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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

So nimmt ihn das achtzehnte Jahrhundert gerade in der Zeit seines Auf¬
strebend Wir müssen uns die Begeisterung wieder Heraufrufen, mit der wir
als Knaben an Hermann den Deutschen dachten, um den Ernst nachzufühlen,
mit dem ihn da auch der Mann in der Seele trug als Anhalt des Glaubens
in der vaterländischen Not und mit ihr in Beziehung setzte. Uz z. B. in einem
Gedichte, "Das bedrängte Deutschland," mit dem Anfang:


Wie lang zerfleischt mit eigner Hand
Germanien sein Eingeweide?

spricht in heiligem Zorn von dem politischen Elende, dem "der Adler ent¬
schlafen zusieht," von der höllischen Zwietracht:


Ihr Natternhecr zischt uns ums Ohr,
Die deutschen Herzen zu vergiften,
Und wird, kömmt ihr kein Hermann vor,
In Hermanns Vaterland ein schmählich Denkmal stiften.

Schönaich widmet seinen "Hermann oder das befreyte Deutschland," ein Ge¬
dicht, das viel besser ist als sein Gottschedischer Ruf, dem kommenden neuen
Hermann:


Hermann! Dich will ich erheben: und dem sey mein Lied geweiht,
Der einst Deutschlands Unterdrücker, Galliens Geschlecht, zerstreut,
Der, dem ersten Hermann gleich, unser schnödes Joch zerschlaget
Und der stolzen Lilgen Pracht vor dem Adler niederleget-

Am Schlüsse der Ruf an den Himmel:


Ach! wo lebt nun wohl ein Hermann? holder Himmel! Schafs ihn doch!
Deutschland heget ja wohl Helden, aber keinen Hermann noch.
Ist es möglich, o! so laß meinen heißen Wunsch gelingen,
Und du, Muse! sollst alsdann mit erhabneren Tone singen!

Das klingt, als hätte er, der junge Mann, ihn selbst noch zu sehen gedacht, um
ihn selbst noch höher zu besingen. Wo sollte er aber herkommen? Die Hoff¬
nungen auf Österreich, die man so lange und treu festhielt auch in Norddeutsch¬
land, erlahmten ja immer mehr. Und doch war er vielleicht schon da!

I. A. Cramer, Gellerts und Klopstocks Freund, feiert Hermann im
Jahre 1744 in den Belustigungen des Verstandes und Witzes in einer soge¬
nannten pindarischen Ode, die Deutschlands Verfall in tiefstem Schmerze aus¬
malt, er sieht die Deutschen in Sittenverderbnis und in Knechtschaft vor dem
Auslande (beides von Frankreich ausgehend):


Doch stets wird es nicht knechtisch bleiben,
Ein Held wird ihren Feind vertreiben.
Wer wird Germanien befrein?
Er: denn er wird wie Hermann sein!

Er, also ein bestimmter, nur nicht genannter, aber zu erkennender Er (es er¬
innert unausweichlich an das langjährige Er des Kladderadatsch von Napoleon


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

So nimmt ihn das achtzehnte Jahrhundert gerade in der Zeit seines Auf¬
strebend Wir müssen uns die Begeisterung wieder Heraufrufen, mit der wir
als Knaben an Hermann den Deutschen dachten, um den Ernst nachzufühlen,
mit dem ihn da auch der Mann in der Seele trug als Anhalt des Glaubens
in der vaterländischen Not und mit ihr in Beziehung setzte. Uz z. B. in einem
Gedichte, „Das bedrängte Deutschland," mit dem Anfang:


Wie lang zerfleischt mit eigner Hand
Germanien sein Eingeweide?

spricht in heiligem Zorn von dem politischen Elende, dem „der Adler ent¬
schlafen zusieht," von der höllischen Zwietracht:


Ihr Natternhecr zischt uns ums Ohr,
Die deutschen Herzen zu vergiften,
Und wird, kömmt ihr kein Hermann vor,
In Hermanns Vaterland ein schmählich Denkmal stiften.

Schönaich widmet seinen „Hermann oder das befreyte Deutschland," ein Ge¬
dicht, das viel besser ist als sein Gottschedischer Ruf, dem kommenden neuen
Hermann:


Hermann! Dich will ich erheben: und dem sey mein Lied geweiht,
Der einst Deutschlands Unterdrücker, Galliens Geschlecht, zerstreut,
Der, dem ersten Hermann gleich, unser schnödes Joch zerschlaget
Und der stolzen Lilgen Pracht vor dem Adler niederleget-

Am Schlüsse der Ruf an den Himmel:


Ach! wo lebt nun wohl ein Hermann? holder Himmel! Schafs ihn doch!
Deutschland heget ja wohl Helden, aber keinen Hermann noch.
Ist es möglich, o! so laß meinen heißen Wunsch gelingen,
Und du, Muse! sollst alsdann mit erhabneren Tone singen!

Das klingt, als hätte er, der junge Mann, ihn selbst noch zu sehen gedacht, um
ihn selbst noch höher zu besingen. Wo sollte er aber herkommen? Die Hoff¬
nungen auf Österreich, die man so lange und treu festhielt auch in Norddeutsch¬
land, erlahmten ja immer mehr. Und doch war er vielleicht schon da!

I. A. Cramer, Gellerts und Klopstocks Freund, feiert Hermann im
Jahre 1744 in den Belustigungen des Verstandes und Witzes in einer soge¬
nannten pindarischen Ode, die Deutschlands Verfall in tiefstem Schmerze aus¬
malt, er sieht die Deutschen in Sittenverderbnis und in Knechtschaft vor dem
Auslande (beides von Frankreich ausgehend):


Doch stets wird es nicht knechtisch bleiben,
Ein Held wird ihren Feind vertreiben.
Wer wird Germanien befrein?
Er: denn er wird wie Hermann sein!

Er, also ein bestimmter, nur nicht genannter, aber zu erkennender Er (es er¬
innert unausweichlich an das langjährige Er des Kladderadatsch von Napoleon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/80>, abgerufen am 22.07.2024.