Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

können nicht finden, daß die Überhebung weniger gelungen sei als die ver¬
öffentlichte des Mvnolvgs ans dein '"Adelchi."' Beide geben deu Geist de5
Originals getreu wieder; beide leiden auch um jenen sprachlichen Härten, jener
gezwungenen Ausdrucksweise, die uns in der Ode "Der fünfte Mai" entgegen¬
traten, und sind auch wie diese nicht ganz frei von Ungennuigkeiteu in der
Übertragung einzelner Stellen.

Goethe stellte den "Adelchi" über alle zeitgenössische deutschen Dramen.
In dem erwähnten Briefe an Schultz sagt er: ,,Es wird mir ein angenehmes
Geschäft sein, auch diese Arbeit zu entwickeln. Ach, warum kann man denn
uicht einem deutschen Zeitgenossen den gleichen Liebesdienst erweisen?"

Bei der Besprechung des "Carmagnola" erwähnt Goethe, daß er, wenn
er noch in der Lage dazu wäre, das Stück gern auf die deutsche Bühne bringen
würde und ihm dort einen dauernden Platz zu verschaffen hoffe, wenn er auch
zugiebt, daß die Tragödie Manzvnis nie ein populäres Zug- und Kassenstück
werden würde. Betreffs des "Adelchi" findet sich keine ähnliche Äußerung.
In der That würden beide Dramen höchst wahrscheinlich ans dem deutschen
Theater ebensowenig Fuß gefaßt haben, wie dies ans dem italienischen der
Fall gewesen ist. Der ,,Graf von Carmagnvla" errang in Florenz und Mai¬
land kann, einen Achtungserfolg, "Adelchi" fiel in Turin vollständig dnrch,
allerdings wohl nicht ohne Mitschuld der Regie und der Schauspieler. In
der That sind beide Stücke nicht nur Caviar fürs Volk der gewöhnlichen
Theaterbesucher; die langen Reden ohne lebendiges Wechselgespräch, der Mangel
einer stetig und lebendig fortschreitenden, der Katastrophe zudrängenden Hand¬
lung und einer dadurch sich fortwährend steigernden Spannung des Zuschauers,
infolge der allzuzahlreichen retardirenden Momente und episodischen Szenen,
der Umstand, daß, wie Wilhelm Lang mit Recht hervorhebt,^) der .Konflikt,
der in die Seele des Helden gelegt ist, nicht genügend zur äußern Erscheinung
kommt, stehen der Bühnenwirkung namentlich des "Adelchi" anch bei dein
urteilsfähigen Publikum hindernd entgegen.

Allerdings ist "Adelchi" in weit höherem Sinne ein historisches Trauer¬
spiel als der "Graf von Carmagnvla," insofern er ein für Italiens Zukunft auf
Jahrhunderte hinaus entscheidendes Ereignis, den Sturz der Laugvbardenherrschaft
auf der Halbinsel durch die Franken unter Karl dem Großen, zum Gegenstande
hat; er ist es dagegen weit weniger als die erste Tragödie, insofern der Held eine
nur aus der Phantasie des Dichters hervorgegangene Gestalt und noch dazu
eine solche ist, die weder in den Rahmen der Zeit noch des Stückes selbst
paßt. Eine Art langobardischer Hamlet ist der tapfere, hochsinnige, aber von
der Liebe und Treue gegen seinen Vater und sein Volk einerseits, der Ver¬
ehrung der Kirche nud des Papstes anderseits, der der Langobardenherrschaft



*) Alessandro Marzan und die italienische Romantik. Preußische Jahrbücher 1874. Heft I.

können nicht finden, daß die Überhebung weniger gelungen sei als die ver¬
öffentlichte des Mvnolvgs ans dein '„Adelchi."' Beide geben deu Geist de5
Originals getreu wieder; beide leiden auch um jenen sprachlichen Härten, jener
gezwungenen Ausdrucksweise, die uns in der Ode „Der fünfte Mai" entgegen¬
traten, und sind auch wie diese nicht ganz frei von Ungennuigkeiteu in der
Übertragung einzelner Stellen.

Goethe stellte den „Adelchi" über alle zeitgenössische deutschen Dramen.
In dem erwähnten Briefe an Schultz sagt er: ,,Es wird mir ein angenehmes
Geschäft sein, auch diese Arbeit zu entwickeln. Ach, warum kann man denn
uicht einem deutschen Zeitgenossen den gleichen Liebesdienst erweisen?"

