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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Manzoni und Goethe

feindlich gegenübersteht und in dem er doch das einzige Heil für die Zukunft
Italiens erblickt, hiu und hergezogene und dadurch mit sich selbst uneinige
Adelchi kein tragischer Held. Ebenso unbefriedigend erscheint die Katastrophe
mit der thatlosen Ergebung des Helden in den Schluß des Schicksals und
dem leidigen Troste, daß man in dieser wilden Zeit nicht König sein könne,
ohne selbst wild und grausam zu sein. Im einzelnen dagegen enthält das
Trauerspiel noch größere Schönheiten als der "Graf von Carmagnola":
namentlich gehören die beiden Chöre, so wenig sie mit dem ganzen Geist und
Inhalt des Stückes übereinstimmen, nach Form und Inhalt zu dein Schönsten,
was dje italienische Lyrik der Neuzeit geschaffen hat.

Als Eckermann am 15). Juli 1827 zu Goethe kam, zeigte ihm dieser voller
Freude die drei Bände von Mnnzvnis eben erschienenen Roman I?roni6i-Li
sposi, die ihm der Dichter selbst mit einer Widmung zugesandt hatte. Drei
Tage nachher empfing er den jungen Freund mit den Worten: "Manzonis Roman
übersteigt alles, was wir in dieser Art kennen." Die Lektüre fesselte ihn so,
daß er das Buch fast in einem Zuge durchlas. lind noch lange beschäftigte
es seinen Geist. Es erschien ihm "als ein echt menschliches und doch wieder
echt italienisches Werk." Die Verwickelung wie die Lösung des romantischen
Geflechtes sagte ihm außerordentlich zu. Die Angst, die die Tragödie nach
der nristotelischeu Theorie erregen und von der sie doch auch wieder befreien
soll (eine Theorie, die nach Goethe ebenso gut für die epische Poesie und den
Roman Geltung hat), erblickt er in den ,.Verlobten" in hohem Grade erregt,
dann in Rührung aufgelöst und durch diese zur Bewunderung führend. Vier
Dinge, meint er, hätten Manzoni besonders in den Stand gesetzt, etwas so
Vollkommenes zu leisten: die katholische Religion, die revolutionären Reibungen,
durch die er in der Person seiner Freunde gelitten habe, seine genaue Bekanntschaft
mit dein Boden, auf dem die Erzählung spielt (der Umgebung des Comerfees),,
endlich daß er ein ausgezeichneter Geschichtsforscher sei. Als er aber weiter
las, fand er, daß der Geschichtsschreiber dein Dichter einen bösen Streich
gespielt habe. "Manzoni zieht den Rock des Poeten aus und steht eine ganze
Weile als nackter Historiker dn, beschreibt Krieg, Hungersnot und Pestilenz."
Was ihm aber als ein Fehler an dem sonst so gepriesenen Kunstwerk erscheint,
sucht er zu erkläre!, und zu entschuldigen. "Unsre Zeit ist so schlecht, daß
dem Dichter im umgebenden Leben keine brauchbare Natur mehr begegnet.
Um sich aufzuerbaueu, griff Schiller zur Philosophie und Geschichte, Manzoni
zur Geschichte allein. Aber wie im Wallenstein Philosophie und Geschichte
dem Werke an verschiednen Stellen im Wege sind, so leidet Manzoni durch
ein Übergewicht der Geschichte."

Daß die allerdings bis ins eiuzelnste sorgfältig ausgeführten geschichtliche"
Gemälde des Romans, in wie innige Verbindung sie auch der Dichter mit
seiner erfundenen Erzählung zu setzen versteht, dem Verfasser des "Wilhelm


Manzoni und Goethe

feindlich gegenübersteht und in dem er doch das einzige Heil für die Zukunft
Italiens erblickt, hiu und hergezogene und dadurch mit sich selbst uneinige
Adelchi kein tragischer Held. Ebenso unbefriedigend erscheint die Katastrophe
mit der thatlosen Ergebung des Helden in den Schluß des Schicksals und
dem leidigen Troste, daß man in dieser wilden Zeit nicht König sein könne,
ohne selbst wild und grausam zu sein. Im einzelnen dagegen enthält das
Trauerspiel noch größere Schönheiten als der „Graf von Carmagnola":
namentlich gehören die beiden Chöre, so wenig sie mit dem ganzen Geist und
Inhalt des Stückes übereinstimmen, nach Form und Inhalt zu dein Schönsten,
was dje italienische Lyrik der Neuzeit geschaffen hat.

