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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne,

eine Einfache: das Leben so zu ertragen, wie es nun einmal war, und das
Leben sich nach den eignen Gesetzen des Lebens bilden zu lassen.

Es war ihm, als habe sein Leben in jener qualvollen Nacht abgeschlossen;
das, was nachher kam, konnte niemals etwas andres werden als gleichgiltige
Szenen, die an den fünften Akt angeklebt waren, nachdem die Handlung schon
zu Ende gespielt worden. Er konnte ja immerhin seine alte" Lebensanschauungen
wieder aufnehmen, wenn er Lust dazu hatte, aber er war nun doch einmal ge¬
fallen, und ob sich der Fall später wiederholen würde, oder ob er sich nicht
wiederholen würde, das bleibt ganz gleichgiltig.

Das war die Stimmung, in der er am häufigsten einherging.

Und dann kam der Novembertag, an dem der König starb und die Kriegs¬
wolke immer drohender heraufzog.

Schnell ordnete er seine Sachen auf Lönborggaard und meldete sich als
Freiwilliger.

Die Langeweile der Ausbildungszeit ertrug er mit Leichtigkeit, es war ja
so unsäglich viel, nicht länger ein überflüssiger Mensch zu sein, und als er
dann zur Armee stieß, der ewige Kampf gegen Kälte, gegen Ungeziefer und
Unbequemlichkeiten jeder Art, das alles drängte die Gedanken zurück, die sich
mit dem Zunächstliegenden beschäftigen konnten, das machte ihn beinahe heiter
und seine Gesundheit, die sehr unter dem Kummer der letzten Jahre gelitten
hatte, wurde wieder ganz vorzüglich.

An einem trüben Märztage wurde er dann durch die Brust geschossen.

Hjerrild, der Arzt im Lazarett) war, sorgte dafür, daß er in einen kleinern
Saal gelegt wurde, worin sich nur vier Betten befanden. Der eine von denen,
die drinnen lagen, war dnrch das Rückgrat geschossen und lag ganz still, der
zweite hatte eine Wunde in der Brust, er hatte schon mehrere Tage dort ge¬
legen und phantasirte ununterbrochen, stundenlang mit hastig ausgesprochenen,
abgerissenen Worten; der letzte endlich, der Ricks Lyhne zunächst lag, war ein
großer, starker Bauerbursche mit dicken, runden Backen; er hatte eine GeHirn¬
verletzung durch einen Granatsplitter erlitten, und unablässig den ganzen Tag
hob er ungefähr zweimal in der Minute gleichzeitig den rechten Arm und das
rechte Bein in die Hohe, ließ sie dann wieder fallen und begleitete die Bewegung
jedesmal mit einem lauten, aber dumpfen, tonlosen: Höh, hob. stets in dem¬
selben Takt, stets genau mit demselben Tonfall.

Da lag nun Ricks Lyhne. Die Kugel war in seine rechte Lunge gedrungen und
wär dort sitzen geblieben. Im Kriege können nicht viele Umstände gemacht werden,
und so erfuhr er denn, daß er nicht viel Aussicht habe, am Leben zu bleiben.

Das wunderte ihn, denn er fühlte sich durchaus nicht sterbenskrank und
seine Wunde schmerzte ihn nicht sehr. Bald aber stellte sich eine Mattigkeit
ein, die ihm sagte, daß der Arzt recht habe.

Das also sollte das Ende sein. Er dachte an Gerda, er dachte den ersten


Ricks Lyhne,

eine Einfache: das Leben so zu ertragen, wie es nun einmal war, und das
Leben sich nach den eignen Gesetzen des Lebens bilden zu lassen.

Es war ihm, als habe sein Leben in jener qualvollen Nacht abgeschlossen;
das, was nachher kam, konnte niemals etwas andres werden als gleichgiltige
Szenen, die an den fünften Akt angeklebt waren, nachdem die Handlung schon
zu Ende gespielt worden. Er konnte ja immerhin seine alte» Lebensanschauungen
wieder aufnehmen, wenn er Lust dazu hatte, aber er war nun doch einmal ge¬
fallen, und ob sich der Fall später wiederholen würde, oder ob er sich nicht
wiederholen würde, das bleibt ganz gleichgiltig.

Das war die Stimmung, in der er am häufigsten einherging.

Und dann kam der Novembertag, an dem der König starb und die Kriegs¬
wolke immer drohender heraufzog.

Schnell ordnete er seine Sachen auf Lönborggaard und meldete sich als
Freiwilliger.

Die Langeweile der Ausbildungszeit ertrug er mit Leichtigkeit, es war ja
so unsäglich viel, nicht länger ein überflüssiger Mensch zu sein, und als er
dann zur Armee stieß, der ewige Kampf gegen Kälte, gegen Ungeziefer und
Unbequemlichkeiten jeder Art, das alles drängte die Gedanken zurück, die sich
mit dem Zunächstliegenden beschäftigen konnten, das machte ihn beinahe heiter
und seine Gesundheit, die sehr unter dem Kummer der letzten Jahre gelitten
hatte, wurde wieder ganz vorzüglich.

An einem trüben Märztage wurde er dann durch die Brust geschossen.

