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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Gedichte von Isolde Anrz

sich auflösen muß, so daß zuletzt gar kein Böses mehr übrig bleibt -- wie
das erhabene Geister, ein Spinoza, Goethe, Hegel und viele andere klar zu
machen versucht haben --, daß, um ganz bildlich zu reden, die vom mensch¬
lichen Geiste geschaffene "bessere Welt" ein Licht ausstrahlt, durch das auch
das Dunkel, in dem wir hier unten tappen, erhellt und bis in die tiefsten,
.finstersten Thäler ein verklärender Schimmer gebreitet wird, das kommt hier
nicht in Betracht. Jedenfalls haben wir uns heutzutage, wo wir alle, wir
mögen es wollen oder nicht, wissen oder nicht, zugeben oder nicht, mehr oder
weniger Christen sind, haben wir uns so daran gewöhnt, den Pessimismus,
d. h. die Entsagung auf diese Welt, in Verbindung zu setzen mit der festen,
hoffnungsfreudigen Zuversicht auf eine andre Welt, daß wir sehr dazu neigen,
den baren, in der Negation stecken bleibenden Pessimismus für gar keinen
echten Pessimismus mehr zu halten, sondern nur für einen Scheinpessimismus,
der in der That mit der Welt noch nicht abgeschlossen hat, eine sich als Welt¬
anschauung geberdende üble Laune, die ihren Ursprung in der Enttäuschung
hat, in der heimlichen Voraussetzung, daß dieses irdische Jammerthal doch
nicht so ganz ohne Freuden sein würde, wenn nur das betreffende Individuum
nicht zufälligerweise von ihnen ausgeschlossen wäre. Diese üble Lanne kann
sich bis zur Verbitterung, ja bis zur Verzweiflung steigern, sie wird immer
von der wirklichen Entsagung des echten Pessimisten so weit entfernt sein, als
das "schöne gelle Lachen" der Heinischen Muse von dem behaglich heitern "Ich
hab mein Sach auf nichts gestellt" der Goethischen und von der stillen Selig¬
keit des gläubigen Christen, der sein Krenz ans sich nimmt und seinem Heiland
aus der ewigen Wohnungsnot des Daseins, in dem "die Füchse Gruben und
die Vögel unter dem Himmel Nester haben, aber des Menschen Sohn nicht
hat, da er sein 5lampe hinlege", nachfolgt in das Vaterhaus, das Raum hat
für alle.

Einer fo abgeklärten, tröstlichen, auf vollkommener Resignation beruhenden
Weltanschauung scheinen das "Weltgericht" von Isolde Kurz und noch mehrere
andre, gerade ihrer wertvollsten Gedichte nicht zu entstammen, und sie gelangen
Wohl deshalb nicht zu der vollen Wirkung, die das in ihnen bekundete außer¬
ordentliche Talent sonst ausüben würde, ein Talent, das anderseits keinen
Zweifel darüber aufkommen läßt, daß wir es in diesem Falle doch nicht mit
bloßen Deklamationen zu thun haben; auch diese poetischen Gebilde sind mit
dem Herzblute der Dichterin getränkt.

Abgesehen von dem allen ist es aber in dem "Weltgericht" auch noch be¬
sonders die poetische Einkleidung des Grundgedankens, die Fabel, die kein
rechtes Behagen aufkommen läßt. Daß gerade die drei erhabenen, durchgeistigten
Hauptgestalten der christlichen Religion, dieser Religion der absoluten Liebe
und Versöhnung, dazu benutzt werden, um in einem Stücke, das der Haß
konzipirt hat, als Wortführer aufzutreter, und zwar Christus als ein Phil-


Gedichte von Isolde Anrz

sich auflösen muß, so daß zuletzt gar kein Böses mehr übrig bleibt — wie
das erhabene Geister, ein Spinoza, Goethe, Hegel und viele andere klar zu
machen versucht haben —, daß, um ganz bildlich zu reden, die vom mensch¬
lichen Geiste geschaffene „bessere Welt" ein Licht ausstrahlt, durch das auch
das Dunkel, in dem wir hier unten tappen, erhellt und bis in die tiefsten,
.finstersten Thäler ein verklärender Schimmer gebreitet wird, das kommt hier
nicht in Betracht. Jedenfalls haben wir uns heutzutage, wo wir alle, wir
mögen es wollen oder nicht, wissen oder nicht, zugeben oder nicht, mehr oder
weniger Christen sind, haben wir uns so daran gewöhnt, den Pessimismus,
d. h. die Entsagung auf diese Welt, in Verbindung zu setzen mit der festen,
hoffnungsfreudigen Zuversicht auf eine andre Welt, daß wir sehr dazu neigen,
den baren, in der Negation stecken bleibenden Pessimismus für gar keinen
echten Pessimismus mehr zu halten, sondern nur für einen Scheinpessimismus,
der in der That mit der Welt noch nicht abgeschlossen hat, eine sich als Welt¬
anschauung geberdende üble Laune, die ihren Ursprung in der Enttäuschung
hat, in der heimlichen Voraussetzung, daß dieses irdische Jammerthal doch
nicht so ganz ohne Freuden sein würde, wenn nur das betreffende Individuum
nicht zufälligerweise von ihnen ausgeschlossen wäre. Diese üble Lanne kann
sich bis zur Verbitterung, ja bis zur Verzweiflung steigern, sie wird immer
von der wirklichen Entsagung des echten Pessimisten so weit entfernt sein, als
das „schöne gelle Lachen" der Heinischen Muse von dem behaglich heitern „Ich
hab mein Sach auf nichts gestellt" der Goethischen und von der stillen Selig¬
keit des gläubigen Christen, der sein Krenz ans sich nimmt und seinem Heiland
aus der ewigen Wohnungsnot des Daseins, in dem „die Füchse Gruben und
die Vögel unter dem Himmel Nester haben, aber des Menschen Sohn nicht
hat, da er sein 5lampe hinlege", nachfolgt in das Vaterhaus, das Raum hat
für alle.

Einer fo abgeklärten, tröstlichen, auf vollkommener Resignation beruhenden
Weltanschauung scheinen das „Weltgericht" von Isolde Kurz und noch mehrere
andre, gerade ihrer wertvollsten Gedichte nicht zu entstammen, und sie gelangen
Wohl deshalb nicht zu der vollen Wirkung, die das in ihnen bekundete außer¬
ordentliche Talent sonst ausüben würde, ein Talent, das anderseits keinen
Zweifel darüber aufkommen läßt, daß wir es in diesem Falle doch nicht mit
bloßen Deklamationen zu thun haben; auch diese poetischen Gebilde sind mit
dem Herzblute der Dichterin getränkt.

Abgesehen von dem allen ist es aber in dem „Weltgericht" auch noch be¬
sonders die poetische Einkleidung des Grundgedankens, die Fabel, die kein
rechtes Behagen aufkommen läßt. Daß gerade die drei erhabenen, durchgeistigten
Hauptgestalten der christlichen Religion, dieser Religion der absoluten Liebe
und Versöhnung, dazu benutzt werden, um in einem Stücke, das der Haß
konzipirt hat, als Wortführer aufzutreter, und zwar Christus als ein Phil-


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[0101] Gedichte von Isolde Anrz sich auflösen muß, so daß zuletzt gar kein Böses mehr übrig bleibt — wie das erhabene Geister, ein Spinoza, Goethe, Hegel und viele andere klar zu machen versucht haben —, daß, um ganz bildlich zu reden, die vom mensch¬ lichen Geiste geschaffene „bessere Welt" ein Licht ausstrahlt, durch das auch das Dunkel, in dem wir hier unten tappen, erhellt und bis in die tiefsten, .finstersten Thäler ein verklärender Schimmer gebreitet wird, das kommt hier nicht in Betracht. Jedenfalls haben wir uns heutzutage, wo wir alle, wir mögen es wollen oder nicht, wissen oder nicht, zugeben oder nicht, mehr oder weniger Christen sind, haben wir uns so daran gewöhnt, den Pessimismus, d. h. die Entsagung auf diese Welt, in Verbindung zu setzen mit der festen, hoffnungsfreudigen Zuversicht auf eine andre Welt, daß wir sehr dazu neigen, den baren, in der Negation stecken bleibenden Pessimismus für gar keinen echten Pessimismus mehr zu halten, sondern nur für einen Scheinpessimismus, der in der That mit der Welt noch nicht abgeschlossen hat, eine sich als Welt¬ anschauung geberdende üble Laune, die ihren Ursprung in der Enttäuschung hat, in der heimlichen Voraussetzung, daß dieses irdische Jammerthal doch nicht so ganz ohne Freuden sein würde, wenn nur das betreffende Individuum nicht zufälligerweise von ihnen ausgeschlossen wäre. Diese üble Lanne kann sich bis zur Verbitterung, ja bis zur Verzweiflung steigern, sie wird immer von der wirklichen Entsagung des echten Pessimisten so weit entfernt sein, als das „schöne gelle Lachen" der Heinischen Muse von dem behaglich heitern „Ich hab mein Sach auf nichts gestellt" der Goethischen und von der stillen Selig¬ keit des gläubigen Christen, der sein Krenz ans sich nimmt und seinem Heiland aus der ewigen Wohnungsnot des Daseins, in dem „die Füchse Gruben und die Vögel unter dem Himmel Nester haben, aber des Menschen Sohn nicht hat, da er sein 5lampe hinlege", nachfolgt in das Vaterhaus, das Raum hat für alle. Einer fo abgeklärten, tröstlichen, auf vollkommener Resignation beruhenden Weltanschauung scheinen das „Weltgericht" von Isolde Kurz und noch mehrere andre, gerade ihrer wertvollsten Gedichte nicht zu entstammen, und sie gelangen Wohl deshalb nicht zu der vollen Wirkung, die das in ihnen bekundete außer¬ ordentliche Talent sonst ausüben würde, ein Talent, das anderseits keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß wir es in diesem Falle doch nicht mit bloßen Deklamationen zu thun haben; auch diese poetischen Gebilde sind mit dem Herzblute der Dichterin getränkt. Abgesehen von dem allen ist es aber in dem „Weltgericht" auch noch be¬ sonders die poetische Einkleidung des Grundgedankens, die Fabel, die kein rechtes Behagen aufkommen läßt. Daß gerade die drei erhabenen, durchgeistigten Hauptgestalten der christlichen Religion, dieser Religion der absoluten Liebe und Versöhnung, dazu benutzt werden, um in einem Stücke, das der Haß konzipirt hat, als Wortführer aufzutreter, und zwar Christus als ein Phil-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/101>, abgerufen am 22.07.2024.