Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.Grillparzer und seine Jugönddramen eingeschüchtert. Bei all seinem großen Verstände, der ihm die Hohlheit und
Eine der seltnen wahrhaft mystischen Stellen bei Grillparzer. Kein Künstler Grenzboten I 18L9 71
Grillparzer und seine Jugönddramen eingeschüchtert. Bei all seinem großen Verstände, der ihm die Hohlheit und
Eine der seltnen wahrhaft mystischen Stellen bei Grillparzer. Kein Künstler Grenzboten I 18L9 71
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0569" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204658"/> <fw type="header" place="top"> Grillparzer und seine Jugönddramen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1837" prev="#ID_1836" next="#ID_1838"> eingeschüchtert. Bei all seinem großen Verstände, der ihm die Hohlheit und<lb/> Wertlosigkeit schlechter Rezensenten klar erkennen ließ, war er gegen alle Kritik<lb/> von merkwürdiger Empfindlichkeit und ließ sich von Rücksichten auf die Zensur<lb/> in seinen Plänen beeinflussen, oft entmutigen. Mit der größten Energie im<lb/> Kreise seiner wissenschaftlichen und poetischen Unternehmungen, d. h. so lange<lb/> er sich im Reiche der Gedanken bewegte, verband er eine merkwürdige Schwäche,<lb/> wenn es galt, zu handeln, fremdem Willen entgegenzutreten, ja auch nur<lb/> Physischen Einwirkungen zu widerstehen. Gewiß zum guten Teil auf diese<lb/> Schwäche ist sein Unvermögen zurückzuführen, sich von dem undankbaren Wien<lb/> zu entfernen. Das Pflanzenartige seiner Natur hat er ja selbst beklagt. Auf<lb/> Reisen war ihm die jagende Fülle der Eindrücke eine wahre Qual, und doch war<lb/> er hinausgezogen, um sich zu zerstreuen, und doch atmete er bei aller „Naunzerei"<lb/> mit Begeisterung die Schönheit Roms oder Konstantinopels ein. So war er denn<lb/> ewig mit sich unzufrieden, grübelte in einem fort über sich selbst» ein rechter<lb/> Hypochonder, wie er sich in der Selbstbiographie nur allzu oft anklagt. Aber dieser<lb/> Hang zur Selbstbeobachtung, dieses unablässige Denken über sich selbst stand mit<lb/> seinem künstlerischen Schaffenstrieb in schreienden Gegensatz. Aus der Tiefe<lb/> seiner eignen Herzensqual ruft er in dem Gedicht auf Zacharias Werner aus:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_34" type="poem"> <l> nichr auf sich selbst, die eigne Form und Unform<lb/> Soll er öder Mensch) die Angen besten, wenden seine Glut;<lb/> Die Außenwelt ward ihm als lichte Braut,<lb/> Die mag er sich erfassen und umarmen<lb/> Und Kinder zeugen!</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1838" prev="#ID_1837" next="#ID_1839"> Eine der seltnen wahrhaft mystischen Stellen bei Grillparzer. Kein Künstler<lb/> hat so nachdrücklich und ausdauernd vom Dichter gefordert, daß er naiv, gegen¬<lb/> ständlich, anschaulich, bildhaft denken solle, und in den besten Jahren that er<lb/> selbst es auch in hohem Grade; er hat sich deshalb mit sehr wenigen Dichtern<lb/> seiner Zeit, etwa nur mit Uhland und Heine (den er aber seiner Person wegen<lb/> nicht liebte) befreunden können; seine Hochschätzung Lopes de Vega hat hier<lb/> ihren Grund. Aber nur in der Selbstvergessenheit, nur im rückhaltlosen Aus¬<lb/> gehen des Künstlers in seinen Gegenstand kann diese Forderung erfüllt werden,<lb/> weshalb auch der Schein des „unbewußten Schaffens" entstehen konnte. Der<lb/> hypochondrische Hang hingegen untergrub in einem fort diese Fähigkeit, sich<lb/> zu vergessen, aus sich selbst herauszutreten, indem sie die Aufmerksamkeit des<lb/> Dichters nach innen lenkte, so daß er sich eben nicht genug vergessen konnte.