Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.Wolf Baudissin feinsinnigen Beherrscher des dichterischen Ausdrucks gebildet hatte, und da ist
Hier ferner aus dem Mai 1873 ein launiger Trinkspruch ans Meister Tieck
Aus dem Jahre seines Zweiten Brautstandes endlich noch folgendes Gedicht:
Aber kehren wir zur Prosa zurück und werfen wir noch einen Blick auf Grenzboten I 188S 4Ä
Wolf Baudissin feinsinnigen Beherrscher des dichterischen Ausdrucks gebildet hatte, und da ist
Hier ferner aus dem Mai 1873 ein launiger Trinkspruch ans Meister Tieck
Aus dem Jahre seines Zweiten Brautstandes endlich noch folgendes Gedicht:
Aber kehren wir zur Prosa zurück und werfen wir noch einen Blick auf Grenzboten I 188S 4Ä
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0337" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204426"/> <fw type="header" place="top"> Wolf Baudissin</fw><lb/> <p xml:id="ID_1077" prev="#ID_1076" next="#ID_1078"> feinsinnigen Beherrscher des dichterischen Ausdrucks gebildet hatte, und da ist<lb/> es wohl in der Ordnung, daß ich zu dem, was dem Leser etwa von seinen<lb/> Leistungen in diesem Augenblicke vorschweben mag, einiges aus uicht allgemein<lb/> zugänglicher Quelle hinzufüge. Kann man mit mehr Anmut für eine kleine<lb/> Gefälligkeit danken, als es in folgenden Zeilen geschehen ist, die sich unter<lb/> vielen andern Gelegenheitsgedichten in dem nach seinem Tode für seine Freunde<lb/> zusammengestellten Gedenkbuch finden? Sie find vom Jahre 1876 — man<lb/> rechne nach —, Anakreon hätte es nicht schöner ausdrucken können!</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_27" type="poem"> <l><cb type="start"/> Wenn Iris mit den bunten Schwingen,<lb/> Dom Adler gleich an raschem Fing,<lb/> Windschncll gen Troja Jnnos Botschaft trug,<lb/> Mondi' ihr die Luftfahrt leicht gelingen.<lb/> Du aber hast weit mehr als sie vollbracht:<lb/> Du kamst, so kurz vor dunkler Nacht,<lb/><cb/> Auf rauhem Pfade, steil und schmal,<lb/> stiegst unverzagt ins tiefe Thal<lb/> Den Berg hinab, und ohne Wanken<lb/> Brnchtst du das Buch, nach dem ich frug.<lb/> Wie fand' ich Worte je genug,<lb/> Für so viel Güte dir zu danken?<lb/><cb type="end"/> </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1078" prev="#ID_1077" next="#ID_1079"> Hier ferner aus dem Mai 1873 ein launiger Trinkspruch ans Meister Tieck<lb/> bei der Feier seines hundertjährigen Geburtstages — der beste Beweis für<lb/> Baudissius Anhänglichkeit an seinen langjährigen Freund:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_28" type="poem"> <l><cb type="start"/> Meister in Poesie wie in Kritik,<lb/> Ob deine Wahl romantisch, ob antik,<lb/> Uns dünkte, was du lasest, wie Musik.<lb/> Der Franzmann nennt dich wohl trop Km-<lb/> tasii^no,<lb/> Doch Shakespeare winkt dir lächelnd sxoalc,<lb/> o spsalc!<lb/><cb/> In deiner Prosa, welche Mosaik<lb/> Voll feinstem Witz, wie treffend die Replik<lb/> Im Dialog! Ja dieser ist, ost> illo<lb/> Ein Stern in unsrer Dichterrepublik,<lb/> Ans Deutschlands An'u ein g oldumstrahlter Pic.<lb/> Hoch laßt ihn leben, unsern Ludovic,<lb/> Den nie vergessnen, teuern Meister Tieck!<lb/><cb type="end"/> </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1079" prev="#ID_1078"> Aus dem Jahre seines Zweiten Brautstandes endlich noch folgendes Gedicht:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_29" type="poem"> <l><cb type="start"/> In des Wagens dunkler Klause<lb/> Sitz' ich mit fünf stummen Bären,<lb/> All' in weiten grauen Mänteln,<lb/> Drei aus Böhmen, zwei aus Mähren.<lb/> Unsre zwölf gekreuzten Beine<lb/> Gleichen zwölf verschränkten Speeren,<lb/> Keiner spricht ein Wort, sie schlafen<lb/> Fest, als ob sie Tote wären.<lb/> Während die Gefährten schnarchen,<lb/> Brauch' ich nicht dem Schlaf zu wehren,<lb/> Denn ich denk' an dich, Geliebte,<lb/> Mit dem sehnlichsten Begehren;<lb/> Mal' im Geist mir heitre Bilder,<lb/> Wie bei meinem Wiederkehren<lb/> Wohl die Freude deine schönen,<lb/> sanften Zuge wird verklären,<lb/><cb/> Wie ich stündlich werde sinnen.,<lb/> Dich zu lieben, dich zu ehren,<lb/> Immer nur von dir zu lernen<lb/> Oder neues dich zu lehren.