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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Nachteile der Überversicherung

verbrecherische Absicht anzunehmen, wenn die Überversicherung eine gewisse Höhe
erreicht; sie kann auch dann noch sehr wohl -- und das ist thatsächlich meistens
der Fall -- auf Unkenntnis oder unrichtiger, aber gutgläubiger Vorstellung
über den Wert des Versicherungsobjekts beruhen. Die Strafe würde dann einen
Unschuldigen treffen. Anderseits kann jemand die willkürlich angenommene
strafbare Höhe der Überversicherung recht wohl vermeiden und doch unreelle
Absichten haben. Dieser bleibt aber straflos.

Auch noch nach einer andern Richtung hin wirkt die Strafbarkeit der
Überversichernng geradezu schädlich, nämlich insofern als dadurch in vielen
Fällen ein ausreichender Versicherungsschutz erschwert, ja mitunter ganz ver¬
hindert werden kann. Dies leuchtet für manche Mobiliarobjekte, deren Wert
und Meuge starken und schnell wechselnden Schwankungen unterworfen ist, ohne
weiteres ein. Für diese müßte es daher grundsätzlich gestattet sein, den höchsten
Wert, deu sie im Laufe der Versicherungsperiode erreichen können, anch wenn
er zu Beginn der Versicheruugsperiode nicht vorhanden ist, zu versichern. Aber
auch für die Immobilien, deren Wert stetiger ist, trifft das Gesagte, wenn
anch in geringerem Maße, zu. Gebäude im Bau könnten z. B. uach dem Buch¬
staben des Gesetzes nicht zum vollen Werte, den sie nach ihrer Vollendung
haben, versichert werden, sondern der Besitzer könnte sich nur auf dem sehr
umständliche": und beschwerlichen Wege oft wiederholter Nachversicherungen (von
Monat zu Monat, ja von Woche zu Woche je uach dem Fortschreiten des
Baues) einigermaßen genügenden Versicherungsschutz verschaffe", wenn sich in
diesem Punkte nicht eine dem Gesetz allerdings widersprechende Duldung der
polizeilichen Aufsichtsbehörden, welche die Versicherung zum spätern Werte
geschehen läßt, infolge des thatsächlichen Bedürfnisses dazu gebildet hätte.

Wenn es hiernach als nachgewiesen gelten kann, daß die Überversicherung
in krimineller Hinsicht unter der Voraussetzung, daß das richtige Entschä¬
digungsprinzip im Schadenfalle zur Anwendung gelangt und gesetzlich fest¬
gestellt wird, ungefährlich ist, und daß deren gesetzliche Bestrafung nicht nur
überflüssig ist, sondern in mancher Beziehung sogar schädlich wirkt, so wird
auch das Mittel, das nach dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung dazu
dienen soll, Überversicherungen vorzubeugen, beseitigt werden müssen, und zwar
um so mehr, als es sich für seinen Zweck als ungenügend und wirkungslos
erwiesen hat. Dieses Mittel ist die sogenannte Präventivkontrolle und besteht
darin, daß jedes Versicherungsobjekt vor dem Abschluß des Versicherungs¬
vertrags von der Ortspolizeibehörde darauf hin geprüft werden soll, ob sein
Wert zur Versicherung nicht zu hoch angesetzt ist, und daß jede Versicherung
infolgedessen erst nach polizeilicher Erlaubnis in Kraft treten darf. Zur wirk¬
samen Durchführung einer solchen Kontrolle fehlen nun der Polizeibehörde
durchaus die Mittel und Kräfte. Eine wirkliche Prüfung, ob in jedem Falle
eine Überversicherung vorliegt oder nicht, würde überall eine genaue Aufnahme


Die Nachteile der Überversicherung

verbrecherische Absicht anzunehmen, wenn die Überversicherung eine gewisse Höhe
erreicht; sie kann auch dann noch sehr wohl — und das ist thatsächlich meistens
der Fall — auf Unkenntnis oder unrichtiger, aber gutgläubiger Vorstellung
über den Wert des Versicherungsobjekts beruhen. Die Strafe würde dann einen
Unschuldigen treffen. Anderseits kann jemand die willkürlich angenommene
strafbare Höhe der Überversicherung recht wohl vermeiden und doch unreelle
Absichten haben. Dieser bleibt aber straflos.

Auch noch nach einer andern Richtung hin wirkt die Strafbarkeit der
Überversichernng geradezu schädlich, nämlich insofern als dadurch in vielen
Fällen ein ausreichender Versicherungsschutz erschwert, ja mitunter ganz ver¬
hindert werden kann. Dies leuchtet für manche Mobiliarobjekte, deren Wert
und Meuge starken und schnell wechselnden Schwankungen unterworfen ist, ohne
weiteres ein. Für diese müßte es daher grundsätzlich gestattet sein, den höchsten
Wert, deu sie im Laufe der Versicherungsperiode erreichen können, anch wenn
er zu Beginn der Versicheruugsperiode nicht vorhanden ist, zu versichern. Aber
auch für die Immobilien, deren Wert stetiger ist, trifft das Gesagte, wenn
anch in geringerem Maße, zu. Gebäude im Bau könnten z. B. uach dem Buch¬
staben des Gesetzes nicht zum vollen Werte, den sie nach ihrer Vollendung
haben, versichert werden, sondern der Besitzer könnte sich nur auf dem sehr
umständliche»: und beschwerlichen Wege oft wiederholter Nachversicherungen (von
Monat zu Monat, ja von Woche zu Woche je uach dem Fortschreiten des
Baues) einigermaßen genügenden Versicherungsschutz verschaffe», wenn sich in
diesem Punkte nicht eine dem Gesetz allerdings widersprechende Duldung der
polizeilichen Aufsichtsbehörden, welche die Versicherung zum spätern Werte
geschehen läßt, infolge des thatsächlichen Bedürfnisses dazu gebildet hätte.

Wenn es hiernach als nachgewiesen gelten kann, daß die Überversicherung
in krimineller Hinsicht unter der Voraussetzung, daß das richtige Entschä¬
digungsprinzip im Schadenfalle zur Anwendung gelangt und gesetzlich fest¬
gestellt wird, ungefährlich ist, und daß deren gesetzliche Bestrafung nicht nur
überflüssig ist, sondern in mancher Beziehung sogar schädlich wirkt, so wird
auch das Mittel, das nach dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung dazu
dienen soll, Überversicherungen vorzubeugen, beseitigt werden müssen, und zwar
um so mehr, als es sich für seinen Zweck als ungenügend und wirkungslos
erwiesen hat. Dieses Mittel ist die sogenannte Präventivkontrolle und besteht
darin, daß jedes Versicherungsobjekt vor dem Abschluß des Versicherungs¬
vertrags von der Ortspolizeibehörde darauf hin geprüft werden soll, ob sein
Wert zur Versicherung nicht zu hoch angesetzt ist, und daß jede Versicherung
infolgedessen erst nach polizeilicher Erlaubnis in Kraft treten darf. Zur wirk¬
samen Durchführung einer solchen Kontrolle fehlen nun der Polizeibehörde
durchaus die Mittel und Kräfte. Eine wirkliche Prüfung, ob in jedem Falle
eine Überversicherung vorliegt oder nicht, würde überall eine genaue Aufnahme


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[0136] Die Nachteile der Überversicherung verbrecherische Absicht anzunehmen, wenn die Überversicherung eine gewisse Höhe erreicht; sie kann auch dann noch sehr wohl — und das ist thatsächlich meistens der Fall — auf Unkenntnis oder unrichtiger, aber gutgläubiger Vorstellung über den Wert des Versicherungsobjekts beruhen. Die Strafe würde dann einen Unschuldigen treffen. Anderseits kann jemand die willkürlich angenommene strafbare Höhe der Überversicherung recht wohl vermeiden und doch unreelle Absichten haben. Dieser bleibt aber straflos. Auch noch nach einer andern Richtung hin wirkt die Strafbarkeit der Überversichernng geradezu schädlich, nämlich insofern als dadurch in vielen Fällen ein ausreichender Versicherungsschutz erschwert, ja mitunter ganz ver¬ hindert werden kann. Dies leuchtet für manche Mobiliarobjekte, deren Wert und Meuge starken und schnell wechselnden Schwankungen unterworfen ist, ohne weiteres ein. Für diese müßte es daher grundsätzlich gestattet sein, den höchsten Wert, deu sie im Laufe der Versicherungsperiode erreichen können, anch wenn er zu Beginn der Versicheruugsperiode nicht vorhanden ist, zu versichern. Aber auch für die Immobilien, deren Wert stetiger ist, trifft das Gesagte, wenn anch in geringerem Maße, zu. Gebäude im Bau könnten z. B. uach dem Buch¬ staben des Gesetzes nicht zum vollen Werte, den sie nach ihrer Vollendung haben, versichert werden, sondern der Besitzer könnte sich nur auf dem sehr umständliche»: und beschwerlichen Wege oft wiederholter Nachversicherungen (von Monat zu Monat, ja von Woche zu Woche je uach dem Fortschreiten des Baues) einigermaßen genügenden Versicherungsschutz verschaffe», wenn sich in diesem Punkte nicht eine dem Gesetz allerdings widersprechende Duldung der polizeilichen Aufsichtsbehörden, welche die Versicherung zum spätern Werte geschehen läßt, infolge des thatsächlichen Bedürfnisses dazu gebildet hätte. Wenn es hiernach als nachgewiesen gelten kann, daß die Überversicherung in krimineller Hinsicht unter der Voraussetzung, daß das richtige Entschä¬ digungsprinzip im Schadenfalle zur Anwendung gelangt und gesetzlich fest¬ gestellt wird, ungefährlich ist, und daß deren gesetzliche Bestrafung nicht nur überflüssig ist, sondern in mancher Beziehung sogar schädlich wirkt, so wird auch das Mittel, das nach dem gegenwärtigen Stande der Gesetzgebung dazu dienen soll, Überversicherungen vorzubeugen, beseitigt werden müssen, und zwar um so mehr, als es sich für seinen Zweck als ungenügend und wirkungslos erwiesen hat. Dieses Mittel ist die sogenannte Präventivkontrolle und besteht darin, daß jedes Versicherungsobjekt vor dem Abschluß des Versicherungs¬ vertrags von der Ortspolizeibehörde darauf hin geprüft werden soll, ob sein Wert zur Versicherung nicht zu hoch angesetzt ist, und daß jede Versicherung infolgedessen erst nach polizeilicher Erlaubnis in Kraft treten darf. Zur wirk¬ samen Durchführung einer solchen Kontrolle fehlen nun der Polizeibehörde durchaus die Mittel und Kräfte. Eine wirkliche Prüfung, ob in jedem Falle eine Überversicherung vorliegt oder nicht, würde überall eine genaue Aufnahme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/136>, abgerufen am 29.09.2024.