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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Amalie vo" l^elwig

"Schtvestern von Lesbos" und bezeichnet bannt treffend wie immer den Ein¬
druck, den Erfindung und Vortrag der Dichterin im Leser zurücklassen. Die
Dichtung führt uns auf der Insel Lesbos, die sich vor allen wvgenumrauschten
Inseln lieblicher Weiber rühmt, ein Schwesterpnar, Simaitha und Likoris,
vor, die, der Sitte des Eilands zum Trotz, durch tiefere Liebe mit einander
verbunden sind. Deal auf Lesbos ist es hartes Gesetz, daß die Güter eines
Ehepaars der ältesten Tochter zufallen, die Söhne vom Erbe ausgeschlossen
bleiben, die jungern Schwestern aber gar, zur Ehelosigkeit verdammt, als
Dienerinnen im Hanse der ältern begünstigte" Schwester verweilen müssen.
Die lesbischen Erbinnen haben ans diese Weise die Auswahl unter den schönsten,
stattlichsten Jünglingen, und Simaitha hat sich dem gelbgelockteu Diokles ver¬
lobt, dem sie am nächsten Tage vermählt werden soll, ihr steht es also wohl
zu, die barbarische Sitte zu verteidigen: "Streng ist jedes Gesetz; doch giebt
auch jedes der Milde, der beglückenden, Raum." Sie selbst hat freilich mit
dieser Milde ans ihr hartes Schwesterrecht über Likoris verzichtet, diese wie
eine Gleichberechtigte fröhlich neben sich aufwachsen lassen, und so hat es
geschehen können, daß das jüngere liebliche und leidenschaftliche Mädchen
heimlich eine glühende Liebe für den Verlobten Simaithas gefaßt und genährt
hat. Erst am Vorabend ihrer Hochzeit erlangt Simaitha durch die Plaudereien
der Gespielinnen, durch Likoris selbstverräterisches Verhalten und eine gewisse
befangene Scheu ihres Bräutigams Kenntnis von der Wolke um ihrem Glücks¬
himmel. Diokles, der zwischen den beiden Schwestern etwa steht, wie in
Grillparzers "Snpphv" der junge Phaon zwischen Sappho und Melitta,
empfindet für seine Braut mehr staunende Bewunderung als verlangende Liebe
und täuscht sich noch über die Stärke seiner bereits erwachten Neigung für
Likoris. Durch alle Szenen des Gedichts hindurch wächst nun die schmerz¬
liche Erkenntnis in der Seele Simaithas, die Leidenschaft in Likoris und
Diokles, und beim Hochzeitsfeste, als der Vater Filemos der jüngern Schwester
feierlich ernst "Hymens heilige Fackel, die heiter lodernd den Zug sührt," reicht,
da erträgt Likoris die innere Qual nicht länger, "es sank aus zuckender Hand
die lodernde Fackel, es sanken Fackel und Mädchen zugleich," und Diokles
wirft sich, alles vergessend, an der Pforte zu der heimlich Geliebten nieder,
und als er seiner selbst wieder mächtig ist, gesteht er seine Liebe ein und will
nun die Heimat fliehen. Simaitha aber hat schon zuvor ihren Entschluß
gefaßt, sie durchbricht mit freien Opfer die Schranke des harten Herkommens,
erfleht des Vaters Einwilligung zur Verbindung der Liebenden, weiht am
Altar sich der Hestia und fleht, ihr die Erinnerung des Leids zu tilgen: "und
ich umwinde voll Dankes mir die erheiterte Stirn mit der Priesterin heiliger
Binde."

Mannichfache Geister waren es, die in wunderlichem Reigen die "Schwestern
von Lesbos" umschwebten. Eindrücke ans Goethes "Iphigenie." einzelne


Amalie vo» l^elwig

„Schtvestern von Lesbos" und bezeichnet bannt treffend wie immer den Ein¬
druck, den Erfindung und Vortrag der Dichterin im Leser zurücklassen. Die
Dichtung führt uns auf der Insel Lesbos, die sich vor allen wvgenumrauschten
Inseln lieblicher Weiber rühmt, ein Schwesterpnar, Simaitha und Likoris,
vor, die, der Sitte des Eilands zum Trotz, durch tiefere Liebe mit einander
verbunden sind. Deal auf Lesbos ist es hartes Gesetz, daß die Güter eines
Ehepaars der ältesten Tochter zufallen, die Söhne vom Erbe ausgeschlossen
bleiben, die jungern Schwestern aber gar, zur Ehelosigkeit verdammt, als
Dienerinnen im Hanse der ältern begünstigte» Schwester verweilen müssen.
Die lesbischen Erbinnen haben ans diese Weise die Auswahl unter den schönsten,
stattlichsten Jünglingen, und Simaitha hat sich dem gelbgelockteu Diokles ver¬
lobt, dem sie am nächsten Tage vermählt werden soll, ihr steht es also wohl
zu, die barbarische Sitte zu verteidigen: „Streng ist jedes Gesetz; doch giebt
auch jedes der Milde, der beglückenden, Raum." Sie selbst hat freilich mit
dieser Milde ans ihr hartes Schwesterrecht über Likoris verzichtet, diese wie
eine Gleichberechtigte fröhlich neben sich aufwachsen lassen, und so hat es
geschehen können, daß das jüngere liebliche und leidenschaftliche Mädchen
heimlich eine glühende Liebe für den Verlobten Simaithas gefaßt und genährt
hat. Erst am Vorabend ihrer Hochzeit erlangt Simaitha durch die Plaudereien
der Gespielinnen, durch Likoris selbstverräterisches Verhalten und eine gewisse
befangene Scheu ihres Bräutigams Kenntnis von der Wolke um ihrem Glücks¬
himmel. Diokles, der zwischen den beiden Schwestern etwa steht, wie in
Grillparzers „Snpphv" der junge Phaon zwischen Sappho und Melitta,
empfindet für seine Braut mehr staunende Bewunderung als verlangende Liebe
und täuscht sich noch über die Stärke seiner bereits erwachten Neigung für
Likoris. Durch alle Szenen des Gedichts hindurch wächst nun die schmerz¬
liche Erkenntnis in der Seele Simaithas, die Leidenschaft in Likoris und
Diokles, und beim Hochzeitsfeste, als der Vater Filemos der jüngern Schwester
feierlich ernst „Hymens heilige Fackel, die heiter lodernd den Zug sührt," reicht,
da erträgt Likoris die innere Qual nicht länger, „es sank aus zuckender Hand
die lodernde Fackel, es sanken Fackel und Mädchen zugleich," und Diokles
wirft sich, alles vergessend, an der Pforte zu der heimlich Geliebten nieder,
und als er seiner selbst wieder mächtig ist, gesteht er seine Liebe ein und will
nun die Heimat fliehen. Simaitha aber hat schon zuvor ihren Entschluß
gefaßt, sie durchbricht mit freien Opfer die Schranke des harten Herkommens,
erfleht des Vaters Einwilligung zur Verbindung der Liebenden, weiht am
Altar sich der Hestia und fleht, ihr die Erinnerung des Leids zu tilgen: „und
ich umwinde voll Dankes mir die erheiterte Stirn mit der Priesterin heiliger
Binde."