Bei der Besprechung des „Carmagnola" erwähnt Goethe, daß er, wenn
er noch in der Lage dazu wäre, das Stück gern auf die deutsche Bühne bringen
würde und ihm dort einen dauernden Platz zu verschaffen hoffe, wenn er auch
zugiebt, daß die Tragödie Manzvnis nie ein populäres Zug- und Kassenstück
werden würde. Betreffs des „Adelchi" findet sich keine ähnliche Äußerung.
In der That würden beide Dramen höchst wahrscheinlich ans dem deutschen
Theater ebensowenig Fuß gefaßt haben, wie dies ans dem italienischen der
Fall gewesen ist. Der ,,Graf von Carmagnvla" errang in Florenz und Mai¬
land kann, einen Achtungserfolg, „Adelchi" fiel in Turin vollständig dnrch,
allerdings wohl nicht ohne Mitschuld der Regie und der Schauspieler. In
der That sind beide Stücke nicht nur Caviar fürs Volk der gewöhnlichen
Theaterbesucher; die langen Reden ohne lebendiges Wechselgespräch, der Mangel
einer stetig und lebendig fortschreitenden, der Katastrophe zudrängenden Hand¬
lung und einer dadurch sich fortwährend steigernden Spannung des Zuschauers,
infolge der allzuzahlreichen retardirenden Momente und episodischen Szenen,
der Umstand, daß, wie Wilhelm Lang mit Recht hervorhebt,^) der .Konflikt,
der in die Seele des Helden gelegt ist, nicht genügend zur äußern Erscheinung
kommt, stehen der Bühnenwirkung namentlich des „Adelchi" anch bei dein
urteilsfähigen Publikum hindernd entgegen.

Allerdings ist „Adelchi" in weit höherem Sinne ein historisches Trauer¬
spiel als der „Graf von Carmagnvla," insofern er ein für Italiens Zukunft auf
Jahrhunderte hinaus entscheidendes Ereignis, den Sturz der Laugvbardenherrschaft
auf der Halbinsel durch die Franken unter Karl dem Großen, zum Gegenstande
hat; er ist es dagegen weit weniger als die erste Tragödie, insofern der Held eine
nur aus der Phantasie des Dichters hervorgegangene Gestalt und noch dazu
eine solche ist, die weder in den Rahmen der Zeit noch des Stückes selbst
paßt. Eine Art langobardischer Hamlet ist der tapfere, hochsinnige, aber von
der Liebe und Treue gegen seinen Vater und sein Volk einerseits, der Ver¬
ehrung der Kirche nud des Papstes anderseits, der der Langobardenherrschaft



