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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Wahlbewegung in Preußen.

hat, geschieht es, daß der Rückweg in das alte Lager ins Auge gefaßt, und daß
öffentlich ausgesprochen wird, er solle angetreten werden. Der Terrorismus
Richters, der die Partei bisher zusammenhielt, wird weiter geübt, aber nicht
mehr, wie bis jetzt, von allen Mitgliedern weiter ertragen werden. Auf alle
Fälle ist ein Anfang zum Bessern zu bemerken, der Fortgang hoffen läßt und
der nationalliberalen Partei die Aussicht eröffnet, ihre Stützen auch im Osten
mit der Zeit wieder in wünschenswerten Maße zu verstärken. Das ist an
sich sicherlich recht erfreulich, wenigstens für die Partei als solche: sie gewinnt
Stimmen und Mandate und mit diesen äußerlich an Macht und Einfluß.
Aber die Sache hat auch ihr Bedenken. Nicht immer ist Wachsen der Zahl
auch wahre Stärkung. Die anscheinend Bekehrten, welche zu dem alten Panier
zurückzukehren Anstalt machen, mögen wirklich ihren Irrtum eingesehen haben,
sie können aber auch nur den veränderten Umständen, die sich wieder einmal
ändern können, Rechnung getragen haben und, wie man zu sagen pflegt,
unsichere Kantonisten sein, mit denen für die Dauer weniger gewonnen als
verloren ist, insofern sie die Einheit der Partei stören können, die durch sie
allmählich wieder in einen rechten und einen linken Flügel zerfallen kann. Jeden¬
falls sind sie lange genug in schlechter Gesellschaft gewesen, um solche Befürchtung
zu rechtfertigen. Es ist zwar mehr Freude im Himmel über einen Sünder,
der Buße thut, als über neunundneunzig Gerechte, und wir wollen uns mehr
den Vater als den Bruder des Verlornen Sohnes zum Muster nehmen. Die
Nationalliberalen mögen den Zurückkehrenden den Heimweg möglichst er¬
leichtern, aber nicht vergessen, daß Vorsicht geboten ist, und daß keine Opfer an
Überzeugungen gebracht werden dürfen. Die wiederkehrenden Sezcssionistcn
werden sich, mag ihre Zahl auch noch so groß sein (wir erwarten für die
nächste Zeit nicht, daß sie bedeutend sein wird), der nationalen Idee mit ihren
Folgerungen streng unterordnen müssen und nichts von ihrem bisherigen Glauben
mitbringen und beibehalten dürfen, wenn sie als nützliches Element wieder in
die Partei aufgenommen werden sollen. Ohne Erfüllung dieser Bedingung
besser draußen als drinnen. Das verlangt schon die Betrachtung der Sache
vom Standpunkte des Partciinteresses. Noch mehr aber gebietet es das Be¬
dürfnis des Staates und der Nation, denen die Partei, wie sie sich in der letzten
Zeit gestaltet hat, mit Aufgebung früherer Ansprüche zu dienen entschlossen ist.
Ein Wahlprogrcimm hat die Partei bis zu dem Augenblicke, in dem wir schreiben,
noch nicht veröffentlicht, doch ist der Oberbürgermeister Miquel, jetzt nachdem
Bennigsen infolge seiner Ernennung zum Oberpräsidenten von der Parteileitung
selbstverständlich zurückgetreten ist, der erste Führer der Genossenschaft, mit der
Abfassung eines solchen beschäftigt. Diese Arbeit scheint nicht leicht zu sein.
Man befindet sich offenbar in Verlegenheit, für welche Marschrichtung bei der
Wahlbewegung man sich entscheiden soll, man ist sich nicht recht klar darüber,
welche die meisten Vorteile verheißt und die wenigsten Verluste befürchten


Die Wahlbewegung in Preußen.