<lb/> Immer schürend, unsrer Flammen<lb/> Reine, heil'ge Glut zu nähren,<lb/> Unsrer Seele echte Schätze<lb/> Nie zu mindern, stets zu mehren<lb/> Und im Guten, Wahren, Schönen<lb/> Einznsammelil goldne Ähren.<lb/> Welch Entzücken, wenn nicht länger<lb/> Wir von Ländern und vou Meeren<lb/> Fern gehalten uns umarmen,<lb/> Innig, heiß, mit freut'gen Zähren.<lb/> Fahre hurtig, Schwager, blase!<lb/> Treibe deine müden Mähren!<lb/><cb type="end"/> </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1080" next="#ID_1081"> Aber kehren wir zur Prosa zurück und werfen wir noch einen Blick auf<lb/> das preisliche Naturel dieses merkwürdigen Mannes, der wohl das Greisen¬<lb/> alter erreichte, aber nie ein Greis wurde.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 188S 4Ä</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0337]
Wolf Baudissin
feinsinnigen Beherrscher des dichterischen Ausdrucks gebildet hatte, und da ist
es wohl in der Ordnung, daß ich zu dem, was dem Leser etwa von seinen
Leistungen in diesem Augenblicke vorschweben mag, einiges aus uicht allgemein
zugänglicher Quelle hinzufüge. Kann man mit mehr Anmut für eine kleine
Gefälligkeit danken, als es in folgenden Zeilen geschehen ist, die sich unter
vielen andern Gelegenheitsgedichten in dem nach seinem Tode für seine Freunde
zusammengestellten Gedenkbuch finden? Sie find vom Jahre 1876 — man
rechne nach —, Anakreon hätte es nicht schöner ausdrucken können!
Wenn Iris mit den bunten Schwingen,
Dom Adler gleich an raschem Fing,
Windschncll gen Troja Jnnos Botschaft trug,
Mondi' ihr die Luftfahrt leicht gelingen.
Du aber hast weit mehr als sie vollbracht:
Du kamst, so kurz vor dunkler Nacht,
Auf rauhem Pfade, steil und schmal,
stiegst unverzagt ins tiefe Thal
Den Berg hinab, und ohne Wanken
Brnchtst du das Buch, nach dem ich frug.
Wie fand' ich Worte je genug,
Für so viel Güte dir zu danken?
Hier ferner aus dem Mai 1873 ein launiger Trinkspruch ans Meister Tieck
bei der Feier seines hundertjährigen Geburtstages — der beste Beweis für
Baudissius Anhänglichkeit an seinen langjährigen Freund:
Meister in Poesie wie in Kritik,
Ob deine Wahl romantisch, ob antik,
Uns dünkte, was du lasest, wie Musik.
Der Franzmann nennt dich wohl trop Km-
tasii^no,
Doch Shakespeare winkt dir lächelnd sxoalc,
o spsalc!
In deiner Prosa, welche Mosaik
Voll feinstem Witz, wie treffend die Replik
Im Dialog! Ja dieser ist, ost> illo
Ein Stern in unsrer Dichterrepublik,
Ans Deutschlands An'u ein g oldumstrahlter Pic.
Hoch laßt ihn leben, unsern Ludovic,
Den nie vergessnen, teuern Meister Tieck!
Aus dem Jahre seines Zweiten Brautstandes endlich noch folgendes Gedicht:
In des Wagens dunkler Klause
Sitz' ich mit fünf stummen Bären,
All' in weiten grauen Mänteln,
Drei aus Böhmen, zwei aus Mähren.
Unsre zwölf gekreuzten Beine
Gleichen zwölf verschränkten Speeren,
Keiner spricht ein Wort, sie schlafen
Fest, als ob sie Tote wären.
Während die Gefährten schnarchen,
Brauch' ich nicht dem Schlaf zu wehren,
Denn ich denk' an dich, Geliebte,
Mit dem sehnlichsten Begehren;
Mal' im Geist mir heitre Bilder,
Wie bei meinem Wiederkehren
Wohl die Freude deine schönen,
sanften Zuge wird verklären,
Wie ich stündlich werde sinnen.,
Dich zu lieben, dich zu ehren,
Immer nur von dir zu lernen
Oder neues dich zu lehren.
Immer schürend, unsrer Flammen
Reine, heil'ge Glut zu nähren,
Unsrer Seele echte Schätze
Nie zu mindern, stets zu mehren
Und im Guten, Wahren, Schönen
Einznsammelil goldne Ähren.
Welch Entzücken, wenn nicht länger
Wir von Ländern und vou Meeren
Fern gehalten uns umarmen,
Innig, heiß, mit freut'gen Zähren.
Fahre hurtig, Schwager, blase!
Treibe deine müden Mähren!
Aber kehren wir zur Prosa zurück und werfen wir noch einen Blick auf
das preisliche Naturel dieses merkwürdigen Mannes, der wohl das Greisen¬
alter erreichte, aber nie ein Greis wurde.
Grenzboten I 188S 4Ä
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