkeren Geistern ge¬
hört, in jene Geheimbündelci und Verschwörers zurücksinken, der er unter dem
iiiunöii rög'imo anheimgefallen war. Wie dessen absolute Herrscher die Kraft
des Munizipalgeistes bräche»?, ohne deu Bauernstand zu heben (hierin machten
allerdings die Habslmrg-Lothringer in Toskana und Lombardien eine rühm¬
liche Ausnahme), so haben sie den Individualismus vorübergehend gefesselt,
ohne jene Pflichttreue, Ordnungsliebe und gewohnheitsmäßige Unterordnung
unter die Forderungen des Gemeinwohls zu erzeugen, die uns Norddeutschen
vou den Hohenzollern anerzogen worden ist. Der gleiche Mißerfolg würde
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