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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jugendtraum

Poesie, vor allein der dramatischen Poesie, für immer den Abschied zu geben."
(X, 56.) Es vergingen Jahre, bis der selbstquälerische Mann sich von Schrey¬
vogel zu neuem Schaffen ermutigen ließ.

Dieselbe Abhängigkeit von Schiller verrät auch das "poetische Gemälde"
"Irenens Wiederkehr," ein drmnatisirtes lyrisches Gedicht zur Verherrlichung
des Friedens, wie es die damalige Zeit der nnpolevuischen Kriege nahe legte.
In einer romantischen Gegend, in deren Mitte einige Hütten stehen, erscheint
zur Zeit des Sonnenaufgangs der Wandrer und preist die Schönheit der
Natur, den Segen des Friedens:


Das Tier in uns hat die Natur hervorgebracht,
Den Menschen schuf erst seine Göttcrmacht!

Ein Jüngling mit Köcher und Speer auf die Jagd ausgehend, ein Landmann
hinter seinem Pfluge singend ergehen sich jeder auf feine Art zum Preise
der Waidmannslust und des stillen häuslichen Lebens. Wenn der Pflüger zur
Sonne spricht:


[Beginn Spaltensatz]

Reiche Segenssüll entquillt
Deiner Spur,
Götterbild!
Hold gewillt,
Freundlich lächelnd, sanft und mild,
Heldin, sei auf meiner Flur!
Schwer und heiß

[Spaltenumbruch]

Rinne der Schweiß,
Große Perlen hangen
Dicht an Stirn und Wangen,
Heiß entbrannt
Gluht der Sand
Und die Lüfte finden,
Geschwängert mit der Sonne Gluten n. s. f.

[Ende Spaltensatz]

so hören wir die wohlbekannten Rhythmen von Schillers "Lied von der Glocke."
Über die vorüberziehenden Gestalten macht der Wandrer seine Betrachtungen.
Dann erscheint das junge Mädchen, gedankenvoll in sich versunken; sie ist ver¬
liebt in den früher vorbeigegangnen Jüngling, vor dem sie schamhaft entflieht,
als er wieder sichtbar wird. Mit einem Lobe auf die veredelnde Macht des
Weibes: "das, stark durch Schwäche, hold weiß zu gewinnen," der "Herrscherin
im Reich der Schönen," die nur im Frieden gedeihen kann, schließt der be¬
trachtende Wandrer das Gedicht. Es ist eins der ersten Erzeugnisse, die von
Grillparzer für die Öffentlichkeit bestimmt waren, und sollte in einem poetischen
Tnschenbuche erscheinen, das er -- nach der Mode jener Zeit -- mit einem
seiner Freunde herausgeben wollte. Die Zensur war aber dagegen, und bei
dieser Gelegenheit machte Grillparzer zum erstenmale die Bekanntschaft mit
jener Macht, die ihm sein Dasein so vielfach verbittern sollte.

In das Jahr 1810 setzt Sauer den Umschwung in Grillparzers künst¬
lerischer Vildungsgeschichte. "Während ihn vor einem halben Jahre Schillers
Schriften noch entzückten, kann er sich im Juni 1810 in der leidenschaftlichen
Verkleinerung desselben nicht genng thun, indeß Goethe, der damals noch eine
sehr untergeordnete Rolle bei ihm spielte, nun seine ganze Seele füllt." Und


Grillparzer und seine Jugendtraum

Poesie, vor allein der dramatischen Poesie, für immer den Abschied zu geben."
(X, 56.) Es vergingen Jahre, bis der selbstquälerische Mann sich von Schrey¬
vogel zu neuem Schaffen ermutigen ließ.

Dieselbe Abhängigkeit von Schiller verrät auch das „poetische Gemälde"
„Irenens Wiederkehr," ein drmnatisirtes lyrisches Gedicht zur Verherrlichung
des Friedens, wie es die damalige Zeit der nnpolevuischen Kriege nahe legte.
In einer romantischen Gegend, in deren Mitte einige Hütten stehen, erscheint
zur Zeit des Sonnenaufgangs der Wandrer und preist die Schönheit der
Natur, den Segen des Friedens:


Das Tier in uns hat die Natur hervorgebracht,
Den Menschen schuf erst seine Göttcrmacht!

Ein Jüngling mit Köcher und Speer auf die Jagd ausgehend, ein Landmann
hinter seinem Pfluge singend ergehen sich jeder auf feine Art zum Preise
der Waidmannslust und des stillen häuslichen Lebens. Wenn der Pflüger zur
Sonne spricht:


[Beginn Spaltensatz]

Reiche Segenssüll entquillt
Deiner Spur,
Götterbild!
Hold gewillt,
Freundlich lächelnd, sanft und mild,
Heldin, sei auf meiner Flur!
Schwer und heiß

[Spaltenumbruch]

Rinne der Schweiß,
Große Perlen hangen
Dicht an Stirn und Wangen,
Heiß entbrannt
Gluht der Sand
Und die Lüfte finden,
Geschwängert mit der Sonne Gluten n. s. f.

[Ende Spaltensatz]

so hören wir die wohlbekannten Rhythmen von Schillers „Lied von der Glocke."
Über die vorüberziehenden Gestalten macht der Wandrer seine Betrachtungen.
Dann erscheint das junge Mädchen, gedankenvoll in sich versunken; sie ist ver¬
liebt in den früher vorbeigegangnen Jüngling, vor dem sie schamhaft entflieht,
als er wieder sichtbar wird. Mit einem Lobe auf die veredelnde Macht des
Weibes: „das, stark durch Schwäche, hold weiß zu gewinnen," der „Herrscherin
im Reich der Schönen," die nur im Frieden gedeihen kann, schließt der be¬
trachtende Wandrer das Gedicht. Es ist eins der ersten Erzeugnisse, die von
Grillparzer für die Öffentlichkeit bestimmt waren, und sollte in einem poetischen
Tnschenbuche erscheinen, das er — nach der Mode jener Zeit — mit einem
seiner Freunde herausgeben wollte. Die Zensur war aber dagegen, und bei
dieser Gelegenheit machte Grillparzer zum erstenmale die Bekanntschaft mit
jener Macht, die ihm sein Dasein so vielfach verbittern sollte.

In das Jahr 1810 setzt Sauer den Umschwung in Grillparzers künst¬
lerischer Vildungsgeschichte. „Während ihn vor einem halben Jahre Schillers
Schriften noch entzückten, kann er sich im Juni 1810 in der leidenschaftlichen
Verkleinerung desselben nicht genng thun, indeß Goethe, der damals noch eine
sehr untergeordnete Rolle bei ihm spielte, nun seine ganze Seele füllt." Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/615>, abgerufen am 23.07.2024.