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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

mit welchem Mute man in diese Bewegung eintrat. Auch Leibniz sah sie mit
mutigster Hoffnung an, arbeitete auch selbst, wie überall, mit Ratschlägen an
ihrem Gedeihen, wie er denn einmal für ein deutsches Epos oder Heldengedicht,
wie man damals besser sagte, einen Plan gezeichnet hat, von dem Klopstocks
Messias als teilweise Ausführung erscheint. Auch bittere Enttäuschungen lähmten
den neuen Mut nicht, wie die an dem Lohensteinschen Geschmack erfahrene,
den man ziemlich lange als auf der Höhe des Helicon angelangt, ja darüber
weit hinaus sah, bis man gewahrte, daß es ein Sumpf war, das Ende alles
Weges. Als man dann ganz aufs neue geduldig auf die Suche ging, nun
mit Natur, Vernunft und Geschmack als Wegweisern, kam auch bald der mu¬
tige Aufblick wieder. Gellert z. B. in seinen letzten Jahren, in der Rede von
den Ursachen des Vorzugs der Alten vor den Neueren in den schönen Wissen¬
schaften vom Jahre 1767, vor dem jungen Churfürsten auf dessen Wunsch ge¬
halten, weist am Schlüsse einer Untersuchung, was der Dichter aus den klassi¬
schen Vorbildern und was er aus sich selbst nehmen könne, d. h. was Gegenwart
und Zukunft wert seien dem glänzenden Altertume gegenüber, die Dichter er¬
mutigend an: "Es giebt in dem Reiche der schönen Wissenschaften, wie auf der
Erdkugel, unangebaute, auch ganz unentdeckte Gegenden, und kein großes Genie
darf verzagen, daß es nichts Neues werde unternehmen können," d. h. noch gar
nicht Dagewesenes in aller Zeit: Genie, das Wort, das sich durch Gellerts
Einfluß bei uns einbürgerte und in der Gedankenbewegung nach oben die Füh¬
rung überkam, mit einem Begriff, dem man Wunder zutraute, auch das Wunder
des deutschen Sieges in der Welt des Schönen, in der wir vorher nur de¬
mütige Schüler der andern Völker gewesen waren, nun aber Meister werden
sollten; damit nahm der deutsche Mut seit der Mitte des Jahrhunderts einen
Aufschwung, einem großen Ruck nach oben gleich, in derselben Zeit, wo an dem
politisch wirr bewölkten Himmel sich eine Lichtstelle aufthat, durch welche die
Sonne der Zukunft hervorbrach. Freilich kümmerte sich der große Friedrich
nicht um die deutsche Geistesbewegung, wandte ihr vielmehr den Rücken zu und
erschien der Nation als Franzose von Geist, während unsre Bewegung wesent¬
lich mit das Ziel hatte, sich aus der Umklammerung durch den französischen
Geist loszuwinden; aber man arbeitete in allem Schmerz darüber auch ohne
ihn mutig weiter. Es folgten sich ja an der Arbeit ein Genie nach dem andern
in wunderbar raschem Aufsteigen. Bodmer, einer von den treuesten Vorbereitern,
jubelt im Jahre 1748 selbstentsagend über Klopstocks Auftreten und über Kleist,
in einem Briefe an Lange: "Wir stehen vorn an ^dicht vor) dem goldnen Alter.
Ich habe in dem Isthmus gelebt, der von dem eisernen Alter zu dem goldnen
hinüber geht" (Briefe der Schweizer:c., Zürich 1804, S. 84).

Wenn aber da das goldne Alter nur in dem alten Schulsinne gebraucht
ist, nach dem goldnen Zeitalter der römischen Litteratur, so ging man in dem
neuen Mute auch darüber hinaus und verstand es vom Lebensglück, wie es die


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

mit welchem Mute man in diese Bewegung eintrat. Auch Leibniz sah sie mit
mutigster Hoffnung an, arbeitete auch selbst, wie überall, mit Ratschlägen an
ihrem Gedeihen, wie er denn einmal für ein deutsches Epos oder Heldengedicht,
wie man damals besser sagte, einen Plan gezeichnet hat, von dem Klopstocks
Messias als teilweise Ausführung erscheint. Auch bittere Enttäuschungen lähmten
den neuen Mut nicht, wie die an dem Lohensteinschen Geschmack erfahrene,
den man ziemlich lange als auf der Höhe des Helicon angelangt, ja darüber
weit hinaus sah, bis man gewahrte, daß es ein Sumpf war, das Ende alles
Weges. Als man dann ganz aufs neue geduldig auf die Suche ging, nun
mit Natur, Vernunft und Geschmack als Wegweisern, kam auch bald der mu¬
tige Aufblick wieder. Gellert z. B. in seinen letzten Jahren, in der Rede von
den Ursachen des Vorzugs der Alten vor den Neueren in den schönen Wissen¬
schaften vom Jahre 1767, vor dem jungen Churfürsten auf dessen Wunsch ge¬
halten, weist am Schlüsse einer Untersuchung, was der Dichter aus den klassi¬
schen Vorbildern und was er aus sich selbst nehmen könne, d. h. was Gegenwart
und Zukunft wert seien dem glänzenden Altertume gegenüber, die Dichter er¬
mutigend an: „Es giebt in dem Reiche der schönen Wissenschaften, wie auf der
Erdkugel, unangebaute, auch ganz unentdeckte Gegenden, und kein großes Genie
darf verzagen, daß es nichts Neues werde unternehmen können," d. h. noch gar
nicht Dagewesenes in aller Zeit: Genie, das Wort, das sich durch Gellerts
Einfluß bei uns einbürgerte und in der Gedankenbewegung nach oben die Füh¬
rung überkam, mit einem Begriff, dem man Wunder zutraute, auch das Wunder
des deutschen Sieges in der Welt des Schönen, in der wir vorher nur de¬
mütige Schüler der andern Völker gewesen waren, nun aber Meister werden
sollten; damit nahm der deutsche Mut seit der Mitte des Jahrhunderts einen
Aufschwung, einem großen Ruck nach oben gleich, in derselben Zeit, wo an dem
politisch wirr bewölkten Himmel sich eine Lichtstelle aufthat, durch welche die
Sonne der Zukunft hervorbrach. Freilich kümmerte sich der große Friedrich
nicht um die deutsche Geistesbewegung, wandte ihr vielmehr den Rücken zu und
erschien der Nation als Franzose von Geist, während unsre Bewegung wesent¬
lich mit das Ziel hatte, sich aus der Umklammerung durch den französischen
Geist loszuwinden; aber man arbeitete in allem Schmerz darüber auch ohne
ihn mutig weiter. Es folgten sich ja an der Arbeit ein Genie nach dem andern
in wunderbar raschem Aufsteigen. Bodmer, einer von den treuesten Vorbereitern,
jubelt im Jahre 1748 selbstentsagend über Klopstocks Auftreten und über Kleist,
in einem Briefe an Lange: „Wir stehen vorn an ^dicht vor) dem goldnen Alter.
Ich habe in dem Isthmus gelebt, der von dem eisernen Alter zu dem goldnen
hinüber geht" (Briefe der Schweizer:c., Zürich 1804, S. 84).

