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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und das Slawentum

nichts kommt auf die politische oder konfessionelle Parteistellung an, die jemand einnimmt;
schlagt ihm nur ein deutsches Herz in der Brust, so man er sich berufen fühlen, Helfer zu
werden in dem schweren Kampfe, der im Siidosten sür seine eigne Sache ausgefochten
.wird. >, ^ ,- ''.-^ ' ^ ' -^-Is ki?! '^,>-> >..<">. .^^vu.

Wahrlich, kau" tems ein verständiger Mann nicht slawischer Gesimimig
in Österreich-Ungarn solche Sorge iun die innervsterreichischen Dinge ernsthaft
zum Vorwarf machen? Kann man es Einmischung, BevormMldung nennen,
wenn wir wünschen, ja fordern, daß die tiationalen Kitltilrgrundlageil in Öster¬
reich erhalten bleiben, ans denen unser Vertrauen zu Österreich ruht? sollen
wir ruhig mit ansehen, wie unser Bundesgenosse gegen den nwskvwitischen
Slawismus selbst slawisch wird? Eben diese Slawisirnng halten wir für den
geraden Weg zum Untergänge Österreichs, und diesen Untergang fürchten wir.
Die Führung der Südslawen kam: Österreich nur als Besieger Moskaus in
Anspruch nehmen; vorläufig indessen ist Moskau nicht besiegt, sondern hofft
in dem Streite um die slawische Führung Österreich zu zerschlagen. Und hier
verteidigen wir, indem wir Österreich schützen, unsre eigne" nationalen und
Kulturinteressen; ja wir verteidigen gegen die russisch-slawische Welt die Kultur
Europas, wir thun dasselbe, was England, Frankreich und Sardinien 1854
gethan haben. . ,

Man mag heute den Krimkrieg mit Rücksicht ans die äußern Erfolge ab¬
fällig beurteilen; allein man sollte nicht vergessen, daß er sehr gefährliche und
weitgreifende Ausprüche Rußlands aus Jahrzehnte hinaus zerstört hat. Er hat
das russische Kommando, das man unter Nikolaus I. bis unes Paris, Lissabon
und London hörte, verstummen lassen. Erst kürzlich wurden wir durch die
Aufzeichnungen des Herzogs Ernst von Koburg wieder an die große politische
Klugheit erinnert, mit welcher der Prinz Wilhelm von Preußen im Jahre 1855
den Krimkrieg beurteilte. Er drängte seinen königlichen Bruder zum Anschluß
an Österreich gegen Rußlciud, weil im Fall eines russischen Sieges Nußland
ganz Europa den Frieden diktiren würde. "Dann muß Europa nur noch nach
seiner Pfeife tanzen, und dazu bedarf es gar keiner Läuderervbernitg, sondern
nur der moralischen Präpvndernuz, die es aus einem solchen Siege ziehen
muß, eilte Million Bajonette hinter sich, die man von 1848 kennt, zum Zucht¬
meister für den, der nicht tanzen will." (Aus meinem Leben. Bd. II. S. 254.)
Welche Reife und Objektivität in politischen Dingen spricht hieraus bei einem
Manne von so entschiedener Zuneigung für Rußland, als Wilhelm der Alte
es stets gewesen ist. Und welche Unreife, welche politische Verflachung der
französischen Politik anderseits spricht aus der heute in Frankreich üblichen
völligen Verleugnung der leitenden Gedanken von 1853! Wie wenig hat ein
Sedan, wie wenig ein unglücklicher Krieg und eine verlorene Provinz zu be¬
deuten gegenüber den Aufgaben, die sich Frankreich noch 1853 stellte! Wie
klein ist die Eitelkeit der Revanchards gegenüber dem Ehrgeiz früherer Zeiten,
gegenüber einer Politik, welche die großen Kulturinteressen Europas vor Sebastopol


Grenzboten I 15
Deutschland und das Slawentum

nichts kommt auf die politische oder konfessionelle Parteistellung an, die jemand einnimmt;
schlagt ihm nur ein deutsches Herz in der Brust, so man er sich berufen fühlen, Helfer zu
werden in dem schweren Kampfe, der im Siidosten sür seine eigne Sache ausgefochten
.wird. >, ^ ,- ''.-^ ' ^ ' -^-Is ki?! '^,>-> >..<«>. .^^vu.

Wahrlich, kau» tems ein verständiger Mann nicht slawischer Gesimimig
in Österreich-Ungarn solche Sorge iun die innervsterreichischen Dinge ernsthaft
zum Vorwarf machen? Kann man es Einmischung, BevormMldung nennen,
wenn wir wünschen, ja fordern, daß die tiationalen Kitltilrgrundlageil in Öster¬
reich erhalten bleiben, ans denen unser Vertrauen zu Österreich ruht? sollen
wir ruhig mit ansehen, wie unser Bundesgenosse gegen den nwskvwitischen
Slawismus selbst slawisch wird? Eben diese Slawisirnng halten wir für den
geraden Weg zum Untergänge Österreichs, und diesen Untergang fürchten wir.
Die Führung der Südslawen kam: Österreich nur als Besieger Moskaus in
Anspruch nehmen; vorläufig indessen ist Moskau nicht besiegt, sondern hofft
in dem Streite um die slawische Führung Österreich zu zerschlagen. Und hier
verteidigen wir, indem wir Österreich schützen, unsre eigne» nationalen und
Kulturinteressen; ja wir verteidigen gegen die russisch-slawische Welt die Kultur
Europas, wir thun dasselbe, was England, Frankreich und Sardinien 1854
gethan haben. . ,

Man mag heute den Krimkrieg mit Rücksicht ans die äußern Erfolge ab¬
fällig beurteilen; allein man sollte nicht vergessen, daß er sehr gefährliche und
weitgreifende Ausprüche Rußlands aus Jahrzehnte hinaus zerstört hat. Er hat
das russische Kommando, das man unter Nikolaus I. bis unes Paris, Lissabon
und London hörte, verstummen lassen. Erst kürzlich wurden wir durch die
Aufzeichnungen des Herzogs Ernst von Koburg wieder an die große politische
Klugheit erinnert, mit welcher der Prinz Wilhelm von Preußen im Jahre 1855
den Krimkrieg beurteilte. Er drängte seinen königlichen Bruder zum Anschluß
an Österreich gegen Rußlciud, weil im Fall eines russischen Sieges Nußland
ganz Europa den Frieden diktiren würde. „Dann muß Europa nur noch nach
seiner Pfeife tanzen, und dazu bedarf es gar keiner Läuderervbernitg, sondern
nur der moralischen Präpvndernuz, die es aus einem solchen Siege ziehen
muß, eilte Million Bajonette hinter sich, die man von 1848 kennt, zum Zucht¬
meister für den, der nicht tanzen will." (Aus meinem Leben. Bd. II. S. 254.)
Welche Reife und Objektivität in politischen Dingen spricht hieraus bei einem
Manne von so entschiedener Zuneigung für Rußland, als Wilhelm der Alte
es stets gewesen ist. Und welche Unreife, welche politische Verflachung der
französischen Politik anderseits spricht aus der heute in Frankreich üblichen
völligen Verleugnung der leitenden Gedanken von 1853! Wie wenig hat ein
Sedan, wie wenig ein unglücklicher Krieg und eine verlorene Provinz zu be¬
deuten gegenüber den Aufgaben, die sich Frankreich noch 1853 stellte! Wie
klein ist die Eitelkeit der Revanchards gegenüber dem Ehrgeiz früherer Zeiten,
gegenüber einer Politik, welche die großen Kulturinteressen Europas vor Sebastopol


Grenzboten I 15
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/121>, abgerufen am 27.09.2024.