Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ano italienischen Krisis

hat ihm ein litterarisches Denkmal gesetzt.) In dieser Gedächtnisrede nun kommt
(Akademische Vorträge II, 247) eine merkwürdige Stelle vor. Döllinger er¬
zählt, wie noch im Jahre 1859 die leitenden Geister Italiens nicht den Ein¬
heitsstaat, sondern einen Staatenbund als Ziel im Auge gehabt Hütten, und
führt dann fort: "Hier ist mir nun Ccivvonis Haltung rütselhaft geblieben,
und ich habe mir nie erklären können, weshalb der sonst so klare und weit
blickende Mann um diesem Trugbilde festhielt. Er sei, sagt Capponi, der letzte
gewesen, die Föderation aufzugeben, weil sie, obgleich von großen Schwierig¬
keiten strotzend, ihm doch das einzige Rettungsmittel geschienen habe. "Jetzt,"
führt er fort, "kann man Italien wohl zerstücken, aber man kann es nicht
mehr konföderiren. Der jüngere, thatkräftigere Teil der Nation ist unitarisch
gesinnt, und es bleibt keine Wahl mehr: wir müssen die Mühsal und Last
des Einheitsstaates tragen." Vielleicht liegt in diesen Worten die Erklärung
seines langen Sträubens: er mochte zweifeln, ob seine zur Schlaffheit und zum
ruhigen Lebensgenuß so geneigten Tvskaner -- und dann erst noch die Nea¬
politaner -- den Opfern und Anstrengungen, welche die Machtstellung eines
italienischen Reiches dem Einzelnen auferlegt, bereitwillig sich unterziehen
würden."

Seitdem wird es dein greisen Kirchenhistoriker wohl klar geworden sein,
daß der blinde Capponi weiter gesehen hat, als seine scharfsichtigen Freunde
mit ihren gesunden Angen; er kannte eben die wirtschaftlichen Zustände Ita¬
liens und das Naturell seines Volkes.

Nicht in der Schlaffheit und Genußsucht liegt die Schwierigkeit. Jene
genußsüchtigen Kreise, die der Tourist kennen lernt, bilden nicht den zehnten
Teil des Volkes. Wer die Arbeiter am Gotthardtunnel beobachtet hat, oder
jene Scharen brauner Barschen, die bis nach Mitteldeutschland herein unsern
Erd- und Grubenarbeitern Konkurrenz machen, der weiß, welche Energie der
gemeine Italiener im Schaffen entfaltet, und wie wenig Zeit, Geld und Kraft
er im Lebensgenuß vergeudet. Und gar die Landleute Tvskauas! Sie arbeiten
so hart wie der norddeutsche Bauer auf dem allerschlechtesten Boden. Zu arm
ist Italien, um die Last einer Großmachtsrüstnng zu tragen.

Seit dein zwölften Jahrhundert schon hat sich das italienische Leben in
den Städten konzentrirt. Freie Bauern gab es nirgends. Persönliche Freiheit
und Freizügigkeit setzten die Städte durch, um die Macht der Feudalherren zu
brechen und Industriearbeiter zu gewinnen, aber die herkömmlichen Pachtver¬
hältnisse behielten sie bei. Nun kann ja auch bei solchen die ländliche Bevöl¬
kerung gedeihen, wie das Beispiel Toskanas bis auf den heutigen Tag be¬
weist. (Man lese die Abhandlung über das dortige Erbpachtsystem, die Halb-
winnerschnft, von situes Svnnino in Hillebrands Italie,, 1874.) Aber im
übrigen Italien ist die Lage der ländlichen Bevölkerung, weil sie einen zu
großen Teil der Ernte an den Besitzer abgeben muß und aus andern Gründen,


Ano italienischen Krisis

hat ihm ein litterarisches Denkmal gesetzt.) In dieser Gedächtnisrede nun kommt
(Akademische Vorträge II, 247) eine merkwürdige Stelle vor. Döllinger er¬
zählt, wie noch im Jahre 1859 die leitenden Geister Italiens nicht den Ein¬
heitsstaat, sondern einen Staatenbund als Ziel im Auge gehabt Hütten, und
führt dann fort: „Hier ist mir nun Ccivvonis Haltung rütselhaft geblieben,
und ich habe mir nie erklären können, weshalb der sonst so klare und weit
blickende Mann um diesem Trugbilde festhielt. Er sei, sagt Capponi, der letzte
gewesen, die Föderation aufzugeben, weil sie, obgleich von großen Schwierig¬
keiten strotzend, ihm doch das einzige Rettungsmittel geschienen habe. »Jetzt,«
führt er fort, »kann man Italien wohl zerstücken, aber man kann es nicht
mehr konföderiren. Der jüngere, thatkräftigere Teil der Nation ist unitarisch
gesinnt, und es bleibt keine Wahl mehr: wir müssen die Mühsal und Last
des Einheitsstaates tragen.« Vielleicht liegt in diesen Worten die Erklärung
seines langen Sträubens: er mochte zweifeln, ob seine zur Schlaffheit und zum
ruhigen Lebensgenuß so geneigten Tvskaner — und dann erst noch die Nea¬
politaner — den Opfern und Anstrengungen, welche die Machtstellung eines
italienischen Reiches dem Einzelnen auferlegt, bereitwillig sich unterziehen
würden."

