Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.sie mich leidenschaftlich in ihre Arme, gab aber die befremdliche Antwort: Es lind das that sie denn; um Nachmittag erhielt ich einen Brief von ihr, Erschüttert und gerührt eilte ich zu ihr zurück, um ihr zu sagen: Du Da willigte sie ein, meine Braut zu werden. Aber es war ein trüber Brautstand. Sie, die während der Annäherung sie mich leidenschaftlich in ihre Arme, gab aber die befremdliche Antwort: Es lind das that sie denn; um Nachmittag erhielt ich einen Brief von ihr, Erschüttert und gerührt eilte ich zu ihr zurück, um ihr zu sagen: Du Da willigte sie ein, meine Braut zu werden. Aber es war ein trüber Brautstand. Sie, die während der Annäherung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204567"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1539" prev="#ID_1538"> sie mich leidenschaftlich in ihre Arme, gab aber die befremdliche Antwort: Es<lb/> darf nicht sein, ich bin keine Frau für dich. Mehr verwundert als erschreckt<lb/> fragte ich nach ihre:? Gründen, bekam aber keine bestimmte Antwort. Sie<lb/> klagte leise, daß sie Unrecht daran gethan habe, sich nur zu nähern, war aber<lb/> zu einer genügenden Erklärung nicht zu bewegen. Endlich versprach sie, mir<lb/> zu schreiben, was mündlich zu sagen ihr zu schwer würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1540"> lind das that sie denn; um Nachmittag erhielt ich einen Brief von ihr,<lb/> worin sie mir mitteilte, sie sei die Tochter eines im Gefängnis gestorbenen<lb/> Mannes. Meine Mutter, schrieb sie, habe ich gar nicht gekannt, meinen Vater<lb/> nur dunkel; die Verwandten meiner Mutter nahmen mich als kleines Kind zu<lb/> sich. Dieselben Verwandten haben mich in Berlin erziehen lassen und haben<lb/> den Versuch gemacht, mir die Kenntnis meiner Abstammung vorzuenthalten,<lb/> aber vergeblich; ich erhielt sie durch einen gerichtlichen Akt, der mir zu Gesichte<lb/> kam, als ich kaum sechzehn Jahre alt war, plötzlich, in den brutal nackten<lb/> Worten der amtlichen Sprache. Seitdem weiß ich, daß eine Last von Schande<lb/> unabschüttelbar auf mir ruht; ich bin aus der Heimat geflohen, meine Ver¬<lb/> wandten haben mich mit Geld versorgt, und ich habe mir hier, wo mich nie¬<lb/> mand kannte, ein verborgenes Dasein geschaffen. Wärst du nie gekommen,<lb/> es hätte kein Mensch von meinem heimlichen Elend erfahren, dir aber muß<lb/> ich es sagen, damit dn siehst, daß ich deine Fran nicht werden kann. Ich will<lb/> von hier fortgehen, wenn du es wünschest, damit du mir nicht mehr zu be¬<lb/> gegnen brauchst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1541"> Erschüttert und gerührt eilte ich zu ihr zurück, um ihr zu sagen: Du<lb/> armes Kind, was mußt du gelitten haben, und was für einen Zopf hast du<lb/> dir da angebunden! Was kümmert mich das alte Theaterrequisit, die Schande<lb/> meines Vaters? Ich will dich, wie du da bist, und deine Ehrlichkeit macht<lb/> dich mir nur teurer. Ich verlange von dir nicht Abstammung, sondern treue,<lb/> demütige Liebe; im übrigen stehe ich allein und unabhängig da, so daß ich<lb/> mich um andre nicht zu kümmern brauche.</p><lb/> <p xml:id="ID_1542"> Da willigte sie ein, meine Braut zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1543"> Aber es war ein trüber Brautstand. Sie, die während der Annäherung<lb/> jedem Wunsche zuvorkam, wurde jetzt, in der Nähe, launisch und zurückhaltend.<lb/> Sonst hatte sie kein Wetter gescheut, um mit mir zusammenzutreffen, jetzt<lb/> machte der leiseste Reif ihre Stiefelchen zu naß. Früher hatte sie die Ein¬<lb/> samkeit mit mir gesucht, jetzt kam sie gar auf den Gedanken, es sei uns eine<lb/> Anstandsdame nötig. Hie und da brach sie einen bräutlichen Zank vom<lb/> Zaun, einmal sogar eine kleine Eifersuchtsszene. Wäre sie ein glänzendes,<lb/> verwöhntes Wesen gewesen, ich weiß nicht, ob ich sie nicht hätte fallen lassen;<lb/> so, wie sie war, gab ich mich nur um so mehr dem Gedanken hin, daß es<lb/> meine Aufgabe sei, ihr das Leben wieder von der lichten Seite zu zeigen, und<lb/> unsre Kämpfe schlössen mich nur immer fester an sie an.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0478]
sie mich leidenschaftlich in ihre Arme, gab aber die befremdliche Antwort: Es
darf nicht sein, ich bin keine Frau für dich. Mehr verwundert als erschreckt
fragte ich nach ihre:? Gründen, bekam aber keine bestimmte Antwort. Sie
klagte leise, daß sie Unrecht daran gethan habe, sich nur zu nähern, war aber
zu einer genügenden Erklärung nicht zu bewegen. Endlich versprach sie, mir
zu schreiben, was mündlich zu sagen ihr zu schwer würde.
