Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Zur italienischen 'Krisis Von Jahr zu Jahr unerträglicher geworden. In England und in denjenigen Im Mittelalter konnte der Ackerbau vernachlässigt werden und das Volk Zur italienischen 'Krisis Von Jahr zu Jahr unerträglicher geworden. In England und in denjenigen Im Mittelalter konnte der Ackerbau vernachlässigt werden und das Volk <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204742"/> <fw type="header" place="top"> Zur italienischen 'Krisis</fw><lb/> <p xml:id="ID_9" prev="#ID_8"> Von Jahr zu Jahr unerträglicher geworden. In England und in denjenigen<lb/> Gegenden Deutschlands, wo vor der großen preußischen Agrarreform der Feu¬<lb/> dalismus überwog, blieben die Grundherren doch wenigstens Landedelleute.<lb/> Sie wohnten einen großen Teil des Jahres, wenn nicht das ganze Jahr über,<lb/> auf ihren Gütern, kümmerten sich um deren Zustand und wurden schon hier¬<lb/> durch genötigt, auch der Lage der Leute ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Im<lb/> bestündigen Umgange mit diesen konnte aber auch das rein menschliche Inter¬<lb/> esse und die Ankimpfung von mancherlei persönlichen Beziehungen nicht aus¬<lb/> bleiben. In Italien dagegen sind bei der Zerstörung des Feudalsystems (zwölftes<lb/> bis vierzehntes Jahrhundert) die Edelleute in die Stadt gezogen, dort Partei-<lb/> hnupter geworden, haben sich an städtisches Leben gewöhnt, und die Beziehungen<lb/> zu ihren Gütern beschränkten sich auf einen Sonunernufeuthalt und auf die<lb/> finanzielle Ausbeutung durch Generalbevollmächtigte. So stehen die meisten<lb/> italienischen Bauern in einem ganz ähnlichen Verhältnis zu ihren Grundherren,<lb/> wie die irischen Pächter zu den englischen Landlords. In Toskana hat sich<lb/> ein schöneres Verhältnis erhalten ans zwei Gründen, erstens wegen der un-<lb/> gebornen Milde und Güte der Florentiner, die aus unzähligen Begebenheiten<lb/> und Einrichtungen hervorleuchtet. Ju Hungersnöten z. B. versorgten „die<lb/> guten Florentiner Brüger," wie der wackre Villani mit sichtlicher Freude zum<lb/> Jahre 15Z28 erzählt, nicht allein ihre eignen Armen, so daß niemand zu darben<lb/> brauchte, sondern speisten auch die von weither zusninmenströmendcn Vettler-<lb/> scharen. Zweitens weil die Beherrscherin Toskanas, Florenz, keine Seestadt<lb/> war, daher auf guten Anbau seines Cvutndv halten mußte, während Venedig<lb/> die zeitweilige Berwiistuug seines Distrikts ziemlich gleichgiltig ansehen konnte,<lb/> weil es Getreide für sein eignes Volk und zur Ausfuhr von den Küsten des<lb/> Schwarzen Meeres weit billiger bezog, als es das benachbarte Heunische Fest¬<lb/> land selbst in guten Jahren ihm lieferte. Leider beginnt auch in Toskana das<lb/> schöne Verhältnis zu schwinden. Souuiuo klagt in der erwähnten Abhandlung<lb/> über die wachsende Zahl jener Herren, die ihre Einnahmen nicht mit ihren<lb/> Ausgaben in Einklang zu bringen verstehen, nur jeden Preis höhere Erträge<lb/> herausschlagen wollen und daher ihre Güter um liebsten an den Meistbietenden<lb/> verpachten, unbekümmert darum, was aus dem Acker und was aus den bis¬<lb/> herigen Pächter» wird. Dazu kommt, daß durch die politische Bewegung, die<lb/> zur Befreiung und Einigung Italiens führte, die Herrschaft des Stadtadels,<lb/> der Litteraten, der Juristen vollendet ward. Was etwa noch von gebildeten<lb/> ländlichen Elementen vorhanden ist, das findet sich nahezu ausgeschlossen vom<lb/> politische!, Leben. „Einige Grundbesitzer mehr, und einige Advokaten weniger<lb/> im Gemeinderat und in der Kammer wäre das Gegenteil eines Unglücks für<lb/> das Land," sagt Sonninv. Seit 1874 ist es damit eher schlimmer als besser<lb/> geworden. (3s,wrÄs,zö ü-voi^v vom 2. März 188!): Naxlss in 1883.)</p><lb/> <p xml:id="ID_10" next="#ID_11"> Im Mittelalter konnte der Ackerbau vernachlässigt werden und das Volk</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Zur italienischen 'Krisis
Von Jahr zu Jahr unerträglicher geworden. In England und in denjenigen
Gegenden Deutschlands, wo vor der großen preußischen Agrarreform der Feu¬
dalismus überwog, blieben die Grundherren doch wenigstens Landedelleute.
