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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jugendtraum

zu Goethe trat dann Shakespeare, in den der junge Grillparzer ganz unter¬
tauchte. Eine dritte Strömung erfaßte ihn noch, die deutsche Romantik, die
er später so bitter befehdete. Zwar ihre Begeisterung für volkstümliche Lyrik
vermochte er nicht zu teilen; aber wenn wir Grillparzers Neigung beobachten,
zwei verschiedne Kulturstufen tragisch einander entgegenzustellen, so ist sie auf
die Einflüsse der deutschen Romantik zurückzuführen, die nicht bloß die geschicht¬
lichen Studien überhaupt vertiefte, sondern die Geschichte als ästhetisch wert¬
volles Element erst entdeckte.

In den vierzehn Dramenanfüngen, die der dritte Ergänzungsband mit¬
teilt, sind diese Studien und Einwirkungen bemerkbar. Interessant ist ferner,
daß Grillparzer zumeist ohne ein Szenarium zu entwerfen sich an die Nieder¬
schrift seiner Dramen machte, und wenn er dann stecken blieb, so ist es nicht
immer auf das Unvermögen zu setzen, die Handlung fortzuführen, sondern meist
wohl darauf, daß ihn in seiner unerquicklichen äußern Lebenslage die Laune
mit der Inspiration zum Weiterschreiben verließ. Die meisten Szenen tragen
den Charakter fertiger Expositionen an sich, an denen kaum mehr etwas zu
ändern gewesen wäre.

Die erste hübsche Szene giebt den Anfang zu einer "Lucretia Creinwill,"
deren Mittelpunkt Cromwell werden sollte. Der Oberst White erzählt dem
Oberst Pride, wie ihn der junge Cromwell um eine schöne Beute, eben die Lucretia,
in schlauer Weise gebracht habe. 1817 hat Grillparzer noch eine Notiz dazu
gemacht, die für seine dramatische Kunstlehre bezeichnend ist. Sie lautet: "Als
Cromwell das Parlament aufhob, zog er seine Uhr aus der Tasche und warf
sie auf den Boden, daß sie in Stücke zersprang. "Ich will euch zerschmettern
wie diese Uhr!" rief er dabei aus. Wie mag bei dem Zerschellen der Uhr
am Steinpflaster den Parlamentsherren das Herz gezittert haben! Etwas Ähn¬
liches müßte auf der Bühne von der herrlichsten Wirkung sein. So Wort
und Bild zu gleicher Zeit."

Eine Fortsetzung zu Shakespeares "Sommernachtstraum" sollte die komische
Oper "Der Zauberwald" werden. Den Zank zwischen Oberon und Titania
samt einem Veschwichtigungschor hat Grillparzer niedergeschrieben. Ebenfalls
in Abhängigkeit von Shakespeare stehen die bis in den dritten Akt fertigen
Szenen eines "Robert, Herzog von der Normandie"; Shakespeares Historienstil
spiegelt sich darin wieder. Der Herzog Robert ist von seinem jüngern Bruder
Heinrich um die englische Krone betrogen worden. Nicht zufrieden damit, will
er ihm noch seinen letzten Besitz, die Normandie, rauben. Robert geht es
schlecht, er hat Unglück im Felde; im Schlosse Donteau herrscht auch schon
Not, die Bevölkerung hat keine Nahrung. Deu Schmerz über diese Not seiner
getreuen Unterthanen kann er nicht ertragen. Er will sich selbst ihnen zuliebe
opfern, auf alle Güter verzichten und mit seinem Weib und Kinde nach Frank¬
reich abziehen. Er will sich in des Bruders Lager begeben, um darüber zu


Grillparzer und seine Jugendtraum

zu Goethe trat dann Shakespeare, in den der junge Grillparzer ganz unter¬
tauchte. Eine dritte Strömung erfaßte ihn noch, die deutsche Romantik, die
er später so bitter befehdete. Zwar ihre Begeisterung für volkstümliche Lyrik
vermochte er nicht zu teilen; aber wenn wir Grillparzers Neigung beobachten,
zwei verschiedne Kulturstufen tragisch einander entgegenzustellen, so ist sie auf
die Einflüsse der deutschen Romantik zurückzuführen, die nicht bloß die geschicht¬
lichen Studien überhaupt vertiefte, sondern die Geschichte als ästhetisch wert¬
volles Element erst entdeckte.

In den vierzehn Dramenanfüngen, die der dritte Ergänzungsband mit¬
teilt, sind diese Studien und Einwirkungen bemerkbar. Interessant ist ferner,
daß Grillparzer zumeist ohne ein Szenarium zu entwerfen sich an die Nieder¬
schrift seiner Dramen machte, und wenn er dann stecken blieb, so ist es nicht
immer auf das Unvermögen zu setzen, die Handlung fortzuführen, sondern meist
wohl darauf, daß ihn in seiner unerquicklichen äußern Lebenslage die Laune
mit der Inspiration zum Weiterschreiben verließ. Die meisten Szenen tragen
den Charakter fertiger Expositionen an sich, an denen kaum mehr etwas zu
ändern gewesen wäre.

