Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches daß er manchen Zug aus dem einen Plan, der nicht zur Ausführung kam, in Wie sich Geschichte und Philosophie, die Wissenschaft des Werdens und die
Das stimmt ganz mit Volkelts Betrachtungen zusammen, der nachdrücklich wie kein Maßgebliches und Unmaßgebliches daß er manchen Zug aus dem einen Plan, der nicht zur Ausführung kam, in Wie sich Geschichte und Philosophie, die Wissenschaft des Werdens und die
Das stimmt ganz mit Volkelts Betrachtungen zusammen, der nachdrücklich wie kein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204337"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_810" prev="#ID_809"> daß er manchen Zug aus dem einen Plan, der nicht zur Ausführung kam, in<lb/> einem andern Drama verwertete, z. B. das Motiv des plötzlich zur Sprache ge¬<lb/> langenden Stummen aus einer geplanten „Krösus"-Tragödie im „Traum ein<lb/> Leben." Ferner sehen wir, das; Grillparzer Stoffe, die er spät ausführte,<lb/> lauge Jahre mit sich trug, z, B. den Kaiser Rudolf II., „Der Traum ein Leben,"<lb/> Hero, auch Sappho. Dann, wenn ihn die dichterische Begeisterung erfaßte, schrieb<lb/> er die bis ins Einzelne durchdachten und klar geschauten Stücke in überraschend<lb/> kurzer Zeit nieder. Aber er muß anch da Skizzen hinterlassen haben, denn<lb/> Sauer berichtet von fallen gelassenen Teilen der Medea-Trilogie. Bekanntlich<lb/> wurde Grillparzer gerade während der Arbeit um dieser großen Dichtung von den<lb/> schmerzlichsten Unfällen heimgesucht, die Inspiration wurde unterbrochen, auch eine<lb/> Erholungsreise ins Ausland nützte «indes, bis ihn das zufällige Anhören eines<lb/> Musikstückes von Mozart wieder in dieselbe Stimmung versetzte, die ihn bei der<lb/> Konzeption der Trilogie erfüllt hatte, und min konnte er die Tragödie zu Ende<lb/> schreiben. Aber einzelne Motive gingen doch verloren, waS Grillparzer selbst später<lb/> beklagte, ohne daß die Kritiker ihm Recht geben konnten; denn diese merkten keinen<lb/> Bruch. Sauer zählt diese Motive auf. Er weiß auch sehr unterrichtend über<lb/> Grillparzers selig-unselige Liebesverhältnisse zu spreche» und nennt zum erstenmale<lb/> die beteiligte» Frauen mit vollem Namen; für die Erkenntnis der Kunst Grill¬<lb/> parzers, die so sehr nach Wirklichkeit, nach Lebenswahrheit strebte, ist auch die<lb/> Kenntnis seiner Modelle von Wert. Sauer ist ferner in der Lage, eine von<lb/> Grillparzer selbst entworfene Analyse der Figuren des „Treuen Dieners" zum<lb/> Gebrauche der Schauspieler mitzuteilen, und bedauert mit Recht, daß nicht mehr<lb/> solcher meisterhafter Selbstkritiken vorhanden sind. Noch viele wichtige Einzelheiten<lb/> wären ans der gediegenen, einen reichen Stoff nnr allzusehr zusammenpressende»<lb/> Einleitung Sauers hervorzuheben; wir begnügen uns, auf ihren Wert hingewiesen<lb/> zu haben, und wenden uus dem Buche Volkelts zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_811" next="#ID_812"> Wie sich Geschichte und Philosophie, die Wissenschaft des Werdens und die<lb/> Wissenschaft des Seins unterscheiden, so die Darstellungen Sauers und Volkelts.<lb/> Auch Volkelt giebt weit mehr, als er verspricht, behandelt den Dichter nicht ein¬<lb/> seitig, sondern nach jeder Richtung, aber die Methode ist eine andre, wenn auch<lb/> beide Kritiker so ziemlich überall einverstanden sein dürften. Tiefer geht ohne<lb/> Frage Volkelt: wo der Historiker aufhört, fangt der Philosoph an; die ästhetischen<lb/> Urteile, die jener unmittelbar und je naiver, unbefangener, um so besser fällt,<lb/> unterzieht der Philosoph wieder der Analyse und geht auf ihren letzten Grund<lb/> in der Seele zurück. Durch dieses schärfere Eindringen in den Geist des Dichters<lb/> kann er Thatsachen feststellen, die der Historiker dnrch den Fund eines vom Dichter<lb/> selbst herrührenden Zeugnisses bestätigt. So ist z. B. folgendes merkwürdig: Sauer<lb/> weiß zu berichten, daß sich Grillparzer in seiner Jugend mit Byron beschäftigte;<lb/> eine Stelle aus dem (1812 erschienenen) „Childe Harold" muß Grillparzer be¬<lb/> sonders bei der Konzeption seiner „Sappho" beschäftigt haben:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_19" type="poem"> <l> Unsterblichkeit, wenn sie dem Lied beschieden,<lb/> Ist all die Seligkeit des Erdcnsohns hienieden.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_812" prev="#ID_811" next="#ID_813"> Das stimmt ganz mit Volkelts Betrachtungen zusammen, der nachdrücklich wie kein<lb/> Kritiker vor ihm den tragischen Gehalt der „Sappho" dargestellt hat und die Ver¬<lb/> wandtschaft der beiden sehr unter der Hypochondrie leidenden Dichter Byron und<lb/> Grillparzer auch berührt. Volkelt schließt sich, wie schon bemerkt, in den meisten<lb/> Urteilen an Scherers fein empfundene, künstlerisch reproduzirende Darstellung an;</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0248]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