Mannichfache Geister waren es, die in wunderlichem Reigen die „Schwestern
von Lesbos" umschwebten. Eindrücke ans Goethes „Iphigenie." einzelne


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[0139] Amalie vo» l^elwig „Schtvestern von Lesbos" und bezeichnet bannt treffend wie immer den Ein¬ druck, den Erfindung und Vortrag der Dichterin im Leser zurücklassen. Die Dichtung führt uns auf der Insel Lesbos, die sich vor allen wvgenumrauschten Inseln lieblicher Weiber rühmt, ein Schwesterpnar, Simaitha und Likoris, vor, die, der Sitte des Eilands zum Trotz, durch tiefere Liebe mit einander verbunden sind. Deal auf Lesbos ist es hartes Gesetz, daß die Güter eines Ehepaars der ältesten Tochter zufallen, die Söhne vom Erbe ausgeschlossen bleiben, die jungern Schwestern aber gar, zur Ehelosigkeit verdammt, als Dienerinnen im Hanse der ältern begünstigte» Schwester verweilen müssen. Die lesbischen Erbinnen haben ans diese Weise die Auswahl unter den schönsten, stattlichsten Jünglingen, und Simaitha hat sich dem gelbgelockteu Diokles ver¬ lobt, dem sie am nächsten Tage vermählt werden soll, ihr steht es also wohl zu, die barbarische Sitte zu verteidigen: „Streng ist jedes Gesetz; doch giebt auch jedes der Milde, der beglückenden, Raum." Sie selbst hat freilich mit dieser Milde ans ihr hartes Schwesterrecht über Likoris verzichtet, diese wie eine Gleichberechtigte fröhlich neben sich aufwachsen lassen, und so hat es geschehen können, daß das jüngere liebliche und leidenschaftliche Mädchen heimlich eine glühende Liebe für den Verlobten Simaithas gefaßt und genährt hat. Erst am Vorabend ihrer Hochzeit erlangt Simaitha durch die Plaudereien der Gespielinnen, durch Likoris selbstverräterisches Verhalten und eine gewisse befangene Scheu ihres Bräutigams Kenntnis von der Wolke um ihrem Glücks¬ himmel. Diokles, der zwischen den beiden Schwestern etwa steht, wie in Grillparzers „Snpphv" der junge Phaon zwischen Sappho und Melitta, empfindet für seine Braut mehr staunende Bewunderung als verlangende Liebe und täuscht sich noch über die Stärke seiner bereits erwachten Neigung für Likoris. Durch alle Szenen des Gedichts hindurch wächst nun die schmerz¬ liche Erkenntnis in der Seele Simaithas, die Leidenschaft in Likoris und Diokles, und beim Hochzeitsfeste, als der Vater Filemos der jüngern Schwester feierlich ernst „Hymens heilige Fackel, die heiter lodernd den Zug sührt," reicht, da erträgt Likoris die innere Qual nicht länger, „es sank aus zuckender Hand die lodernde Fackel, es sanken Fackel und Mädchen zugleich," und Diokles wirft sich, alles vergessend, an der Pforte zu der heimlich Geliebten nieder, und als er seiner selbst wieder mächtig ist, gesteht er seine Liebe ein und will nun die Heimat fliehen. Simaitha aber hat schon zuvor ihren Entschluß gefaßt, sie durchbricht mit freien Opfer die Schranke des harten Herkommens, erfleht des Vaters Einwilligung zur Verbindung der Liebenden, weiht am Altar sich der Hestia und fleht, ihr die Erinnerung des Leids zu tilgen: „und ich umwinde voll Dankes mir die erheiterte Stirn mit der Priesterin heiliger Binde." Mannichfache Geister waren es, die in wunderlichem Reigen die „Schwestern von Lesbos" umschwebten. Eindrücke ans Goethes „Iphigenie." einzelne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/139>, abgerufen am 05.02.2025.