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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Wahlbewegung in Preußen.

läßt, man weiß nicht ganz sicher, ob Bennigscns Beförderung zu einem der
höchsten Ämter der Verwaltung den Beginn einer neuen liberalen Ära
bezeichnet, und man ist wohl nicht einmal darüber völlig im Klaren, ob die
Negierung, deren Wohlwollen für die Förderung der Zwecke der Partei nicht gut
zu entbehren ist, ein selbständiges Auftreten, wodurch die deutschkouservative
Partei Verluste erleiden könnte, billigen würde. Von dem Hauptblatte der
halbamtlichen Presse ist allerdings zwischen den Konservativen, die aus der
Kreuzzeitung und dem Reichsboten reden, und den übrigen ein Unterschied ge¬
macht und erstem vorgeworfen worden, sie hätten für das nationale Bedürfnis
keinen Sinn und deshalb keinen Anspruch auf die Leitung der Partei. Indes
sind diese Elemente dadurch nicht hinausgedrängt worden, und wenn von Rauch¬
haupt, der das Kartell mit den Nationalliberalen für überflüssig erklärte, und
von Hammerstein, der die evangelische Kirche vom Staate ablösen möchte, den
Wahlaufruf der Deutschkvnservativen unterschrieben haben, so wissen die National¬
liberalen in der That nicht, wie sie mit der Partei als Ganzes daran sind.
Jedenfalls hat sie zwei Seelen, und darnach werden die Nationalliberalen wahr¬
scheinlich ihr Verhalten einrichten.

Die Deutschfreisinuigen haben schon am 28. August etwas vom Stapel
gelassen, was wie ein Wahlprogramm aussieht, aber ein so schwächliches Mach¬
werk ist, daß es nicht lohnt, es auch nur mit einigen Zeilen zu charakterisiren,
zumal da Eugen Richter selbst kurz vorher in seiner Zeitung selbst zugegeben
hatte, seine Partei habe im preußischen Landtage nicht viel Ansehen mehr zu
verlieren. Ist also die unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung des Wahl¬
aufrufs der gemäßigten Liberalen erfolgt, so ist nnr noch die Partei mit dem
ihrigen im Rückstände, welche die Fraktion des Zentrums ins Abgeordnetenhaus
sendet. Sie hat es erfahrungsmüßig mit solchen Dingen nicht eilig, da ihre
Losungsworte auf den Katholikentagen und im Verkehr der Pfarrer und Kapläne
mit ihren Gemeinden ausgeteilt werde". Ob die große Masse sich dabei etwas
denkt und die letzten Zwecke, die der leitende Politiker der Partei im Auge hat,
begreift, ist diesem und seinem engern Rate gleichgiltig. Wenn nur in seinem
Sinne gewählt wird, und das geschieht und wird so lange geschehen, als es
eine im Reiche geeinigte Nation geben wird. Zuni Glücke hat diese aber einen
breiten Rücken, mit dem sich die Sache ohne viel Not ertragen läßt, wenn die
übrigen Parteien fest zur Regierung halten.




Die Wahlbewegung in Preußen.

läßt, man weiß nicht ganz sicher, ob Bennigscns Beförderung zu einem der
höchsten Ämter der Verwaltung den Beginn einer neuen liberalen Ära
bezeichnet, und man ist wohl nicht einmal darüber völlig im Klaren, ob die
Negierung, deren Wohlwollen für die Förderung der Zwecke der Partei nicht gut
zu entbehren ist, ein selbständiges Auftreten, wodurch die deutschkouservative
Partei Verluste erleiden könnte, billigen würde. Von dem Hauptblatte der
halbamtlichen Presse ist allerdings zwischen den Konservativen, die aus der
Kreuzzeitung und dem Reichsboten reden, und den übrigen ein Unterschied ge¬
macht und erstem vorgeworfen worden, sie hätten für das nationale Bedürfnis
keinen Sinn und deshalb keinen Anspruch auf die Leitung der Partei. Indes
sind diese Elemente dadurch nicht hinausgedrängt worden, und wenn von Rauch¬
haupt, der das Kartell mit den Nationalliberalen für überflüssig erklärte, und
von Hammerstein, der die evangelische Kirche vom Staate ablösen möchte, den
Wahlaufruf der Deutschkvnservativen unterschrieben haben, so wissen die National¬
liberalen in der That nicht, wie sie mit der Partei als Ganzes daran sind.
Jedenfalls hat sie zwei Seelen, und darnach werden die Nationalliberalen wahr¬
scheinlich ihr Verhalten einrichten.