lind das that sie denn; um Nachmittag erhielt ich einen Brief von ihr,
worin sie mir mitteilte, sie sei die Tochter eines im Gefängnis gestorbenen
Mannes. Meine Mutter, schrieb sie, habe ich gar nicht gekannt, meinen Vater
nur dunkel; die Verwandten meiner Mutter nahmen mich als kleines Kind zu
sich. Dieselben Verwandten haben mich in Berlin erziehen lassen und haben
den Versuch gemacht, mir die Kenntnis meiner Abstammung vorzuenthalten,
aber vergeblich; ich erhielt sie durch einen gerichtlichen Akt, der mir zu Gesichte
kam, als ich kaum sechzehn Jahre alt war, plötzlich, in den brutal nackten
Worten der amtlichen Sprache. Seitdem weiß ich, daß eine Last von Schande
unabschüttelbar auf mir ruht; ich bin aus der Heimat geflohen, meine Ver¬
wandten haben mich mit Geld versorgt, und ich habe mir hier, wo mich nie¬
mand kannte, ein verborgenes Dasein geschaffen. Wärst du nie gekommen,
es hätte kein Mensch von meinem heimlichen Elend erfahren, dir aber muß
ich es sagen, damit dn siehst, daß ich deine Fran nicht werden kann. Ich will
von hier fortgehen, wenn du es wünschest, damit du mir nicht mehr zu be¬
gegnen brauchst.
Erschüttert und gerührt eilte ich zu ihr zurück, um ihr zu sagen: Du
armes Kind, was mußt du gelitten haben, und was für einen Zopf hast du
dir da angebunden! Was kümmert mich das alte Theaterrequisit, die Schande
meines Vaters? Ich will dich, wie du da bist, und deine Ehrlichkeit macht
dich mir nur teurer. Ich verlange von dir nicht Abstammung, sondern treue,
demütige Liebe; im übrigen stehe ich allein und unabhängig da, so daß ich
mich um andre nicht zu kümmern brauche.
Da willigte sie ein, meine Braut zu werden.
Aber es war ein trüber Brautstand. Sie, die während der Annäherung
jedem Wunsche zuvorkam, wurde jetzt, in der Nähe, launisch und zurückhaltend.
Sonst hatte sie kein Wetter gescheut, um mit mir zusammenzutreffen, jetzt
machte der leiseste Reif ihre Stiefelchen zu naß. Früher hatte sie die Ein¬
samkeit mit mir gesucht, jetzt kam sie gar auf den Gedanken, es sei uns eine
Anstandsdame nötig. Hie und da brach sie einen bräutlichen Zank vom
Zaun, einmal sogar eine kleine Eifersuchtsszene. Wäre sie ein glänzendes,
verwöhntes Wesen gewesen, ich weiß nicht, ob ich sie nicht hätte fallen lassen;
so, wie sie war, gab ich mich nur um so mehr dem Gedanken hin, daß es
meine Aufgabe sei, ihr das Leben wieder von der lichten Seite zu zeigen, und
unsre Kämpfe schlössen mich nur immer fester an sie an.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |