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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und das Slawentum

seligen Charakter ohne jenes in den Ostseeprovinzen, Littauer, Polen, Ruthenier
befolgte politische System und ohne den tobenden Kampf der Nationalitäten
in Böhmen, Galizien, Mähren, Serbien, Kroatien, Rumänien, Bulgarien u. f. w.
Überschaut man jedoch diesen weit in südwestlichem Bogen ausgespannten
Kampfplatz mit seinem starken Kontingent an russischen offiziösen Streitmitteln,
dahinter das Glacis der geknebelten und mißhandelten Westgebiete Rußlands,
endlich die Vereinigung fast der gesamten russischen Heeresmacht auf der Sehne
eben jenes Bogens, der den nationalen Kampfplatz des Slawentums in Oster¬
reich und deu Donauländern heute bezeichnet, so wird man den Ernst der
Sache erkennen.

Und noch ein Umstand verwickelt diese Lage. Die beiden Kaiserreiche
werden konstitutionell und besonders Österreich in hohem Maße parlamentarisch-
freiheitlich regiert. Das Zarenreich ist absolut einem einheitlichen Willen
unterworfen. In Dingen des staatlichen Lebens, wo es ans Nachdruck, auf
Ausübung von rücksichtsloser Kraft, auf Kampf nach außen ankommt, da ist
der absolute Staat weitaus im Vorteil. Eine auf Eroberung, auf gewaltsame
Ausdehnung der Staatsgrenzen gestellte Politik verträgt ebenso schlecht, wie
der offene Krieg, eine durch Parlament und Öffentlichkeit gelähmte Leitung.
Jedes kräftige, im Wachstum begriffene Volk muß aber den Kampf ums Da¬
sein so gut wie der Einzelmensch kämpfen, muß in irgend einer Form auf
Eroberung ausgehen. Welche Mühe hat es bei uns gekostet, um die Ma߬
regeln durchzusetzen, die nötig waren zur Sicherung unsrer polnischen Landes¬
teile gegen künftige Verirrungen und Wirrnisse polnischer Politik! Daß Preußen
hundert Millionen Mark zum freien, ungezwungenen Ankauf polnischer Güter
in Posen hergab, wurde als eine Gewaltthat verschrieen, ärger als die vielen
wirklichen Gewaltsamkeiten, mit denen Nußland die Polen bedrängt. Dort
werden in aller Stille mit einem Federstrich Verordnungen erlassen, bei denen
unter Mißachtung aller privaten Rechte einzig und allein der politische Zweck
maßgebend ist, während Rücksichten aller Art in Deutschland, in Österreich
jede politische Handlung erschweren, die nicht in dein vorgezeichneten Rahmen
des verfassungsmäßigen Lebens verkauft. In Nußland liegt der Staatssäckel
stets offen für Ausgaben zur Unterstützung russischer Partisane in fremden
Ländern, zur Agitation gegen König Karl oder König Milan oder den Fürsten
von Bulgarien, oder auch zur Stärkung der russischen Parteien in Böhmen,
Mähren, Montenegro, zur Erziehung und Versorgung von Slawen aller Länder
Europas. Welche Schwierigkeiten hätte der deutsche Kanzler trotz des ihn
tragenden großen Vertrauens zu überwinden, wenn er ähnliche politische Ziele
mit staatlichen Mitteln verfolgen wollte! Man stelle sich z. B. vor, daß Deutsch¬
land einen Staat in sich schlösse, der ebenso russisch wäre, wie die russischen
Ostseeprovinzen deutsch sind. Mau denke, Posen wäre von polnischen Bauern
und durchaus russischen Gutsbesitzern bewohnt, seine Städte von russischen


Deutschland und das Slawentum

seligen Charakter ohne jenes in den Ostseeprovinzen, Littauer, Polen, Ruthenier
befolgte politische System und ohne den tobenden Kampf der Nationalitäten
in Böhmen, Galizien, Mähren, Serbien, Kroatien, Rumänien, Bulgarien u. f. w.
Überschaut man jedoch diesen weit in südwestlichem Bogen ausgespannten
Kampfplatz mit seinem starken Kontingent an russischen offiziösen Streitmitteln,
dahinter das Glacis der geknebelten und mißhandelten Westgebiete Rußlands,
endlich die Vereinigung fast der gesamten russischen Heeresmacht auf der Sehne
eben jenes Bogens, der den nationalen Kampfplatz des Slawentums in Oster¬
reich und deu Donauländern heute bezeichnet, so wird man den Ernst der
Sache erkennen.

Und noch ein Umstand verwickelt diese Lage. Die beiden Kaiserreiche
werden konstitutionell und besonders Österreich in hohem Maße parlamentarisch-
freiheitlich regiert. Das Zarenreich ist absolut einem einheitlichen Willen
unterworfen. In Dingen des staatlichen Lebens, wo es ans Nachdruck, auf
Ausübung von rücksichtsloser Kraft, auf Kampf nach außen ankommt, da ist
der absolute Staat weitaus im Vorteil. Eine auf Eroberung, auf gewaltsame
Ausdehnung der Staatsgrenzen gestellte Politik verträgt ebenso schlecht, wie
der offene Krieg, eine durch Parlament und Öffentlichkeit gelähmte Leitung.
Jedes kräftige, im Wachstum begriffene Volk muß aber den Kampf ums Da¬
sein so gut wie der Einzelmensch kämpfen, muß in irgend einer Form auf
Eroberung ausgehen. Welche Mühe hat es bei uns gekostet, um die Ma߬
regeln durchzusetzen, die nötig waren zur Sicherung unsrer polnischen Landes¬
teile gegen künftige Verirrungen und Wirrnisse polnischer Politik! Daß Preußen
hundert Millionen Mark zum freien, ungezwungenen Ankauf polnischer Güter
in Posen hergab, wurde als eine Gewaltthat verschrieen, ärger als die vielen
wirklichen Gewaltsamkeiten, mit denen Nußland die Polen bedrängt. Dort
werden in aller Stille mit einem Federstrich Verordnungen erlassen, bei denen
unter Mißachtung aller privaten Rechte einzig und allein der politische Zweck
maßgebend ist, während Rücksichten aller Art in Deutschland, in Österreich
jede politische Handlung erschweren, die nicht in dein vorgezeichneten Rahmen
des verfassungsmäßigen Lebens verkauft. In Nußland liegt der Staatssäckel
stets offen für Ausgaben zur Unterstützung russischer Partisane in fremden
Ländern, zur Agitation gegen König Karl oder König Milan oder den Fürsten
von Bulgarien, oder auch zur Stärkung der russischen Parteien in Böhmen,
Mähren, Montenegro, zur Erziehung und Versorgung von Slawen aller Länder
Europas. Welche Schwierigkeiten hätte der deutsche Kanzler trotz des ihn
tragenden großen Vertrauens zu überwinden, wenn er ähnliche politische Ziele
mit staatlichen Mitteln verfolgen wollte! Man stelle sich z. B. vor, daß Deutsch¬
land einen Staat in sich schlösse, der ebenso russisch wäre, wie die russischen
Ostseeprovinzen deutsch sind. Mau denke, Posen wäre von polnischen Bauern
und durchaus russischen Gutsbesitzern bewohnt, seine Städte von russischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/116>, abgerufen am 27.09.2024.