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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Lenin Pascha.

hatte, ging er nach Skutari. Hier glückte es ihm, das Interesse des damaligen
Valis, Ismael Pascha Haggi, zu erregen und seine Aufnahme in das Gefolge
des türkischen Würdenträgers zu erwirken, der in amtlicher Stellung die ver¬
schiedenen Provinzen des weiten Reiches zu bereisen hatte. Auf diese Weise
lernte er Armenien, Syrien, Arabien kennen. Dann kam er nach Konstantinopel,
wo der Pascha im Jahre 1873 starb. Im Sommer 1875 kehrte er nach
Reiße zum Besuche seiner Angehörigen zurück. Er lebte hier mehrere Monate
und benutzte seine Muße zu naturwissenschaftlichen Studien. Aber von neuem
kam Wanderdrang über ihn, und 1876 finden wir ihn wieder auf dem Wege
nach Ägypten, wo er als "Dr. Emin Effendi" in den Dienst des Khedive trat.
In dieser Stellung wurde ihm ein Wirkungskreis unter dem Generalgouvemeur
des Sudans in Chartum zugeteilt, und von hier wurde er dann als oberster
Sanitätsoffizier in die Äquatorialprovinz geschickt, deren Gouverneur damals
Gordon Pascha war, der englische Oberst, der so tragisch endigen sollte.

Der Grund, weshalb sich Dr. Schnitzer den Namen Emin beilegte, war
der, daß er sich den Eintritt in die muhammedanische Welt, in der er eine lange
Reihe von Jahren zu wirken gedachte, erleichtern wollte. Als "Emin" vermied
er das tiefgewurzelte Mißtrauen, das alle Orientalen gegen den "Franken"
erfüllt, und seine außerordentliche Sprachkenntnis erleichterte ihm diese Um¬
wandlung. Er war nicht nur im Französischen, Englischen, Italienischen und
in mehreren slawischen Sprachen sattelfest, sondern er hatte sich auch während
seiner asiatischen Wanderungen eine so gründliche Herrschaft über das Türkische
und Arabische angeeignet, wie sie nur wenige Europäer besitzen werden. Er
studirte dazu noch das Persische und beherrscht jetzt ohne Zweifel die meisten
Dialekte Zentralafrikas.

So konnte Schnitzer, nach Änderung seines Namens, bei den Muham-
medanern des Sudans geradezu für einen Ägypter gelten, und das wollte in
dem fremden Lande, das nun sein Arbeitsfeld ausmachte, viel sagen. "Emin"
ist ein arabisches Wort und bedeutet die Treue, und wohl niemals hat sich
jemand einen Namen mit bessern: Recht zugelegt. So lauge die Kultur noch
Geschichtsschreiber hat, wird dem treuen Manne, der auf seinem einsamen
Posten ausharrte, ein ehrendes Andenken bewahrt bleiben.

Gordon war der rechte Mann, einen Emin zu würdigen und seine Be¬
gabung und Thatkraft zu verwerten. Er sah in ihm viel mehr als einen bloßen
Sanitätsoffizier. Er beauftragte ihn mit Inspektionsreisen durch die Gebiete,
die Ägypten neu erworben waren, und betraute ihn mit diplomatischen Sen¬
dungen an verschiedene Häuptlinge, so nach Uganda, wo der König Mtesa eine
Zeit hoffnungsvoller Kulturentwicklung in Aussicht zu stellen schien.

Als Gordon Pascha zwei Jahre später, vom Khedive Ismael mit Voll¬
machten ausgerüstet, wie sie zuvor noch keinem Gewalthaber im Sudan zu teil
geworden, Hoknmdar, d. h. Verweser aller außerhalb des engern Ägyptens ge-


Lenin Pascha.

hatte, ging er nach Skutari. Hier glückte es ihm, das Interesse des damaligen
Valis, Ismael Pascha Haggi, zu erregen und seine Aufnahme in das Gefolge
des türkischen Würdenträgers zu erwirken, der in amtlicher Stellung die ver¬
schiedenen Provinzen des weiten Reiches zu bereisen hatte. Auf diese Weise
lernte er Armenien, Syrien, Arabien kennen. Dann kam er nach Konstantinopel,
wo der Pascha im Jahre 1873 starb. Im Sommer 1875 kehrte er nach
Reiße zum Besuche seiner Angehörigen zurück. Er lebte hier mehrere Monate
und benutzte seine Muße zu naturwissenschaftlichen Studien. Aber von neuem
kam Wanderdrang über ihn, und 1876 finden wir ihn wieder auf dem Wege
nach Ägypten, wo er als „Dr. Emin Effendi" in den Dienst des Khedive trat.
In dieser Stellung wurde ihm ein Wirkungskreis unter dem Generalgouvemeur
des Sudans in Chartum zugeteilt, und von hier wurde er dann als oberster
Sanitätsoffizier in die Äquatorialprovinz geschickt, deren Gouverneur damals
Gordon Pascha war, der englische Oberst, der so tragisch endigen sollte.

Der Grund, weshalb sich Dr. Schnitzer den Namen Emin beilegte, war
der, daß er sich den Eintritt in die muhammedanische Welt, in der er eine lange
Reihe von Jahren zu wirken gedachte, erleichtern wollte. Als „Emin" vermied
er das tiefgewurzelte Mißtrauen, das alle Orientalen gegen den „Franken"
erfüllt, und seine außerordentliche Sprachkenntnis erleichterte ihm diese Um¬
wandlung. Er war nicht nur im Französischen, Englischen, Italienischen und
in mehreren slawischen Sprachen sattelfest, sondern er hatte sich auch während
seiner asiatischen Wanderungen eine so gründliche Herrschaft über das Türkische
und Arabische angeeignet, wie sie nur wenige Europäer besitzen werden. Er
studirte dazu noch das Persische und beherrscht jetzt ohne Zweifel die meisten
Dialekte Zentralafrikas.

