Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.Das Pariser Aegelschieben wenn er beseitigt wäre, einen dauernden Bau mit vernünftigem Zwecke zu er¬ Das Pariser Aegelschieben wenn er beseitigt wäre, einen dauernden Bau mit vernünftigem Zwecke zu er¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204539"/> <fw type="header" place="top"> Das Pariser Aegelschieben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1477" prev="#ID_1476" next="#ID_1478"> wenn er beseitigt wäre, einen dauernden Bau mit vernünftigem Zwecke zu er¬<lb/> richten im Stande sein wurde. Von einen: französischen Dichterlinge sagte<lb/> man, er sei gar nichts, nicht einmal Mitglied der Akademie, und Heine schrieb<lb/> boshaft, kein wohlerzogner Preuße in mittleren Jahren könne drei Dingen zu<lb/> entgehen hoffen: dem Tode, dein Steuererheber und dem roten Adlerorden<lb/> vierter Güte. So wird es, wenn die og.ung.8 vMit,g.wen des französischen Parla¬<lb/> mentarismus noch einige Zeit sich weiter fristet, einem leidlich begabten und<lb/> gebildeten Pariser schwierig werden, sich ein Ministerportefeuille von? Leibe zu<lb/> halten; denn der ans Neid und Gefallen an Umsturz und Wechsel gemischte<lb/> demokratische Wahnsinn der französischen Republikaner hat den: Lande seit<lb/> 1871 nicht weniger als 24 Ministerien aufgenötigt, und die jetzige Deputirten-<lb/> kammer hat seit dem Oktober 1885 sechsmal Kabinetskrisen hervorgerufen,<lb/> die mit einen? Wechsel der Regierung endigten. Sie stürzte nach der Wieder¬<lb/> wahl Grsvys am 2. Januar das Kabinet Brissons, dann das Kabinet Freyeinet-<lb/> Voulnngcr, das vom 7. Januar bis zum 3. Dezember 1886 sich behauptet<lb/> hatte, ferner das Kabinet Goblets, das fünf Monate und sieben Tage, nämlich<lb/> vom 11. Dezember 1886 bis zum 17. Mai 1887 dauerte, ferner Rouvier und<lb/> seine Kollegen, die sich vom 31. Mai bis zum 19. November ans ihrem Posten<lb/> erhielten, das Ministerium Tirards, das von? 13. Dezember 1887 bis zum<lb/> 31. März 1888 im Amte war und durch eine Mehrheit von nur 31 Stimmen<lb/> zu Falle gebracht wurde, endlich das Kabinet Floqucts, das, ans den Reihen<lb/> der Radikalen hervorgegangen, nach einer Regierung von 19^ Monaten an<lb/> der Nevisionsfrage scheiterte. Das neue Ministerium, das Tirard nicht ohne<lb/> Mühe zusammensetzte, enthält nur wenige neue Leute, es schließt vier Mit¬<lb/> glieder ein, die schon Ministerpräsidenten gewesen sind, und fast alle andern haben<lb/> bereits die Freuden und Leiden hoher Ämter gekostet. Die einzige hervorragende<lb/> Persönlichkeit desselben ist Frehcinet, der sich aber anch nur durch Elastizität,<lb/> Nachgiebigkeit und die Kunst, in allen Sätteln zu reiten, auszeichnet und niemand<lb/> viel Vertrauen und Achtung einflößt. Er war der dritte Kandidat, als es sich<lb/> nach Grsvys Fall zwischen Ferrh und Carnot um die Wahl eines neuen Prä¬<lb/> sidenten der Republik handelte, und einen Augenblick sah es aus, als würde<lb/> diese auf ihn fallen, weil er glatten Verlauf der Dinge unter allen Parteien<lb/> zu verheißen schien. Jetzt ist er der eigentliche Leiter eines Kabinets, das<lb/> eine Art Leipziger Allerlei aus verschiedenen politischen Gemüsen ist. Rouvier<lb/> ist ein überzeugter Anhänger Ferrys, Tirard, sputter, Constans, Falliöres<lb/> und Faye sind Opportunisten, die Herren Thvvenet, Aves Guhot und Pichon<lb/> gehören der radikalen Partei an, aber die Hauptfarbe des Ministeriums ist<lb/> das opportunistische Blaßrot. Die Gemäßigten, die beigetreten sind, besitzen<lb/> keine scharf ausgeprägte, mit Entschlossenheit gepaarte Meinung, und anderseits<lb/> sind die radikalen Minister leicht von der Gedankenbläsfe ihrer opportunistische»<lb/> Amtsgenossen angekränkelt, was namentlich vom Justizminister Thövenet be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0450]
Das Pariser Aegelschieben
wenn er beseitigt wäre, einen dauernden Bau mit vernünftigem Zwecke zu er¬
richten im Stande sein wurde. Von einen: französischen Dichterlinge sagte
man, er sei gar nichts, nicht einmal Mitglied der Akademie, und Heine schrieb
boshaft, kein wohlerzogner Preuße in mittleren Jahren könne drei Dingen zu
entgehen hoffen: dem Tode, dein Steuererheber und dem roten Adlerorden
vierter Güte. So wird es, wenn die og.ung.8 vMit,g.wen des französischen Parla¬
mentarismus noch einige Zeit sich weiter fristet, einem leidlich begabten und
gebildeten Pariser schwierig werden, sich ein Ministerportefeuille von? Leibe zu
halten; denn der ans Neid und Gefallen an Umsturz und Wechsel gemischte
demokratische Wahnsinn der französischen Republikaner hat den: Lande seit
1871 nicht weniger als 24 Ministerien aufgenötigt, und die jetzige Deputirten-
kammer hat seit dem Oktober 1885 sechsmal Kabinetskrisen hervorgerufen,
die mit einen? Wechsel der Regierung endigten. Sie stürzte nach der Wieder¬
wahl Grsvys am 2. Januar das Kabinet Brissons, dann das Kabinet Freyeinet-
Voulnngcr, das vom 7. Januar bis zum 3. Dezember 1886 sich behauptet
hatte, ferner das Kabinet Goblets, das fünf Monate und sieben Tage, nämlich
vom 11. Dezember 1886 bis zum 17. Mai 1887 dauerte, ferner Rouvier und
seine Kollegen, die sich vom 31. Mai bis zum 19. November ans ihrem Posten
erhielten, das Ministerium Tirards, das von? 13. Dezember 1887 bis zum
31. März 1888 im Amte war und durch eine Mehrheit von nur 31 Stimmen
zu Falle gebracht wurde, endlich das Kabinet Floqucts, das, ans den Reihen
der Radikalen hervorgegangen, nach einer Regierung von 19^ Monaten an
der Nevisionsfrage scheiterte. Das neue Ministerium, das Tirard nicht ohne
Mühe zusammensetzte, enthält nur wenige neue Leute, es schließt vier Mit¬
glieder ein, die schon Ministerpräsidenten gewesen sind, und fast alle andern haben
bereits die Freuden und Leiden hoher Ämter gekostet. Die einzige hervorragende
Persönlichkeit desselben ist Frehcinet, der sich aber anch nur durch Elastizität,
Nachgiebigkeit und die Kunst, in allen Sätteln zu reiten, auszeichnet und niemand
viel Vertrauen und Achtung einflößt. Er war der dritte Kandidat, als es sich
nach Grsvys Fall zwischen Ferrh und Carnot um die Wahl eines neuen Prä¬
sidenten der Republik handelte, und einen Augenblick sah es aus, als würde
diese auf ihn fallen, weil er glatten Verlauf der Dinge unter allen Parteien
zu verheißen schien. Jetzt ist er der eigentliche Leiter eines Kabinets, das
eine Art Leipziger Allerlei aus verschiedenen politischen Gemüsen ist. Rouvier
ist ein überzeugter Anhänger Ferrys, Tirard, sputter, Constans, Falliöres
und Faye sind Opportunisten, die Herren Thvvenet, Aves Guhot und Pichon
gehören der radikalen Partei an, aber die Hauptfarbe des Ministeriums ist
das opportunistische Blaßrot. Die Gemäßigten, die beigetreten sind, besitzen
keine scharf ausgeprägte, mit Entschlossenheit gepaarte Meinung, und anderseits
sind die radikalen Minister leicht von der Gedankenbläsfe ihrer opportunistische»
Amtsgenossen angekränkelt, was namentlich vom Justizminister Thövenet be-
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