Seitdem wird es dein greisen Kirchenhistoriker wohl klar geworden sein,
daß der blinde Capponi weiter gesehen hat, als seine scharfsichtigen Freunde
mit ihren gesunden Angen; er kannte eben die wirtschaftlichen Zustände Ita¬
liens und das Naturell seines Volkes.

Nicht in der Schlaffheit und Genußsucht liegt die Schwierigkeit. Jene
genußsüchtigen Kreise, die der Tourist kennen lernt, bilden nicht den zehnten
Teil des Volkes. Wer die Arbeiter am Gotthardtunnel beobachtet hat, oder
jene Scharen brauner Barschen, die bis nach Mitteldeutschland herein unsern
Erd- und Grubenarbeitern Konkurrenz machen, der weiß, welche Energie der
gemeine Italiener im Schaffen entfaltet, und wie wenig Zeit, Geld und Kraft
er im Lebensgenuß vergeudet. Und gar die Landleute Tvskauas! Sie arbeiten
so hart wie der norddeutsche Bauer auf dem allerschlechtesten Boden. Zu arm
ist Italien, um die Last einer Großmachtsrüstnng zu tragen.

Seit dein zwölften Jahrhundert schon hat sich das italienische Leben in
den Städten konzentrirt. Freie Bauern gab es nirgends. Persönliche Freiheit
und Freizügigkeit setzten die Städte durch, um die Macht der Feudalherren zu
brechen und Industriearbeiter zu gewinnen, aber die herkömmlichen Pachtver¬
hältnisse behielten sie bei. Nun kann ja auch bei solchen die ländliche Bevöl¬
kerung gedeihen, wie das Beispiel Toskanas bis auf den heutigen Tag be¬
weist. (Man lese die Abhandlung über das dortige Erbpachtsystem, die Halb-
winnerschnft, von situes Svnnino in Hillebrands Italie,, 1874.) Aber im
übrigen Italien ist die Lage der ländlichen Bevölkerung, weil sie einen zu
großen Teil der Ernte an den Besitzer abgeben muß und aus andern Gründen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204741"/>
          <fw type="header" place="top"> Ano italienischen Krisis</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_5" prev="#ID_4"> hat ihm ein litterarisches Denkmal gesetzt.) In dieser Gedächtnisrede nun kommt<lb/>
(Akademische Vorträge II, 247) eine merkwürdige Stelle vor. Döllinger er¬<lb/>
zählt, wie noch im Jahre 1859 die leitenden Geister Italiens nicht den Ein¬<lb/>
heitsstaat, sondern einen Staatenbund als Ziel im Auge gehabt Hütten, und<lb/>
führt dann fort: &#x201E;Hier ist mir nun Ccivvonis Haltung rütselhaft geblieben,<lb/>
und ich habe mir nie erklären können, weshalb der sonst so klare und weit<lb/>
blickende Mann um diesem Trugbilde festhielt. Er sei, sagt Capponi, der letzte<lb/>
gewesen, die Föderation aufzugeben, weil sie, obgleich von großen Schwierig¬<lb/>
keiten strotzend, ihm doch das einzige Rettungsmittel geschienen habe. »Jetzt,«<lb/>
führt er fort, »kann man Italien wohl zerstücken, aber man kann es nicht<lb/>
mehr konföderiren. Der jüngere, thatkräftigere Teil der Nation ist unitarisch<lb/>
gesinnt, und es bleibt keine Wahl mehr: wir müssen die Mühsal und Last<lb/>
des Einheitsstaates tragen.« Vielleicht liegt in diesen Worten die Erklärung<lb/>
seines langen Sträubens: er mochte zweifeln, ob seine zur Schlaffheit und zum<lb/>
ruhigen Lebensgenuß so geneigten Tvskaner &#x2014; und dann erst noch die Nea¬<lb/>
politaner &#x2014; den Opfern und Anstrengungen, welche die Machtstellung eines<lb/>
italienischen Reiches dem Einzelnen auferlegt, bereitwillig sich unterziehen<lb/>
würden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_6"> Seitdem wird es dein greisen Kirchenhistoriker wohl klar geworden sein,<lb/>
daß der blinde Capponi weiter gesehen hat, als seine scharfsichtigen Freunde<lb/>
mit ihren gesunden Angen; er kannte eben die wirtschaftlichen Zustände Ita¬<lb/>
liens und das Naturell seines Volkes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_7"> Nicht in der Schlaffheit und Genußsucht liegt die Schwierigkeit. Jene<lb/>
genußsüchtigen Kreise, die der Tourist kennen lernt, bilden nicht den zehnten<lb/>
Teil des Volkes. Wer die Arbeiter am Gotthardtunnel beobachtet hat, oder<lb/>
jene Scharen brauner Barschen, die bis nach Mitteldeutschland herein unsern<lb/>
Erd- und Grubenarbeitern Konkurrenz machen, der weiß, welche Energie der<lb/>
gemeine Italiener im Schaffen entfaltet, und wie wenig Zeit, Geld und Kraft<lb/>
er im Lebensgenuß vergeudet. Und gar die Landleute Tvskauas! Sie arbeiten<lb/>