Die Deutschfreisinuigen haben schon am 28. August etwas vom Stapel
gelassen, was wie ein Wahlprogramm aussieht, aber ein so schwächliches Mach¬
werk ist, daß es nicht lohnt, es auch nur mit einigen Zeilen zu charakterisiren,
zumal da Eugen Richter selbst kurz vorher in seiner Zeitung selbst zugegeben
hatte, seine Partei habe im preußischen Landtage nicht viel Ansehen mehr zu
verlieren. Ist also die unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung des Wahl¬
aufrufs der gemäßigten Liberalen erfolgt, so ist nnr noch die Partei mit dem
ihrigen im Rückstände, welche die Fraktion des Zentrums ins Abgeordnetenhaus
sendet. Sie hat es erfahrungsmüßig mit solchen Dingen nicht eilig, da ihre
Losungsworte auf den Katholikentagen und im Verkehr der Pfarrer und Kapläne
mit ihren Gemeinden ausgeteilt werde». Ob die große Masse sich dabei etwas
denkt und die letzten Zwecke, die der leitende Politiker der Partei im Auge hat,
begreift, ist diesem und seinem engern Rate gleichgiltig. Wenn nur in seinem
Sinne gewählt wird, und das geschieht und wird so lange geschehen, als es
eine im Reiche geeinigte Nation geben wird. Zuni Glücke hat diese aber einen
breiten Rücken, mit dem sich die Sache ohne viel Not ertragen läßt, wenn die
übrigen Parteien fest zur Regierung halten.




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[0628] Die Wahlbewegung in Preußen. läßt, man weiß nicht ganz sicher, ob Bennigscns Beförderung zu einem der höchsten Ämter der Verwaltung den Beginn einer neuen liberalen Ära bezeichnet, und man ist wohl nicht einmal darüber völlig im Klaren, ob die Negierung, deren Wohlwollen für die Förderung der Zwecke der Partei nicht gut zu entbehren ist, ein selbständiges Auftreten, wodurch die deutschkouservative Partei Verluste erleiden könnte, billigen würde. Von dem Hauptblatte der halbamtlichen Presse ist allerdings zwischen den Konservativen, die aus der Kreuzzeitung und dem Reichsboten reden, und den übrigen ein Unterschied ge¬ macht und erstem vorgeworfen worden, sie hätten für das nationale Bedürfnis keinen Sinn und deshalb keinen Anspruch auf die Leitung der Partei. Indes sind diese Elemente dadurch nicht hinausgedrängt worden, und wenn von Rauch¬ haupt, der das Kartell mit den Nationalliberalen für überflüssig erklärte, und von Hammerstein, der die evangelische Kirche vom Staate ablösen möchte, den Wahlaufruf der Deutschkvnservativen unterschrieben haben, so wissen die National¬ liberalen in der That nicht, wie sie mit der Partei als Ganzes daran sind. Jedenfalls hat sie zwei Seelen, und darnach werden die Nationalliberalen wahr¬ scheinlich ihr Verhalten einrichten. Die Deutschfreisinuigen haben schon am 28. August etwas vom Stapel gelassen, was wie ein Wahlprogramm aussieht, aber ein so schwächliches Mach¬ werk ist, daß es nicht lohnt, es auch nur mit einigen Zeilen zu charakterisiren, zumal da Eugen Richter selbst kurz vorher in seiner Zeitung selbst zugegeben hatte, seine Partei habe im preußischen Landtage nicht viel Ansehen mehr zu verlieren. Ist also die unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung des Wahl¬ aufrufs der gemäßigten Liberalen erfolgt, so ist nnr noch die Partei mit dem ihrigen im Rückstände, welche die Fraktion des Zentrums ins Abgeordnetenhaus sendet. Sie hat es erfahrungsmüßig mit solchen Dingen nicht eilig, da ihre Losungsworte auf den Katholikentagen und im Verkehr der Pfarrer und Kapläne mit ihren Gemeinden ausgeteilt werde». Ob die große Masse sich dabei etwas denkt und die letzten Zwecke, die der leitende Politiker der Partei im Auge hat, begreift, ist diesem und seinem engern Rate gleichgiltig. Wenn nur in seinem Sinne gewählt wird, und das geschieht und wird so lange geschehen, als es eine im Reiche geeinigte Nation geben wird. Zuni Glücke hat diese aber einen breiten Rücken, mit dem sich die Sache ohne viel Not ertragen läßt, wenn die übrigen Parteien fest zur Regierung halten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/628>, abgerufen am 22.07.2024.