Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.Goethe- und Schillerhetzer sie andern Verderben sinnt, die sich mit liebeüberströmenden Worten an den Gegner Goethe- und Schillerhetzer sie andern Verderben sinnt, die sich mit liebeüberströmenden Worten an den Gegner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204171"/> <fw type="header" place="top"> Goethe- und Schillerhetzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_272" prev="#ID_271" next="#ID_273"> sie andern Verderben sinnt, die sich mit liebeüberströmenden Worten an den Gegner<lb/> hinanschleicht und selber die Hände ringt, wenn sie ihm einen tückischen Stich<lb/> versetzt hat. Baumgartner hat diese Methode zu einer förmlichen Kunst aus¬<lb/> gebildet. Er weiß, daß er wenig Wirkung erzielen würde mit einem pfüfsischen<lb/> Lospoltern gerade auf Goethe. Wer ihn anhörte, an dein wäre wenig ge¬<lb/> wonnen, der hätte Goethe doch nie gelesen. Wer aber Goethe liest oder zu<lb/> lesen fähig ist, der würde ihn nicht anhören. Und doch gilt es gerade, diese<lb/> Leser zu fangen; solche Seelen stehen hoch im Preise, seitdem sie sich in der<lb/> romantischen Zeit so nützlich zu machen verstanden haben. Der Verfasser dieser<lb/> römischen Goethebiographie stellt sich daher scheinbar mitten unter die Goethe¬<lb/> gemeinde. Er „liebt Poesie nicht nur ein wenig, sondern sehr und hält Goethe<lb/> noch heute sür kein bloßes Talent, sondern für ein Genie. . . . Sein hoher<lb/> Sinn für alles Schöne, sein für alles Konkrete so durchdringender Verstand,<lb/> seine glänzend reiche Sprache bezauberten ihn einst (!) so, daß er ihn nicht nur<lb/> weit allen unsern Dichtern vorzog, sondern ihm sogar seinen religiösen Jn-<lb/> differentismus vergab, um ihn nur als Künstler zu betrachten und sich an<lb/> seinen Dichtungen zu erfreuen." Die Frucht dieser Goethevcrehrung ist — die<lb/> Lebensbeschreibung eines gesellschaftlich und sprachlich hübsch begabten Glücks¬<lb/> pilzes ohne Herz, ohne Gemüt, ohne wirkliches Wissen, ja selbst ohne höhere<lb/> Verstandesbegabung, eines im tiefsten Grunde verächtlichen und namentlich im<lb/> Verhältnis zu seinem aufgebauschten Ruhme höchst unbedeutenden Gesellen,<lb/> dessen Genie sich nur nach einer Richtung hin äußert, nach der eines grenzen¬<lb/> losen, teils dreist ehrgeizigen, teils stumpf sinnlichen Egoismus. Nie hat ein<lb/> Mensch unbedeutender angefangen, als der flache Leipziger Patentbruder und<lb/> Gesellschaftsschniepel, der Wüstling, Verschwender und Mädchenjäger, der in jede<lb/> hübsche Larve vergaffte Nichtsthuer in Straßburg, Frankfurt und Wetzlar.<lb/> In Weimar ist er der „lustige" Rat, der Hofnarr eines rohen und aus¬<lb/> schweifenden kleinen Despoten, den noch in seinen spätesten Jahren als näseln¬<lb/> der preußischen Gardeleutnant zu schildern für Baumgartner ein Vergnügen<lb/> ist. Klopstocks schulmeisterlicher Brief an Goethe über das erste Weimarer<lb/> Jahr ist ihm der Ausdruck des empörten deutschen Nationalbewußtseins. Wie<lb/> hat ihm Goethe dafür gedankt, wie hat er überhaupt seine Freunde behandelt!<lb/> Herder war für ihn natürlich völlig „der vergötterte Waldteufel Satyros",<lb/> wobei der Biograph sich leider auf Scherers wenig geschmackvolle Aufbauschung<lb/> flüchtiger, scherzhafter Beziehungen stützen! kann. Mit großem Behagen wird<lb/> berichtet, daß Lessing — der in theologische Studien vertiefte und dem litte¬<lb/> rarischen Tagesgeplänkel völlig entfremdete — beim Aufgang des neuen Ge¬<lb/> stirns „wie ein grollendes Gewitter" abseits stand. Goethes Beschäftigungen<lb/> auch in dieser Zeit sind nichtssagend, ein gefundenes Essen für Scholiasten-<lb/> weisheit, wie die „Harzreise im Winter." Sein Gedicht „An den Mond" ist<lb/> „sentimental"; das Lied „An Christel" offenbart des Dichters eigentliche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
Goethe- und Schillerhetzer
sie andern Verderben sinnt, die sich mit liebeüberströmenden Worten an den Gegner
hinanschleicht und selber die Hände ringt, wenn sie ihm einen tückischen Stich
versetzt hat. Baumgartner hat diese Methode zu einer förmlichen Kunst aus¬
gebildet. Er weiß, daß er wenig Wirkung erzielen würde mit einem pfüfsischen
Lospoltern gerade auf Goethe. Wer ihn anhörte, an dein wäre wenig ge¬
wonnen, der hätte Goethe doch nie gelesen. Wer aber Goethe liest oder zu
lesen fähig ist, der würde ihn nicht anhören. Und doch gilt es gerade, diese
Leser zu fangen; solche Seelen stehen hoch im Preise, seitdem sie sich in der
romantischen Zeit so nützlich zu machen verstanden haben. Der Verfasser dieser
römischen Goethebiographie stellt sich daher scheinbar mitten unter die Goethe¬
gemeinde. Er „liebt Poesie nicht nur ein wenig, sondern sehr und hält Goethe
noch heute sür kein bloßes Talent, sondern für ein Genie. . . . Sein hoher
Sinn für alles Schöne, sein für alles Konkrete so durchdringender Verstand,
seine glänzend reiche Sprache bezauberten ihn einst (!) so, daß er ihn nicht nur
weit allen unsern Dichtern vorzog, sondern ihm sogar seinen religiösen Jn-
differentismus vergab, um ihn nur als Künstler zu betrachten und sich an
seinen Dichtungen zu erfreuen." Die Frucht dieser Goethevcrehrung ist — die
Lebensbeschreibung eines gesellschaftlich und sprachlich hübsch begabten Glücks¬
pilzes ohne Herz, ohne Gemüt, ohne wirkliches Wissen, ja selbst ohne höhere
Verstandesbegabung, eines im tiefsten Grunde verächtlichen und namentlich im
Verhältnis zu seinem aufgebauschten Ruhme höchst unbedeutenden Gesellen,
dessen Genie sich nur nach einer Richtung hin äußert, nach der eines grenzen¬
losen, teils dreist ehrgeizigen, teils stumpf sinnlichen Egoismus. Nie hat ein
Mensch unbedeutender angefangen, als der flache Leipziger Patentbruder und
Gesellschaftsschniepel, der Wüstling, Verschwender und Mädchenjäger, der in jede
hübsche Larve vergaffte Nichtsthuer in Straßburg, Frankfurt und Wetzlar.
In Weimar ist er der „lustige" Rat, der Hofnarr eines rohen und aus¬
schweifenden kleinen Despoten, den noch in seinen spätesten Jahren als näseln¬
der preußischen Gardeleutnant zu schildern für Baumgartner ein Vergnügen
ist. Klopstocks schulmeisterlicher Brief an Goethe über das erste Weimarer
Jahr ist ihm der Ausdruck des empörten deutschen Nationalbewußtseins. Wie
hat ihm Goethe dafür gedankt, wie hat er überhaupt seine Freunde behandelt!
Herder war für ihn natürlich völlig „der vergötterte Waldteufel Satyros",
wobei der Biograph sich leider auf Scherers wenig geschmackvolle Aufbauschung
flüchtiger, scherzhafter Beziehungen stützen! kann. Mit großem Behagen wird
berichtet, daß Lessing — der in theologische Studien vertiefte und dem litte¬
rarischen Tagesgeplänkel völlig entfremdete — beim Aufgang des neuen Ge¬
stirns „wie ein grollendes Gewitter" abseits stand. Goethes Beschäftigungen
auch in dieser Zeit sind nichtssagend, ein gefundenes Essen für Scholiasten-
weisheit, wie die „Harzreise im Winter." Sein Gedicht „An den Mond" ist
„sentimental"; das Lied „An Christel" offenbart des Dichters eigentliche
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