<lb/> Darum der Glaubenssatz Grillparzers: die Inspiration ist meine einzige Göttin;<lb/> darum in seinen spätern Aufzeichnungen die ängstlichen Klagen, daß es mit<lb/> seiner Kunst abwärts gehe, daß es den Gestalten an Leben mangle, daß er sie<lb/> uicht mehr fühle. Ohne Gefühl aber giebt es keine dichterische Schöpfung.<lb/> So trifft man ihn in seinen schwermütigen Tagebüchern, deren traurigsten<lb/> Mitteilungen in die letzten zwanziger Jahre fallen, wo Grillparzer nahe daran</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 18L9 71</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0569]
Grillparzer und seine Jugönddramen
eingeschüchtert. Bei all seinem großen Verstände, der ihm die Hohlheit und
Wertlosigkeit schlechter Rezensenten klar erkennen ließ, war er gegen alle Kritik
von merkwürdiger Empfindlichkeit und ließ sich von Rücksichten auf die Zensur
in seinen Plänen beeinflussen, oft entmutigen. Mit der größten Energie im
Kreise seiner wissenschaftlichen und poetischen Unternehmungen, d. h. so lange
er sich im Reiche der Gedanken bewegte, verband er eine merkwürdige Schwäche,
wenn es galt, zu handeln, fremdem Willen entgegenzutreten, ja auch nur
Physischen Einwirkungen zu widerstehen. Gewiß zum guten Teil auf diese
Schwäche ist sein Unvermögen zurückzuführen, sich von dem undankbaren Wien
zu entfernen. Das Pflanzenartige seiner Natur hat er ja selbst beklagt. Auf
Reisen war ihm die jagende Fülle der Eindrücke eine wahre Qual, und doch war
er hinausgezogen, um sich zu zerstreuen, und doch atmete er bei aller „Naunzerei"
mit Begeisterung die Schönheit Roms oder Konstantinopels ein. So war er denn
ewig mit sich unzufrieden, grübelte in einem fort über sich selbst» ein rechter
Hypochonder, wie er sich in der Selbstbiographie nur allzu oft anklagt. Aber dieser
Hang zur Selbstbeobachtung, dieses unablässige Denken über sich selbst stand mit
seinem künstlerischen Schaffenstrieb in schreienden Gegensatz. Aus der Tiefe
seiner eignen Herzensqual ruft er in dem Gedicht auf Zacharias Werner aus:
nichr auf sich selbst, die eigne Form und Unform
Soll er öder Mensch) die Angen besten, wenden seine Glut;
Die Außenwelt ward ihm als lichte Braut,
Die mag er sich erfassen und umarmen
Und Kinder zeugen!
Eine der seltnen wahrhaft mystischen Stellen bei Grillparzer. Kein Künstler
hat so nachdrücklich und ausdauernd vom Dichter gefordert, daß er naiv, gegen¬
ständlich, anschaulich, bildhaft denken solle, und in den besten Jahren that er
selbst es auch in hohem Grade; er hat sich deshalb mit sehr wenigen Dichtern
seiner Zeit, etwa nur mit Uhland und Heine (den er aber seiner Person wegen
nicht liebte) befreunden können; seine Hochschätzung Lopes de Vega hat hier
ihren Grund. Aber nur in der Selbstvergessenheit, nur im rückhaltlosen Aus¬
gehen des Künstlers in seinen Gegenstand kann diese Forderung erfüllt werden,
weshalb auch der Schein des „unbewußten Schaffens" entstehen konnte. Der
hypochondrische Hang hingegen untergrub in einem fort diese Fähigkeit, sich
zu vergessen, aus sich selbst herauszutreten, indem sie die Aufmerksamkeit des
Dichters nach innen lenkte, so daß er sich eben nicht genug vergessen konnte.
Darum der Glaubenssatz Grillparzers: die Inspiration ist meine einzige Göttin;
darum in seinen spätern Aufzeichnungen die ängstlichen Klagen, daß es mit
seiner Kunst abwärts gehe, daß es den Gestalten an Leben mangle, daß er sie
uicht mehr fühle. Ohne Gefühl aber giebt es keine dichterische Schöpfung.
So trifft man ihn in seinen schwermütigen Tagebüchern, deren traurigsten
Mitteilungen in die letzten zwanziger Jahre fallen, wo Grillparzer nahe daran
Grenzboten I 18L9 71
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