Wenn aber da das goldne Alter nur in dem alten Schulsinne gebraucht
ist, nach dem goldnen Zeitalter der römischen Litteratur, so ging man in dem
neuen Mute auch darüber hinaus und verstand es vom Lebensglück, wie es die


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[0076] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. mit welchem Mute man in diese Bewegung eintrat. Auch Leibniz sah sie mit mutigster Hoffnung an, arbeitete auch selbst, wie überall, mit Ratschlägen an ihrem Gedeihen, wie er denn einmal für ein deutsches Epos oder Heldengedicht, wie man damals besser sagte, einen Plan gezeichnet hat, von dem Klopstocks Messias als teilweise Ausführung erscheint. Auch bittere Enttäuschungen lähmten den neuen Mut nicht, wie die an dem Lohensteinschen Geschmack erfahrene, den man ziemlich lange als auf der Höhe des Helicon angelangt, ja darüber weit hinaus sah, bis man gewahrte, daß es ein Sumpf war, das Ende alles Weges. Als man dann ganz aufs neue geduldig auf die Suche ging, nun mit Natur, Vernunft und Geschmack als Wegweisern, kam auch bald der mu¬ tige Aufblick wieder. Gellert z. B. in seinen letzten Jahren, in der Rede von den Ursachen des Vorzugs der Alten vor den Neueren in den schönen Wissen¬ schaften vom Jahre 1767, vor dem jungen Churfürsten auf dessen Wunsch ge¬ halten, weist am Schlüsse einer Untersuchung, was der Dichter aus den klassi¬ schen Vorbildern und was er aus sich selbst nehmen könne, d. h. was Gegenwart und Zukunft wert seien dem glänzenden Altertume gegenüber, die Dichter er¬ mutigend an: „Es giebt in dem Reiche der schönen Wissenschaften, wie auf der Erdkugel, unangebaute, auch ganz unentdeckte Gegenden, und kein großes Genie darf verzagen, daß es nichts Neues werde unternehmen können," d. h. noch gar nicht Dagewesenes in aller Zeit: Genie, das Wort, das sich durch Gellerts Einfluß bei uns einbürgerte und in der Gedankenbewegung nach oben die Füh¬ rung überkam, mit einem Begriff, dem man Wunder zutraute, auch das Wunder des deutschen Sieges in der Welt des Schönen, in der wir vorher nur de¬ mütige Schüler der andern Völker gewesen waren, nun aber Meister werden sollten; damit nahm der deutsche Mut seit der Mitte des Jahrhunderts einen Aufschwung, einem großen Ruck nach oben gleich, in derselben Zeit, wo an dem politisch wirr bewölkten Himmel sich eine Lichtstelle aufthat, durch welche die Sonne der Zukunft hervorbrach. Freilich kümmerte sich der große Friedrich nicht um die deutsche Geistesbewegung, wandte ihr vielmehr den Rücken zu und erschien der Nation als Franzose von Geist, während unsre Bewegung wesent¬ lich mit das Ziel hatte, sich aus der Umklammerung durch den französischen Geist loszuwinden; aber man arbeitete in allem Schmerz darüber auch ohne ihn mutig weiter. Es folgten sich ja an der Arbeit ein Genie nach dem andern in wunderbar raschem Aufsteigen. Bodmer, einer von den treuesten Vorbereitern, jubelt im Jahre 1748 selbstentsagend über Klopstocks Auftreten und über Kleist, in einem Briefe an Lange: „Wir stehen vorn an ^dicht vor) dem goldnen Alter. Ich habe in dem Isthmus gelebt, der von dem eisernen Alter zu dem goldnen hinüber geht" (Briefe der Schweizer:c., Zürich 1804, S. 84). Wenn aber da das goldne Alter nur in dem alten Schulsinne gebraucht ist, nach dem goldnen Zeitalter der römischen Litteratur, so ging man in dem neuen Mute auch darüber hinaus und verstand es vom Lebensglück, wie es die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/76>, abgerufen am 22.07.2024.