*) Alessandro Marzan und die italienische Romantik. Preußische Jahrbücher 1874. Heft I.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0127" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204858"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_310" prev="#ID_309"> können nicht finden, daß die Überhebung weniger gelungen sei als die ver¬<lb/>
öffentlichte des Mvnolvgs ans dein '&#x201E;Adelchi."' Beide geben deu Geist de5<lb/>
Originals getreu wieder; beide leiden auch um jenen sprachlichen Härten, jener<lb/>
gezwungenen Ausdrucksweise, die uns in der Ode &#x201E;Der fünfte Mai" entgegen¬<lb/>
traten, und sind auch wie diese nicht ganz frei von Ungennuigkeiteu in der<lb/>
Übertragung einzelner Stellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_311"> Goethe stellte den &#x201E;Adelchi" über alle zeitgenössische deutschen Dramen.<lb/>
In dem erwähnten Briefe an Schultz sagt er: ,,Es wird mir ein angenehmes<lb/>
Geschäft sein, auch diese Arbeit zu entwickeln. Ach, warum kann man denn<lb/>
uicht einem deutschen Zeitgenossen den gleichen Liebesdienst erweisen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312"> Bei der Besprechung des &#x201E;Carmagnola" erwähnt Goethe, daß er, wenn<lb/>
er noch in der Lage dazu wäre, das Stück gern auf die deutsche Bühne bringen<lb/>
würde und ihm dort einen dauernden Platz zu verschaffen hoffe, wenn er auch<lb/>
zugiebt, daß die Tragödie Manzvnis nie ein populäres Zug- und Kassenstück<lb/>
werden würde. Betreffs des &#x201E;Adelchi" findet sich keine ähnliche Äußerung.<lb/>
In der That würden beide Dramen höchst wahrscheinlich ans dem deutschen<lb/>
Theater ebensowenig Fuß gefaßt haben, wie dies ans dem italienischen der<lb/>
Fall gewesen ist. Der ,,Graf von Carmagnvla" errang in Florenz und Mai¬<lb/>
land kann, einen Achtungserfolg, &#x201E;Adelchi" fiel in Turin vollständig dnrch,<lb/>
allerdings wohl nicht ohne Mitschuld der Regie und der Schauspieler. In<lb/>
der That sind beide Stücke nicht nur Caviar fürs Volk der gewöhnlichen<lb/>
Theaterbesucher; die langen Reden ohne lebendiges Wechselgespräch, der Mangel<lb/>
einer stetig und lebendig fortschreitenden, der Katastrophe zudrängenden Hand¬<lb/>
lung und einer dadurch sich fortwährend steigernden Spannung des Zuschauers,<lb/>
infolge der allzuzahlreichen retardirenden Momente und episodischen Szenen,<lb/>
der Umstand, daß, wie Wilhelm Lang mit Recht hervorhebt,^) der .Konflikt,<lb/>
der in die Seele des Helden gelegt ist, nicht genügend zur äußern Erscheinung<lb/>
kommt, stehen der Bühnenwirkung namentlich des &#x201E;Adelchi" anch bei dein<lb/>
urteilsfähigen Publikum hindernd entgegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_313" next="#ID_314"> Allerdings ist &#x201E;Adelchi" in weit höherem Sinne ein historisches Trauer¬<lb/>
spiel als der &#x201E;Graf von Carmagnvla," insofern er ein für Italiens Zukunft auf<lb/>
Jahrhunderte hinaus entscheidendes Ereignis, den Sturz der Laugvbardenherrschaft<lb/>
auf der Halbinsel durch die Franken unter Karl dem Großen, zum Gegenstande<lb/>
hat; er ist es dagegen weit weniger als die erste Tragödie, insofern der Held eine<lb/>
nur aus der Phantasie des Dichters hervorgegangene Gestalt und noch dazu<lb/>
eine solche ist, die weder in den Rahmen der Zeit noch des Stückes selbst<lb/>
paßt. Eine Art langobardischer Hamlet ist der tapfere, hochsinnige, aber von<lb/>
der Liebe und Treue gegen seinen Vater und sein Volk einerseits, der Ver¬<lb/>
ehrung der Kirche nud des Papstes anderseits, der der Langobardenherrschaft</p><lb/>
          <note xml:id="FID_13" place="foot"> *) Alessandro Marzan und die italienische Romantik. Preußische Jahrbücher 1874. Heft I.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0127] können nicht finden, daß die Überhebung weniger gelungen sei als die ver¬ öffentlichte des Mvnolvgs ans dein '„Adelchi."' Beide geben deu Geist de5 Originals getreu wieder; beide leiden auch um jenen sprachlichen Härten, jener gezwungenen Ausdrucksweise, die uns in der Ode „Der fünfte Mai" entgegen¬ traten, und sind auch wie diese nicht ganz frei von Ungennuigkeiteu in der Übertragung einzelner Stellen. Goethe stellte den „Adelchi" über alle zeitgenössische deutschen Dramen. In dem erwähnten Briefe an Schultz sagt er: ,,Es wird mir ein angenehmes Geschäft sein, auch diese Arbeit zu entwickeln. Ach, warum kann man denn uicht einem deutschen Zeitgenossen den gleichen Liebesdienst erweisen?" Bei der Besprechung des „Carmagnola" erwähnt Goethe, daß er, wenn er noch in der Lage dazu wäre, das Stück gern auf die deutsche Bühne bringen würde und ihm dort einen dauernden Platz zu verschaffen hoffe, wenn er auch zugiebt, daß die Tragödie Manzvnis nie ein populäres Zug- und Kassenstück werden würde. Betreffs des „Adelchi" findet sich keine ähnliche Äußerung. In der That würden beide Dramen höchst wahrscheinlich ans dem deutschen Theater ebensowenig Fuß gefaßt haben, wie dies ans dem italienischen der Fall gewesen ist. Der ,,Graf von Carmagnvla" errang in Florenz und Mai¬ land kann, einen Achtungserfolg, „Adelchi" fiel in Turin vollständig dnrch, allerdings wohl nicht ohne Mitschuld der Regie und der Schauspieler. In der That sind beide Stücke nicht nur Caviar fürs Volk der gewöhnlichen Theaterbesucher; die langen Reden ohne lebendiges Wechselgespräch, der Mangel einer stetig und lebendig fortschreitenden, der Katastrophe zudrängenden Hand¬ lung und einer dadurch sich fortwährend steigernden Spannung des Zuschauers, infolge der allzuzahlreichen retardirenden Momente und episodischen Szenen, der Umstand, daß, wie Wilhelm Lang mit Recht hervorhebt,^) der .Konflikt, der in die Seele des Helden gelegt ist, nicht genügend zur äußern Erscheinung kommt, stehen der Bühnenwirkung namentlich des „Adelchi" anch bei dein urteilsfähigen Publikum hindernd entgegen. Allerdings ist „Adelchi" in weit höherem Sinne ein historisches Trauer¬ spiel als der „Graf von Carmagnvla," insofern er ein für Italiens Zukunft auf Jahrhunderte hinaus entscheidendes Ereignis, den Sturz der Laugvbardenherrschaft auf der Halbinsel durch die Franken unter Karl dem Großen, zum Gegenstande hat; er ist es dagegen weit weniger als die erste Tragödie, insofern der Held eine nur aus der Phantasie des Dichters hervorgegangene Gestalt und noch dazu eine solche ist, die weder in den Rahmen der Zeit noch des Stückes selbst paßt. Eine Art langobardischer Hamlet ist der tapfere, hochsinnige, aber von der Liebe und Treue gegen seinen Vater und sein Volk einerseits, der Ver¬ ehrung der Kirche nud des Papstes anderseits, der der Langobardenherrschaft *) Alessandro Marzan und die italienische Romantik. Preußische Jahrbücher 1874. Heft I.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/127
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/127>, abgerufen am 05.02.2025.