Sie wohnten einen großen Teil des Jahres, wenn nicht das ganze Jahr über,
auf ihren Gütern, kümmerten sich um deren Zustand und wurden schon hier¬
durch genötigt, auch der Lage der Leute ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Im
bestündigen Umgange mit diesen konnte aber auch das rein menschliche Inter¬
esse und die Ankimpfung von mancherlei persönlichen Beziehungen nicht aus¬
bleiben. In Italien dagegen sind bei der Zerstörung des Feudalsystems (zwölftes
bis vierzehntes Jahrhundert) die Edelleute in die Stadt gezogen, dort Partei-
hnupter geworden, haben sich an städtisches Leben gewöhnt, und die Beziehungen
zu ihren Gütern beschränkten sich auf einen Sonunernufeuthalt und auf die
finanzielle Ausbeutung durch Generalbevollmächtigte. So stehen die meisten
italienischen Bauern in einem ganz ähnlichen Verhältnis zu ihren Grundherren,
wie die irischen Pächter zu den englischen Landlords. In Toskana hat sich
ein schöneres Verhältnis erhalten ans zwei Gründen, erstens wegen der un-
gebornen Milde und Güte der Florentiner, die aus unzähligen Begebenheiten
und Einrichtungen hervorleuchtet. Ju Hungersnöten z. B. versorgten „die
guten Florentiner Brüger," wie der wackre Villani mit sichtlicher Freude zum
Jahre 15Z28 erzählt, nicht allein ihre eignen Armen, so daß niemand zu darben
brauchte, sondern speisten auch die von weither zusninmenströmendcn Vettler-
scharen. Zweitens weil die Beherrscherin Toskanas, Florenz, keine Seestadt
war, daher auf guten Anbau seines Cvutndv halten mußte, während Venedig
die zeitweilige Berwiistuug seines Distrikts ziemlich gleichgiltig ansehen konnte,
weil es Getreide für sein eignes Volk und zur Ausfuhr von den Küsten des
Schwarzen Meeres weit billiger bezog, als es das benachbarte Heunische Fest¬
land selbst in guten Jahren ihm lieferte. Leider beginnt auch in Toskana das
schöne Verhältnis zu schwinden. Souuiuo klagt in der erwähnten Abhandlung
über die wachsende Zahl jener Herren, die ihre Einnahmen nicht mit ihren
Ausgaben in Einklang zu bringen verstehen, nur jeden Preis höhere Erträge
herausschlagen wollen und daher ihre Güter um liebsten an den Meistbietenden
verpachten, unbekümmert darum, was aus dem Acker und was aus den bis¬
herigen Pächter» wird. Dazu kommt, daß durch die politische Bewegung, die
zur Befreiung und Einigung Italiens führte, die Herrschaft des Stadtadels,
der Litteraten, der Juristen vollendet ward. Was etwa noch von gebildeten
ländlichen Elementen vorhanden ist, das findet sich nahezu ausgeschlossen vom
politische!, Leben. „Einige Grundbesitzer mehr, und einige Advokaten weniger
im Gemeinderat und in der Kammer wäre das Gegenteil eines Unglücks für
das Land," sagt Sonninv. Seit 1874 ist es damit eher schlimmer als besser
geworden. (3s,wrÄs,zö ü-voi^v vom 2. März 188!): Naxlss in 1883.)
Im Mittelalter konnte der Ackerbau vernachlässigt werden und das Volk
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |