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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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In dem Gedichtchen vom Vogel am Fenster: "An das Fenster klopft es:
Pick, pick" in s, w. lernten wir seiner Zeit:


Lieben Leute, o laßt mich ein!

Aus des Herrn Oberlehrers Buche sollen die Kinder lernen:


Bitte, ihr Kinder, laßt mich ein.

Aber mit solchen kleinen Abänderungen begnügt sich der Herr Oberlehrer nicht
immer. In der Fabel vom Sperling, dem das Pferd erlaubt, aus seiner
Krippe ein paar Körnlein mit wcgznpicken, heißt es bei Hey:


Und sie aßen zusammen, die zwei,
Litt keiner Mangel und Not dabei.
Und als dann der Sommer kam so warm,
Da kam anch manch böser Fliegenschwarm;
Doch der Sperling fing hundert auf einmal,
Da hatte das Pferd nicht Not und Qual.

Bei Rudolph:


Und sieh, so aßen zusammen die zwei,
Litt keiner Mangel und Not dabei;
Und als um der Sommer kam so warm
Und mit ihm der lästige Flicgenschwarm,
Da fing der Sperling wohl hundert fast,
Die wurden jetzt nicht mehr dem Pferde zur Last.

Dafür, daß Herr Rudolph in der Fabel vom Pudel, den die Hausfrau an seinem
weißen Barte als den erkennt, der die Milch genascht hat, die Hausfrau in eine
Köchin verwandelt hat, können wir weder pädagogische, noch sprachliche, noch ästhe¬
tische Gründe auffinden; Herr Rudolph muß es aber wohl gewußt haben, warum
er diese wichtige Verbesserung vornahm. Er wird anch gewußt haben, warum er
in derselben Fabel dn, wo Hey sagt:


Da hing er den Schwanz bis auf die Erden
Und heulte und schämte sich so sehr ze.,

Vergangenheit und Gegenwart abwechseln läßt, ein "gleich" einschiebt, dem Hängen¬
lassen des Schwanzes auch noch das Senken des Kopses hinzufügt und so schreibt:


Da hing er gleich den Schwanz zur Erden,
Senkt den Kopf und schämt sich sehr.

Bei Hey fragt die Hausfrau, die ein Mäuschen beim Zuckernaschen ertappt:


Mäuschen, was schleppst du dort
Mir das Stück Zucker fort?

Herr Rudolph erweitert das auf vier Zeilen und belehrt uns, daß der Zucker "bei
der Kammerthür" gelegen hat. Bei ihm heißt es nämlich:


Mäuschen, was machst du hier
Bei meiner Kammerthür?
Willst hier wohl stehlen? Auf mein Wort,
schleppst mir ja meinen Zucker fort.

Nachdem die Maus die Hansfrau gebeten hat, ihr den Zucker für ihre hungrigen
Kindlein zu lassen, heißt es bei Hey weiter:


In dem Gedichtchen vom Vogel am Fenster: „An das Fenster klopft es:
Pick, pick" in s, w. lernten wir seiner Zeit:


Lieben Leute, o laßt mich ein!

Aus des Herrn Oberlehrers Buche sollen die Kinder lernen:


Bitte, ihr Kinder, laßt mich ein.

Aber mit solchen kleinen Abänderungen begnügt sich der Herr Oberlehrer nicht
immer. In der Fabel vom Sperling, dem das Pferd erlaubt, aus seiner
Krippe ein paar Körnlein mit wcgznpicken, heißt es bei Hey:


Und sie aßen zusammen, die zwei,
Litt keiner Mangel und Not dabei.
Und als dann der Sommer kam so warm,
Da kam anch manch böser Fliegenschwarm;
Doch der Sperling fing hundert auf einmal,
Da hatte das Pferd nicht Not und Qual.

Bei Rudolph:


Und sieh, so aßen zusammen die zwei,
Litt keiner Mangel und Not dabei;
Und als um der Sommer kam so warm
Und mit ihm der lästige Flicgenschwarm,
Da fing der Sperling wohl hundert fast,
Die wurden jetzt nicht mehr dem Pferde zur Last.