Als Eckermann am 15). Juli 1827 zu Goethe kam, zeigte ihm dieser voller
Freude die drei Bände von Mnnzvnis eben erschienenen Roman I?roni6i-Li
sposi, die ihm der Dichter selbst mit einer Widmung zugesandt hatte. Drei
Tage nachher empfing er den jungen Freund mit den Worten: „Manzonis Roman
übersteigt alles, was wir in dieser Art kennen." Die Lektüre fesselte ihn so,
daß er das Buch fast in einem Zuge durchlas. lind noch lange beschäftigte
es seinen Geist. Es erschien ihm „als ein echt menschliches und doch wieder
echt italienisches Werk." Die Verwickelung wie die Lösung des romantischen
Geflechtes sagte ihm außerordentlich zu. Die Angst, die die Tragödie nach
der nristotelischeu Theorie erregen und von der sie doch auch wieder befreien
soll (eine Theorie, die nach Goethe ebenso gut für die epische Poesie und den
Roman Geltung hat), erblickt er in den ,.Verlobten" in hohem Grade erregt,
dann in Rührung aufgelöst und durch diese zur Bewunderung führend. Vier
Dinge, meint er, hätten Manzoni besonders in den Stand gesetzt, etwas so
Vollkommenes zu leisten: die katholische Religion, die revolutionären Reibungen,
durch die er in der Person seiner Freunde gelitten habe, seine genaue Bekanntschaft
mit dein Boden, auf dem die Erzählung spielt (der Umgebung des Comerfees),,
endlich daß er ein ausgezeichneter Geschichtsforscher sei. Als er aber weiter
las, fand er, daß der Geschichtsschreiber dein Dichter einen bösen Streich
gespielt habe. „Manzoni zieht den Rock des Poeten aus und steht eine ganze
Weile als nackter Historiker dn, beschreibt Krieg, Hungersnot und Pestilenz."
Was ihm aber als ein Fehler an dem sonst so gepriesenen Kunstwerk erscheint,
sucht er zu erkläre!, und zu entschuldigen. „Unsre Zeit ist so schlecht, daß
dem Dichter im umgebenden Leben keine brauchbare Natur mehr begegnet.
Um sich aufzuerbaueu, griff Schiller zur Philosophie und Geschichte, Manzoni
zur Geschichte allein. Aber wie im Wallenstein Philosophie und Geschichte
dem Werke an verschiednen Stellen im Wege sind, so leidet Manzoni durch
ein Übergewicht der Geschichte."

Daß die allerdings bis ins eiuzelnste sorgfältig ausgeführten geschichtliche«
Gemälde des Romans, in wie innige Verbindung sie auch der Dichter mit
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[0128] Manzoni und Goethe feindlich gegenübersteht und in dem er doch das einzige Heil für die Zukunft Italiens erblickt, hiu und hergezogene und dadurch mit sich selbst uneinige Adelchi kein tragischer Held. Ebenso unbefriedigend erscheint die Katastrophe mit der thatlosen Ergebung des Helden in den Schluß des Schicksals und dem leidigen Troste, daß man in dieser wilden Zeit nicht König sein könne, ohne selbst wild und grausam zu sein. Im einzelnen dagegen enthält das Trauerspiel noch größere Schönheiten als der „Graf von Carmagnola": namentlich gehören die beiden Chöre, so wenig sie mit dem ganzen Geist und Inhalt des Stückes übereinstimmen, nach Form und Inhalt zu dein Schönsten, was dje italienische Lyrik der Neuzeit geschaffen hat. Als Eckermann am 15). Juli 1827 zu Goethe kam, zeigte ihm dieser voller Freude die drei Bände von Mnnzvnis eben erschienenen Roman I?roni6i-Li sposi, die ihm der Dichter selbst mit einer Widmung zugesandt hatte. Drei Tage nachher empfing er den jungen Freund mit den Worten: „Manzonis Roman übersteigt alles, was wir in dieser Art kennen." Die Lektüre fesselte ihn so, daß er das Buch fast in einem Zuge durchlas. lind noch lange beschäftigte es seinen Geist. Es erschien ihm „als ein echt menschliches und doch wieder echt italienisches Werk." Die Verwickelung wie die Lösung des romantischen Geflechtes sagte ihm außerordentlich zu. Die Angst, die die Tragödie nach der nristotelischeu Theorie erregen und von der sie doch auch wieder befreien soll (eine Theorie, die nach Goethe ebenso gut für die epische Poesie und den Roman Geltung hat), erblickt er in den ,.Verlobten" in hohem Grade erregt, dann in Rührung aufgelöst und durch diese zur Bewunderung führend. Vier Dinge, meint er, hätten Manzoni besonders in den Stand gesetzt, etwas so Vollkommenes zu leisten: die katholische Religion, die revolutionären Reibungen, durch die er in der Person seiner Freunde gelitten habe, seine genaue Bekanntschaft mit dein Boden, auf dem die Erzählung spielt (der Umgebung des Comerfees),, endlich daß er ein ausgezeichneter Geschichtsforscher sei. Als er aber weiter las, fand er, daß der Geschichtsschreiber dein Dichter einen bösen Streich gespielt habe. „Manzoni zieht den Rock des Poeten aus und steht eine ganze Weile als nackter Historiker dn, beschreibt Krieg, Hungersnot und Pestilenz." Was ihm aber als ein Fehler an dem sonst so gepriesenen Kunstwerk erscheint, sucht er zu erkläre!, und zu entschuldigen. „Unsre Zeit ist so schlecht, daß dem Dichter im umgebenden Leben keine brauchbare Natur mehr begegnet. Um sich aufzuerbaueu, griff Schiller zur Philosophie und Geschichte, Manzoni zur Geschichte allein. Aber wie im Wallenstein Philosophie und Geschichte dem Werke an verschiednen Stellen im Wege sind, so leidet Manzoni durch ein Übergewicht der Geschichte." Daß die allerdings bis ins eiuzelnste sorgfältig ausgeführten geschichtliche« Gemälde des Romans, in wie innige Verbindung sie auch der Dichter mit seiner erfundenen Erzählung zu setzen versteht, dem Verfasser des „Wilhelm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/128>, abgerufen am 05.02.2025.