So konnte Schnitzer, nach Änderung seines Namens, bei den Muham-
medanern des Sudans geradezu für einen Ägypter gelten, und das wollte in
dem fremden Lande, das nun sein Arbeitsfeld ausmachte, viel sagen. „Emin"
ist ein arabisches Wort und bedeutet die Treue, und wohl niemals hat sich
jemand einen Namen mit bessern: Recht zugelegt. So lauge die Kultur noch
Geschichtsschreiber hat, wird dem treuen Manne, der auf seinem einsamen
Posten ausharrte, ein ehrendes Andenken bewahrt bleiben.

Gordon war der rechte Mann, einen Emin zu würdigen und seine Be¬
gabung und Thatkraft zu verwerten. Er sah in ihm viel mehr als einen bloßen
Sanitätsoffizier. Er beauftragte ihn mit Inspektionsreisen durch die Gebiete,
die Ägypten neu erworben waren, und betraute ihn mit diplomatischen Sen¬
dungen an verschiedene Häuptlinge, so nach Uganda, wo der König Mtesa eine
Zeit hoffnungsvoller Kulturentwicklung in Aussicht zu stellen schien.

Als Gordon Pascha zwei Jahre später, vom Khedive Ismael mit Voll¬
machten ausgerüstet, wie sie zuvor noch keinem Gewalthaber im Sudan zu teil
geworden, Hoknmdar, d. h. Verweser aller außerhalb des engern Ägyptens ge-


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[0067] Lenin Pascha. hatte, ging er nach Skutari. Hier glückte es ihm, das Interesse des damaligen Valis, Ismael Pascha Haggi, zu erregen und seine Aufnahme in das Gefolge des türkischen Würdenträgers zu erwirken, der in amtlicher Stellung die ver¬ schiedenen Provinzen des weiten Reiches zu bereisen hatte. Auf diese Weise lernte er Armenien, Syrien, Arabien kennen. Dann kam er nach Konstantinopel, wo der Pascha im Jahre 1873 starb. Im Sommer 1875 kehrte er nach Reiße zum Besuche seiner Angehörigen zurück. Er lebte hier mehrere Monate und benutzte seine Muße zu naturwissenschaftlichen Studien. Aber von neuem kam Wanderdrang über ihn, und 1876 finden wir ihn wieder auf dem Wege nach Ägypten, wo er als „Dr. Emin Effendi" in den Dienst des Khedive trat. In dieser Stellung wurde ihm ein Wirkungskreis unter dem Generalgouvemeur des Sudans in Chartum zugeteilt, und von hier wurde er dann als oberster Sanitätsoffizier in die Äquatorialprovinz geschickt, deren Gouverneur damals Gordon Pascha war, der englische Oberst, der so tragisch endigen sollte. Der Grund, weshalb sich Dr. Schnitzer den Namen Emin beilegte, war der, daß er sich den Eintritt in die muhammedanische Welt, in der er eine lange Reihe von Jahren zu wirken gedachte, erleichtern wollte. Als „Emin" vermied er das tiefgewurzelte Mißtrauen, das alle Orientalen gegen den „Franken" erfüllt, und seine außerordentliche Sprachkenntnis erleichterte ihm diese Um¬ wandlung. Er war nicht nur im Französischen, Englischen, Italienischen und in mehreren slawischen Sprachen sattelfest, sondern er hatte sich auch während seiner asiatischen Wanderungen eine so gründliche Herrschaft über das Türkische und Arabische angeeignet, wie sie nur wenige Europäer besitzen werden. Er studirte dazu noch das Persische und beherrscht jetzt ohne Zweifel die meisten Dialekte Zentralafrikas. So konnte Schnitzer, nach Änderung seines Namens, bei den Muham- medanern des Sudans geradezu für einen Ägypter gelten, und das wollte in dem fremden Lande, das nun sein Arbeitsfeld ausmachte, viel sagen. „Emin" ist ein arabisches Wort und bedeutet die Treue, und wohl niemals hat sich jemand einen Namen mit bessern: Recht zugelegt. So lauge die Kultur noch Geschichtsschreiber hat, wird dem treuen Manne, der auf seinem einsamen Posten ausharrte, ein ehrendes Andenken bewahrt bleiben. Gordon war der rechte Mann, einen Emin zu würdigen und seine Be¬ gabung und Thatkraft zu verwerten. Er sah in ihm viel mehr als einen bloßen Sanitätsoffizier. Er beauftragte ihn mit Inspektionsreisen durch die Gebiete, die Ägypten neu erworben waren, und betraute ihn mit diplomatischen Sen¬ dungen an verschiedene Häuptlinge, so nach Uganda, wo der König Mtesa eine Zeit hoffnungsvoller Kulturentwicklung in Aussicht zu stellen schien. Als Gordon Pascha zwei Jahre später, vom Khedive Ismael mit Voll¬ machten ausgerüstet, wie sie zuvor noch keinem Gewalthaber im Sudan zu teil geworden, Hoknmdar, d. h. Verweser aller außerhalb des engern Ägyptens ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/67>, abgerufen am 22.07.2024.