Dafür, daß Herr Rudolph in der Fabel vom Pudel, den die Hausfrau an seinem
weißen Barte als den erkennt, der die Milch genascht hat, die Hausfrau in eine
Köchin verwandelt hat, können wir weder pädagogische, noch sprachliche, noch ästhe¬
tische Gründe auffinden; Herr Rudolph muß es aber wohl gewußt haben, warum
er diese wichtige Verbesserung vornahm. Er wird anch gewußt haben, warum er
in derselben Fabel dn, wo Hey sagt:


Da hing er den Schwanz bis auf die Erden
Und heulte und schämte sich so sehr ze.,

Vergangenheit und Gegenwart abwechseln läßt, ein „gleich" einschiebt, dem Hängen¬
lassen des Schwanzes auch noch das Senken des Kopses hinzufügt und so schreibt:


Da hing er gleich den Schwanz zur Erden,
Senkt den Kopf und schämt sich sehr.

Bei Hey fragt die Hausfrau, die ein Mäuschen beim Zuckernaschen ertappt:


Mäuschen, was schleppst du dort
Mir das Stück Zucker fort?

Herr Rudolph erweitert das auf vier Zeilen und belehrt uns, daß der Zucker „bei
der Kammerthür" gelegen hat. Bei ihm heißt es nämlich:


Mäuschen, was machst du hier
Bei meiner Kammerthür?
Willst hier wohl stehlen? Auf mein Wort,
schleppst mir ja meinen Zucker fort.

Nachdem die Maus die Hansfrau gebeten hat, ihr den Zucker für ihre hungrigen
Kindlein zu lassen, heißt es bei Hey weiter:


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[0628] In dem Gedichtchen vom Vogel am Fenster: „An das Fenster klopft es: Pick, pick" in s, w. lernten wir seiner Zeit: Lieben Leute, o laßt mich ein! Aus des Herrn Oberlehrers Buche sollen die Kinder lernen: Bitte, ihr Kinder, laßt mich ein. Aber mit solchen kleinen Abänderungen begnügt sich der Herr Oberlehrer nicht immer. In der Fabel vom Sperling, dem das Pferd erlaubt, aus seiner Krippe ein paar Körnlein mit wcgznpicken, heißt es bei Hey: Und sie aßen zusammen, die zwei, Litt keiner Mangel und Not dabei. Und als dann der Sommer kam so warm, Da kam anch manch böser Fliegenschwarm; Doch der Sperling fing hundert auf einmal, Da hatte das Pferd nicht Not und Qual. Bei Rudolph: Und sieh, so aßen zusammen die zwei, Litt keiner Mangel und Not dabei; Und als um der Sommer kam so warm Und mit ihm der lästige Flicgenschwarm, Da fing der Sperling wohl hundert fast, Die wurden jetzt nicht mehr dem Pferde zur Last. Dafür, daß Herr Rudolph in der Fabel vom Pudel, den die Hausfrau an seinem weißen Barte als den erkennt, der die Milch genascht hat, die Hausfrau in eine Köchin verwandelt hat, können wir weder pädagogische, noch sprachliche, noch ästhe¬ tische Gründe auffinden; Herr Rudolph muß es aber wohl gewußt haben, warum er diese wichtige Verbesserung vornahm. Er wird anch gewußt haben, warum er in derselben Fabel dn, wo Hey sagt: Da hing er den Schwanz bis auf die Erden Und heulte und schämte sich so sehr ze., Vergangenheit und Gegenwart abwechseln läßt, ein „gleich" einschiebt, dem Hängen¬ lassen des Schwanzes auch noch das Senken des Kopses hinzufügt und so schreibt: Da hing er gleich den Schwanz zur Erden, Senkt den Kopf und schämt sich sehr. Bei Hey fragt die Hausfrau, die ein Mäuschen beim Zuckernaschen ertappt: Mäuschen, was schleppst du dort Mir das Stück Zucker fort? Herr Rudolph erweitert das auf vier Zeilen und belehrt uns, daß der Zucker „bei der Kammerthür" gelegen hat. Bei ihm heißt es nämlich: Mäuschen, was machst du hier Bei meiner Kammerthür? Willst hier wohl stehlen? Auf mein Wort, schleppst mir ja meinen Zucker fort. Nachdem die Maus die Hansfrau gebeten hat, ihr den Zucker für ihre hungrigen Kindlein zu lassen, heißt es bei Hey weiter:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/628>, abgerufen am 22.07.2024.