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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jugendtraum

mutet, an dem man bei allen großen Maßen die Natürlichkeit und Wahrheit
des Einzelnen nicht genug bewundern kann. Spartakus ist als ein ganz
elementarer Charakter entworfen, halb mystisch. Ein Mann von mächtiger
Leibesgröße und Stärke mit dem zartesten, besten, empfindsamsten Herzen --
so schildern ihn in dem breit exponirenden Dialoge sein Freund und sein Pflege¬
vater. In der letzten Zeit aber hat sich Spartakus wunderlich verändert.
Der früher mitteilsame ist jetzt verschlossen; der früher heitere wird jetzt auf
Thränen ertappt; der früher stets gleichmäßig wohlgestimmte ist jetzt launisch
wie das Wetter; er stöhnt und seufzt und bleibt regungslos liegen, und dann
wieder verschwindet er -- der pslichtgetreuste der Sklaven -- tagelang, mau
weiß nicht, wohin. Was ist geschehen? Spartakus ist verliebt! verliebt oben¬
drein in eine Römerin des edelsten patrizischen Geschlechts. Es ist Kornelia,
die Tochter des reichen Krassus. Sie liebt ihn wieder, wie Julia den Romeo
liebt, trotz der Tngendwächterin von Amme, mit der sie thut, was sie will.
Um zu Kornelia zu gelangen, schwimmt Spartakus täglich über einen See,
der sie trennt, an dessen anderm Ufer sie seiner harrt. Spartakus ist sich der
Kühnheit seiner Liebe bewußt. Aber er ist ganz berauscht von seinem Liebes¬
glück. So gewaltige Temperamente, wie er eines ist, werden von den Leiden¬
schaften um so elementarischer ergriffen. Da bringt ihm ein Sklave, Knixns, den
Verdacht bei: Kornelia wird dich verleugnen, wenn es zum offnen Bekenntnis
kommen wird. Spartakus wehrt sich gegen den Verdacht, und in seiner schnur¬
gerade aufs Ziel losgehenden Weise fordert er die Entscheidung bei der erst¬
besten Gelegenheit heraus. Er läßt sich vom Vater Krassus mit Kornelia im
Garten überraschen, und Kornelia verleugnet ihn wirklich und fällt nach der
ausgesprochnen Lüge dem Vater ohnmächtig in die Arme. Nur stammeln kann
Spartakus noch:


Ha! Sklave! -- O Knixus! Knixus! -- Ha, "Sklave,
Was bietest du der Tochter deines Herrn!"
Leb wohl!

Damit sollte die Spartakus-Tragödie ihren Anfang nehmen. Grillparzer
hätte hier wohl einen Mannescharakter der gewaltigsten Art gestaltet. Warum
er das Begonnene nicht vollendete -- wer kann es wissen? Wenn alle Früchte
reiften, wie reich müßten die Menschen sein! Jetzt erst erkennen wir, wie gro߬
artig Grillparzers Jugend sich anließ, und wieviel er unter der Ungunst seiner
Zeit und auch seines eignen Dämons gelitten hat. Das leuchtende Bild dieser
Dichterjugend aus dem Dunkel der Archive an die Sonne gebracht zu haben,
ist das Verdienst der neuen Ausgabe der Werke Grillparzers.




Grillparzer und seine Jugendtraum

mutet, an dem man bei allen großen Maßen die Natürlichkeit und Wahrheit
des Einzelnen nicht genug bewundern kann. Spartakus ist als ein ganz
elementarer Charakter entworfen, halb mystisch. Ein Mann von mächtiger
Leibesgröße und Stärke mit dem zartesten, besten, empfindsamsten Herzen —
so schildern ihn in dem breit exponirenden Dialoge sein Freund und sein Pflege¬
vater. In der letzten Zeit aber hat sich Spartakus wunderlich verändert.
Der früher mitteilsame ist jetzt verschlossen; der früher heitere wird jetzt auf
Thränen ertappt; der früher stets gleichmäßig wohlgestimmte ist jetzt launisch
wie das Wetter; er stöhnt und seufzt und bleibt regungslos liegen, und dann
wieder verschwindet er — der pslichtgetreuste der Sklaven — tagelang, mau
weiß nicht, wohin. Was ist geschehen? Spartakus ist verliebt! verliebt oben¬
drein in eine Römerin des edelsten patrizischen Geschlechts. Es ist Kornelia,
die Tochter des reichen Krassus. Sie liebt ihn wieder, wie Julia den Romeo
liebt, trotz der Tngendwächterin von Amme, mit der sie thut, was sie will.
Um zu Kornelia zu gelangen, schwimmt Spartakus täglich über einen See,
der sie trennt, an dessen anderm Ufer sie seiner harrt. Spartakus ist sich der
Kühnheit seiner Liebe bewußt. Aber er ist ganz berauscht von seinem Liebes¬
glück. So gewaltige Temperamente, wie er eines ist, werden von den Leiden¬
schaften um so elementarischer ergriffen. Da bringt ihm ein Sklave, Knixns, den
Verdacht bei: Kornelia wird dich verleugnen, wenn es zum offnen Bekenntnis
kommen wird. Spartakus wehrt sich gegen den Verdacht, und in seiner schnur¬
gerade aufs Ziel losgehenden Weise fordert er die Entscheidung bei der erst¬
besten Gelegenheit heraus. Er läßt sich vom Vater Krassus mit Kornelia im
Garten überraschen, und Kornelia verleugnet ihn wirklich und fällt nach der
ausgesprochnen Lüge dem Vater ohnmächtig in die Arme. Nur stammeln kann
Spartakus noch:


Ha! Sklave! — O Knixus! Knixus! — Ha, „Sklave,
Was bietest du der Tochter deines Herrn!"
Leb wohl!

Damit sollte die Spartakus-Tragödie ihren Anfang nehmen. Grillparzer
hätte hier wohl einen Mannescharakter der gewaltigsten Art gestaltet. Warum
er das Begonnene nicht vollendete — wer kann es wissen? Wenn alle Früchte
reiften, wie reich müßten die Menschen sein! Jetzt erst erkennen wir, wie gro߬
artig Grillparzers Jugend sich anließ, und wieviel er unter der Ungunst seiner
Zeit und auch seines eignen Dämons gelitten hat. Das leuchtende Bild dieser
Dichterjugend aus dem Dunkel der Archive an die Sonne gebracht zu haben,
ist das Verdienst der neuen Ausgabe der Werke Grillparzers.




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[0620] Grillparzer und seine Jugendtraum mutet, an dem man bei allen großen Maßen die Natürlichkeit und Wahrheit des Einzelnen nicht genug bewundern kann. Spartakus ist als ein ganz elementarer Charakter entworfen, halb mystisch. Ein Mann von mächtiger Leibesgröße und Stärke mit dem zartesten, besten, empfindsamsten Herzen — so schildern ihn in dem breit exponirenden Dialoge sein Freund und sein Pflege¬ vater. In der letzten Zeit aber hat sich Spartakus wunderlich verändert. Der früher mitteilsame ist jetzt verschlossen; der früher heitere wird jetzt auf Thränen ertappt; der früher stets gleichmäßig wohlgestimmte ist jetzt launisch wie das Wetter; er stöhnt und seufzt und bleibt regungslos liegen, und dann wieder verschwindet er — der pslichtgetreuste der Sklaven — tagelang, mau weiß nicht, wohin. Was ist geschehen? Spartakus ist verliebt! verliebt oben¬ drein in eine Römerin des edelsten patrizischen Geschlechts. Es ist Kornelia, die Tochter des reichen Krassus. Sie liebt ihn wieder, wie Julia den Romeo liebt, trotz der Tngendwächterin von Amme, mit der sie thut, was sie will. Um zu Kornelia zu gelangen, schwimmt Spartakus täglich über einen See, der sie trennt, an dessen anderm Ufer sie seiner harrt. Spartakus ist sich der Kühnheit seiner Liebe bewußt. Aber er ist ganz berauscht von seinem Liebes¬ glück. So gewaltige Temperamente, wie er eines ist, werden von den Leiden¬ schaften um so elementarischer ergriffen. Da bringt ihm ein Sklave, Knixns, den Verdacht bei: Kornelia wird dich verleugnen, wenn es zum offnen Bekenntnis kommen wird. Spartakus wehrt sich gegen den Verdacht, und in seiner schnur¬ gerade aufs Ziel losgehenden Weise fordert er die Entscheidung bei der erst¬ besten Gelegenheit heraus. Er läßt sich vom Vater Krassus mit Kornelia im Garten überraschen, und Kornelia verleugnet ihn wirklich und fällt nach der ausgesprochnen Lüge dem Vater ohnmächtig in die Arme. Nur stammeln kann Spartakus noch: Ha! Sklave! — O Knixus! Knixus! — Ha, „Sklave, Was bietest du der Tochter deines Herrn!" Leb wohl! Damit sollte die Spartakus-Tragödie ihren Anfang nehmen. Grillparzer hätte hier wohl einen Mannescharakter der gewaltigsten Art gestaltet. Warum er das Begonnene nicht vollendete — wer kann es wissen? Wenn alle Früchte reiften, wie reich müßten die Menschen sein! Jetzt erst erkennen wir, wie gro߬ artig Grillparzers Jugend sich anließ, und wieviel er unter der Ungunst seiner Zeit und auch seines eignen Dämons gelitten hat. Das leuchtende Bild dieser Dichterjugend aus dem Dunkel der Archive an die Sonne gebracht zu haben, ist das Verdienst der neuen Ausgabe der Werke Grillparzers.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/620>, abgerufen am 22.07.2024.