Die erste hübsche Szene giebt den Anfang zu einer „Lucretia Creinwill,"
deren Mittelpunkt Cromwell werden sollte. Der Oberst White erzählt dem
Oberst Pride, wie ihn der junge Cromwell um eine schöne Beute, eben die Lucretia,
in schlauer Weise gebracht habe. 1817 hat Grillparzer noch eine Notiz dazu
gemacht, die für seine dramatische Kunstlehre bezeichnend ist. Sie lautet: „Als
Cromwell das Parlament aufhob, zog er seine Uhr aus der Tasche und warf
sie auf den Boden, daß sie in Stücke zersprang. »Ich will euch zerschmettern
wie diese Uhr!« rief er dabei aus. Wie mag bei dem Zerschellen der Uhr
am Steinpflaster den Parlamentsherren das Herz gezittert haben! Etwas Ähn¬
liches müßte auf der Bühne von der herrlichsten Wirkung sein. So Wort
und Bild zu gleicher Zeit."

Eine Fortsetzung zu Shakespeares „Sommernachtstraum" sollte die komische
Oper „Der Zauberwald" werden. Den Zank zwischen Oberon und Titania
samt einem Veschwichtigungschor hat Grillparzer niedergeschrieben. Ebenfalls
in Abhängigkeit von Shakespeare stehen die bis in den dritten Akt fertigen
Szenen eines „Robert, Herzog von der Normandie"; Shakespeares Historienstil
spiegelt sich darin wieder. Der Herzog Robert ist von seinem jüngern Bruder
Heinrich um die englische Krone betrogen worden. Nicht zufrieden damit, will
er ihm noch seinen letzten Besitz, die Normandie, rauben. Robert geht es
schlecht, er hat Unglück im Felde; im Schlosse Donteau herrscht auch schon
Not, die Bevölkerung hat keine Nahrung. Deu Schmerz über diese Not seiner
getreuen Unterthanen kann er nicht ertragen. Er will sich selbst ihnen zuliebe
opfern, auf alle Güter verzichten und mit seinem Weib und Kinde nach Frank¬
reich abziehen. Er will sich in des Bruders Lager begeben, um darüber zu


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[0616] Grillparzer und seine Jugendtraum zu Goethe trat dann Shakespeare, in den der junge Grillparzer ganz unter¬ tauchte. Eine dritte Strömung erfaßte ihn noch, die deutsche Romantik, die er später so bitter befehdete. Zwar ihre Begeisterung für volkstümliche Lyrik vermochte er nicht zu teilen; aber wenn wir Grillparzers Neigung beobachten, zwei verschiedne Kulturstufen tragisch einander entgegenzustellen, so ist sie auf die Einflüsse der deutschen Romantik zurückzuführen, die nicht bloß die geschicht¬ lichen Studien überhaupt vertiefte, sondern die Geschichte als ästhetisch wert¬ volles Element erst entdeckte. In den vierzehn Dramenanfüngen, die der dritte Ergänzungsband mit¬ teilt, sind diese Studien und Einwirkungen bemerkbar. Interessant ist ferner, daß Grillparzer zumeist ohne ein Szenarium zu entwerfen sich an die Nieder¬ schrift seiner Dramen machte, und wenn er dann stecken blieb, so ist es nicht immer auf das Unvermögen zu setzen, die Handlung fortzuführen, sondern meist wohl darauf, daß ihn in seiner unerquicklichen äußern Lebenslage die Laune mit der Inspiration zum Weiterschreiben verließ. Die meisten Szenen tragen den Charakter fertiger Expositionen an sich, an denen kaum mehr etwas zu ändern gewesen wäre. Die erste hübsche Szene giebt den Anfang zu einer „Lucretia Creinwill," deren Mittelpunkt Cromwell werden sollte. Der Oberst White erzählt dem Oberst Pride, wie ihn der junge Cromwell um eine schöne Beute, eben die Lucretia, in schlauer Weise gebracht habe. 1817 hat Grillparzer noch eine Notiz dazu gemacht, die für seine dramatische Kunstlehre bezeichnend ist. Sie lautet: „Als Cromwell das Parlament aufhob, zog er seine Uhr aus der Tasche und warf sie auf den Boden, daß sie in Stücke zersprang. »Ich will euch zerschmettern wie diese Uhr!« rief er dabei aus. Wie mag bei dem Zerschellen der Uhr am Steinpflaster den Parlamentsherren das Herz gezittert haben! Etwas Ähn¬ liches müßte auf der Bühne von der herrlichsten Wirkung sein. So Wort und Bild zu gleicher Zeit." Eine Fortsetzung zu Shakespeares „Sommernachtstraum" sollte die komische Oper „Der Zauberwald" werden. Den Zank zwischen Oberon und Titania samt einem Veschwichtigungschor hat Grillparzer niedergeschrieben. Ebenfalls in Abhängigkeit von Shakespeare stehen die bis in den dritten Akt fertigen Szenen eines „Robert, Herzog von der Normandie"; Shakespeares Historienstil spiegelt sich darin wieder. Der Herzog Robert ist von seinem jüngern Bruder Heinrich um die englische Krone betrogen worden. Nicht zufrieden damit, will er ihm noch seinen letzten Besitz, die Normandie, rauben. Robert geht es schlecht, er hat Unglück im Felde; im Schlosse Donteau herrscht auch schon Not, die Bevölkerung hat keine Nahrung. Deu Schmerz über diese Not seiner getreuen Unterthanen kann er nicht ertragen. Er will sich selbst ihnen zuliebe opfern, auf alle Güter verzichten und mit seinem Weib und Kinde nach Frank¬ reich abziehen. Er will sich in des Bruders Lager begeben, um darüber zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/616>, abgerufen am 23.07.2024.