Hjerrild, der Arzt im Lazarett) war, sorgte dafür, daß er in einen kleinern
Saal gelegt wurde, worin sich nur vier Betten befanden. Der eine von denen,
die drinnen lagen, war dnrch das Rückgrat geschossen und lag ganz still, der
zweite hatte eine Wunde in der Brust, er hatte schon mehrere Tage dort ge¬
legen und phantasirte ununterbrochen, stundenlang mit hastig ausgesprochenen,
abgerissenen Worten; der letzte endlich, der Ricks Lyhne zunächst lag, war ein
großer, starker Bauerbursche mit dicken, runden Backen; er hatte eine GeHirn¬
verletzung durch einen Granatsplitter erlitten, und unablässig den ganzen Tag
hob er ungefähr zweimal in der Minute gleichzeitig den rechten Arm und das
rechte Bein in die Hohe, ließ sie dann wieder fallen und begleitete die Bewegung
jedesmal mit einem lauten, aber dumpfen, tonlosen: Höh, hob. stets in dem¬
selben Takt, stets genau mit demselben Tonfall.

Da lag nun Ricks Lyhne. Die Kugel war in seine rechte Lunge gedrungen und
wär dort sitzen geblieben. Im Kriege können nicht viele Umstände gemacht werden,
und so erfuhr er denn, daß er nicht viel Aussicht habe, am Leben zu bleiben.

Das wunderte ihn, denn er fühlte sich durchaus nicht sterbenskrank und
seine Wunde schmerzte ihn nicht sehr. Bald aber stellte sich eine Mattigkeit
ein, die ihm sagte, daß der Arzt recht habe.

Das also sollte das Ende sein. Er dachte an Gerda, er dachte den ersten


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[0634] Ricks Lyhne, eine Einfache: das Leben so zu ertragen, wie es nun einmal war, und das Leben sich nach den eignen Gesetzen des Lebens bilden zu lassen. Es war ihm, als habe sein Leben in jener qualvollen Nacht abgeschlossen; das, was nachher kam, konnte niemals etwas andres werden als gleichgiltige Szenen, die an den fünften Akt angeklebt waren, nachdem die Handlung schon zu Ende gespielt worden. Er konnte ja immerhin seine alte» Lebensanschauungen wieder aufnehmen, wenn er Lust dazu hatte, aber er war nun doch einmal ge¬ fallen, und ob sich der Fall später wiederholen würde, oder ob er sich nicht wiederholen würde, das bleibt ganz gleichgiltig. Das war die Stimmung, in der er am häufigsten einherging. Und dann kam der Novembertag, an dem der König starb und die Kriegs¬ wolke immer drohender heraufzog. Schnell ordnete er seine Sachen auf Lönborggaard und meldete sich als Freiwilliger. Die Langeweile der Ausbildungszeit ertrug er mit Leichtigkeit, es war ja so unsäglich viel, nicht länger ein überflüssiger Mensch zu sein, und als er dann zur Armee stieß, der ewige Kampf gegen Kälte, gegen Ungeziefer und Unbequemlichkeiten jeder Art, das alles drängte die Gedanken zurück, die sich mit dem Zunächstliegenden beschäftigen konnten, das machte ihn beinahe heiter und seine Gesundheit, die sehr unter dem Kummer der letzten Jahre gelitten hatte, wurde wieder ganz vorzüglich. An einem trüben Märztage wurde er dann durch die Brust geschossen. Hjerrild, der Arzt im Lazarett) war, sorgte dafür, daß er in einen kleinern Saal gelegt wurde, worin sich nur vier Betten befanden. Der eine von denen, die drinnen lagen, war dnrch das Rückgrat geschossen und lag ganz still, der zweite hatte eine Wunde in der Brust, er hatte schon mehrere Tage dort ge¬ legen und phantasirte ununterbrochen, stundenlang mit hastig ausgesprochenen, abgerissenen Worten; der letzte endlich, der Ricks Lyhne zunächst lag, war ein großer, starker Bauerbursche mit dicken, runden Backen; er hatte eine GeHirn¬ verletzung durch einen Granatsplitter erlitten, und unablässig den ganzen Tag hob er ungefähr zweimal in der Minute gleichzeitig den rechten Arm und das rechte Bein in die Hohe, ließ sie dann wieder fallen und begleitete die Bewegung jedesmal mit einem lauten, aber dumpfen, tonlosen: Höh, hob. stets in dem¬ selben Takt, stets genau mit demselben Tonfall. Da lag nun Ricks Lyhne. Die Kugel war in seine rechte Lunge gedrungen und wär dort sitzen geblieben. Im Kriege können nicht viele Umstände gemacht werden, und so erfuhr er denn, daß er nicht viel Aussicht habe, am Leben zu bleiben. Das wunderte ihn, denn er fühlte sich durchaus nicht sterbenskrank und seine Wunde schmerzte ihn nicht sehr. Bald aber stellte sich eine Mattigkeit ein, die ihm sagte, daß der Arzt recht habe. Das also sollte das Ende sein. Er dachte an Gerda, er dachte den ersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/634>, abgerufen am 24.08.2024.