so hart wie der norddeutsche Bauer auf dem allerschlechtesten Boden. Zu arm<lb/>
ist Italien, um die Last einer Großmachtsrüstnng zu tragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_8" next="#ID_9"> Seit dein zwölften Jahrhundert schon hat sich das italienische Leben in<lb/>
den Städten konzentrirt. Freie Bauern gab es nirgends. Persönliche Freiheit<lb/>
und Freizügigkeit setzten die Städte durch, um die Macht der Feudalherren zu<lb/>
brechen und Industriearbeiter zu gewinnen, aber die herkömmlichen Pachtver¬<lb/>
hältnisse behielten sie bei. Nun kann ja auch bei solchen die ländliche Bevöl¬<lb/>
kerung gedeihen, wie das Beispiel Toskanas bis auf den heutigen Tag be¬<lb/>
weist. (Man lese die Abhandlung über das dortige Erbpachtsystem, die Halb-<lb/>
winnerschnft, von situes Svnnino in Hillebrands Italie,, 1874.) Aber im<lb/>
übrigen Italien ist die Lage der ländlichen Bevölkerung, weil sie einen zu<lb/>
großen Teil der Ernte an den Besitzer abgeben muß und aus andern Gründen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] Ano italienischen Krisis hat ihm ein litterarisches Denkmal gesetzt.) In dieser Gedächtnisrede nun kommt (Akademische Vorträge II, 247) eine merkwürdige Stelle vor. Döllinger er¬ zählt, wie noch im Jahre 1859 die leitenden Geister Italiens nicht den Ein¬ heitsstaat, sondern einen Staatenbund als Ziel im Auge gehabt Hütten, und führt dann fort: „Hier ist mir nun Ccivvonis Haltung rütselhaft geblieben, und ich habe mir nie erklären können, weshalb der sonst so klare und weit blickende Mann um diesem Trugbilde festhielt. Er sei, sagt Capponi, der letzte gewesen, die Föderation aufzugeben, weil sie, obgleich von großen Schwierig¬ keiten strotzend, ihm doch das einzige Rettungsmittel geschienen habe. »Jetzt,« führt er fort, »kann man Italien wohl zerstücken, aber man kann es nicht mehr konföderiren. Der jüngere, thatkräftigere Teil der Nation ist unitarisch gesinnt, und es bleibt keine Wahl mehr: wir müssen die Mühsal und Last des Einheitsstaates tragen.« Vielleicht liegt in diesen Worten die Erklärung seines langen Sträubens: er mochte zweifeln, ob seine zur Schlaffheit und zum ruhigen Lebensgenuß so geneigten Tvskaner — und dann erst noch die Nea¬ politaner — den Opfern und Anstrengungen, welche die Machtstellung eines italienischen Reiches dem Einzelnen auferlegt, bereitwillig sich unterziehen würden." Seitdem wird es dein greisen Kirchenhistoriker wohl klar geworden sein, daß der blinde Capponi weiter gesehen hat, als seine scharfsichtigen Freunde mit ihren gesunden Angen; er kannte eben die wirtschaftlichen Zustände Ita¬ liens und das Naturell seines Volkes. Nicht in der Schlaffheit und Genußsucht liegt die Schwierigkeit. Jene genußsüchtigen Kreise, die der Tourist kennen lernt, bilden nicht den zehnten Teil des Volkes. Wer die Arbeiter am Gotthardtunnel beobachtet hat, oder jene Scharen brauner Barschen, die bis nach Mitteldeutschland herein unsern Erd- und Grubenarbeitern Konkurrenz machen, der weiß, welche Energie der gemeine Italiener im Schaffen entfaltet, und wie wenig Zeit, Geld und Kraft er im Lebensgenuß vergeudet. Und gar die Landleute Tvskauas! Sie arbeiten so hart wie der norddeutsche Bauer auf dem allerschlechtesten Boden. Zu arm ist Italien, um die Last einer Großmachtsrüstnng zu tragen. Seit dein zwölften Jahrhundert schon hat sich das italienische Leben in den Städten konzentrirt. Freie Bauern gab es nirgends. Persönliche Freiheit und Freizügigkeit setzten die Städte durch, um die Macht der Feudalherren zu brechen und Industriearbeiter zu gewinnen, aber die herkömmlichen Pachtver¬ hältnisse behielten sie bei. Nun kann ja auch bei solchen die ländliche Bevöl¬ kerung gedeihen, wie das Beispiel Toskanas bis auf den heutigen Tag be¬ weist. (Man lese die Abhandlung über das dortige Erbpachtsystem, die Halb- winnerschnft, von situes Svnnino in Hillebrands Italie,, 1874.) Aber im übrigen Italien ist die Lage der ländlichen Bevölkerung, weil sie einen zu großen Teil der Ernte an den Besitzer abgeben muß und aus andern Gründen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/10
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/10>, abgerufen am 05.02.2025.