daß er manchen Zug aus dem einen Plan, der nicht zur Ausführung kam, in
einem andern Drama verwertete, z. B. das Motiv des plötzlich zur Sprache ge¬
langenden Stummen aus einer geplanten „Krösus"-Tragödie im „Traum ein
Leben." Ferner sehen wir, das; Grillparzer Stoffe, die er spät ausführte,
lauge Jahre mit sich trug, z, B. den Kaiser Rudolf II., „Der Traum ein Leben,"
Hero, auch Sappho. Dann, wenn ihn die dichterische Begeisterung erfaßte, schrieb
er die bis ins Einzelne durchdachten und klar geschauten Stücke in überraschend
kurzer Zeit nieder. Aber er muß anch da Skizzen hinterlassen haben, denn
Sauer berichtet von fallen gelassenen Teilen der Medea-Trilogie. Bekanntlich
wurde Grillparzer gerade während der Arbeit um dieser großen Dichtung von den
schmerzlichsten Unfällen heimgesucht, die Inspiration wurde unterbrochen, auch eine
Erholungsreise ins Ausland nützte «indes, bis ihn das zufällige Anhören eines
Musikstückes von Mozart wieder in dieselbe Stimmung versetzte, die ihn bei der
Konzeption der Trilogie erfüllt hatte, und min konnte er die Tragödie zu Ende
schreiben. Aber einzelne Motive gingen doch verloren, waS Grillparzer selbst später
beklagte, ohne daß die Kritiker ihm Recht geben konnten; denn diese merkten keinen
Bruch. Sauer zählt diese Motive auf. Er weiß auch sehr unterrichtend über
Grillparzers selig-unselige Liebesverhältnisse zu spreche» und nennt zum erstenmale
die beteiligte» Frauen mit vollem Namen; für die Erkenntnis der Kunst Grill¬
parzers, die so sehr nach Wirklichkeit, nach Lebenswahrheit strebte, ist auch die
Kenntnis seiner Modelle von Wert. Sauer ist ferner in der Lage, eine von
Grillparzer selbst entworfene Analyse der Figuren des „Treuen Dieners" zum
Gebrauche der Schauspieler mitzuteilen, und bedauert mit Recht, daß nicht mehr
solcher meisterhafter Selbstkritiken vorhanden sind. Noch viele wichtige Einzelheiten
wären ans der gediegenen, einen reichen Stoff nnr allzusehr zusammenpressende»
Einleitung Sauers hervorzuheben; wir begnügen uns, auf ihren Wert hingewiesen
zu haben, und wenden uus dem Buche Volkelts zu.
Wie sich Geschichte und Philosophie, die Wissenschaft des Werdens und die
Wissenschaft des Seins unterscheiden, so die Darstellungen Sauers und Volkelts.
Auch Volkelt giebt weit mehr, als er verspricht, behandelt den Dichter nicht ein¬
seitig, sondern nach jeder Richtung, aber die Methode ist eine andre, wenn auch
beide Kritiker so ziemlich überall einverstanden sein dürften. Tiefer geht ohne
Frage Volkelt: wo der Historiker aufhört, fangt der Philosoph an; die ästhetischen
Urteile, die jener unmittelbar und je naiver, unbefangener, um so besser fällt,
unterzieht der Philosoph wieder der Analyse und geht auf ihren letzten Grund
in der Seele zurück. Durch dieses schärfere Eindringen in den Geist des Dichters
kann er Thatsachen feststellen, die der Historiker dnrch den Fund eines vom Dichter
selbst herrührenden Zeugnisses bestätigt. So ist z. B. folgendes merkwürdig: Sauer
weiß zu berichten, daß sich Grillparzer in seiner Jugend mit Byron beschäftigte;
eine Stelle aus dem (1812 erschienenen) „Childe Harold" muß Grillparzer be¬
sonders bei der Konzeption seiner „Sappho" beschäftigt haben:
Unsterblichkeit, wenn sie dem Lied beschieden,
Ist all die Seligkeit des Erdcnsohns hienieden.
Das stimmt ganz mit Volkelts Betrachtungen zusammen, der nachdrücklich wie kein
Kritiker vor ihm den tragischen Gehalt der „Sappho" dargestellt hat und die Ver¬
wandtschaft der beiden sehr unter der Hypochondrie leidenden Dichter Byron und
Grillparzer auch berührt. Volkelt schließt sich, wie schon bemerkt, in den meisten
Urteilen an Scherers fein empfundene, künstlerisch reproduzirende Darstellung an;
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