hat, geschieht es, daß der Rückweg in das alte Lager ins Auge gefaßt, und daß
öffentlich ausgesprochen wird, er solle angetreten werden. Der Terrorismus
Richters, der die Partei bisher zusammenhielt, wird weiter geübt, aber nicht
mehr, wie bis jetzt, von allen Mitgliedern weiter ertragen werden. Auf alle
Fälle ist ein Anfang zum Bessern zu bemerken, der Fortgang hoffen läßt und
der nationalliberalen Partei die Aussicht eröffnet, ihre Stützen auch im Osten
mit der Zeit wieder in wünschenswerten Maße zu verstärken. Das ist an
sich sicherlich recht erfreulich, wenigstens für die Partei als solche: sie gewinnt
Stimmen und Mandate und mit diesen äußerlich an Macht und Einfluß.
Aber die Sache hat auch ihr Bedenken. Nicht immer ist Wachsen der Zahl
auch wahre Stärkung. Die anscheinend Bekehrten, welche zu dem alten Panier
zurückzukehren Anstalt machen, mögen wirklich ihren Irrtum eingesehen haben,
sie können aber auch nur den veränderten Umständen, die sich wieder einmal
ändern können, Rechnung getragen haben und, wie man zu sagen pflegt,
unsichere Kantonisten sein, mit denen für die Dauer weniger gewonnen als
verloren ist, insofern sie die Einheit der Partei stören können, die durch sie
allmählich wieder in einen rechten und einen linken Flügel zerfallen kann. Jeden¬
falls sind sie lange genug in schlechter Gesellschaft gewesen, um solche Befürchtung
zu rechtfertigen. Es ist zwar mehr Freude im Himmel über einen Sünder,
der Buße thut, als über neunundneunzig Gerechte, und wir wollen uns mehr
den Vater als den Bruder des Verlornen Sohnes zum Muster nehmen. Die
Nationalliberalen mögen den Zurückkehrenden den Heimweg möglichst er¬
leichtern, aber nicht vergessen, daß Vorsicht geboten ist, und daß keine Opfer an
Überzeugungen gebracht werden dürfen. Die wiederkehrenden Sezcssionistcn
werden sich, mag ihre Zahl auch noch so groß sein (wir erwarten für die
nächste Zeit nicht, daß sie bedeutend sein wird), der nationalen Idee mit ihren
Folgerungen streng unterordnen müssen und nichts von ihrem bisherigen Glauben
mitbringen und beibehalten dürfen, wenn sie als nützliches Element wieder in
die Partei aufgenommen werden sollen. Ohne Erfüllung dieser Bedingung
besser draußen als drinnen. Das verlangt schon die Betrachtung der Sache
vom Standpunkte des Partciinteresses. Noch mehr aber gebietet es das Be¬
dürfnis des Staates und der Nation, denen die Partei, wie sie sich in der letzten
Zeit gestaltet hat, mit Aufgebung früherer Ansprüche zu dienen entschlossen ist.
Ein Wahlprogrcimm hat die Partei bis zu dem Augenblicke, in dem wir schreiben,
noch nicht veröffentlicht, doch ist der Oberbürgermeister Miquel, jetzt nachdem
Bennigsen infolge seiner Ernennung zum Oberpräsidenten von der Parteileitung
selbstverständlich zurückgetreten ist, der erste Führer der Genossenschaft, mit der
Abfassung eines solchen beschäftigt. Diese Arbeit scheint nicht leicht zu sein.
Man befindet sich offenbar in Verlegenheit, für welche Marschrichtung bei der
Wahlbewegung man sich entscheiden soll, man ist sich nicht recht klar darüber,
welche die meisten Vorteile verheißt und die wenigsten Verluste befürchten


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[0627] Die Wahlbewegung in Preußen. hat, geschieht es, daß der Rückweg in das alte Lager ins Auge gefaßt, und daß öffentlich ausgesprochen wird, er solle angetreten werden. Der Terrorismus Richters, der die Partei bisher zusammenhielt, wird weiter geübt, aber nicht mehr, wie bis jetzt, von allen Mitgliedern weiter ertragen werden. Auf alle Fälle ist ein Anfang zum Bessern zu bemerken, der Fortgang hoffen läßt und der nationalliberalen Partei die Aussicht eröffnet, ihre Stützen auch im Osten mit der Zeit wieder in wünschenswerten Maße zu verstärken. Das ist an sich sicherlich recht erfreulich, wenigstens für die Partei als solche: sie gewinnt Stimmen und Mandate und mit diesen äußerlich an Macht und Einfluß. Aber die Sache hat auch ihr Bedenken. Nicht immer ist Wachsen der Zahl auch wahre Stärkung. Die anscheinend Bekehrten, welche zu dem alten Panier zurückzukehren Anstalt machen, mögen wirklich ihren Irrtum eingesehen haben, sie können aber auch nur den veränderten Umständen, die sich wieder einmal ändern können, Rechnung getragen haben und, wie man zu sagen pflegt, unsichere Kantonisten sein, mit denen für die Dauer weniger gewonnen als verloren ist, insofern sie die Einheit der Partei stören können, die durch sie allmählich wieder in einen rechten und einen linken Flügel zerfallen kann. Jeden¬ falls sind sie lange genug in schlechter Gesellschaft gewesen, um solche Befürchtung zu rechtfertigen. Es ist zwar mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße thut, als über neunundneunzig Gerechte, und wir wollen uns mehr den Vater als den Bruder des Verlornen Sohnes zum Muster nehmen. Die Nationalliberalen mögen den Zurückkehrenden den Heimweg möglichst er¬ leichtern, aber nicht vergessen, daß Vorsicht geboten ist, und daß keine Opfer an Überzeugungen gebracht werden dürfen. Die wiederkehrenden Sezcssionistcn werden sich, mag ihre Zahl auch noch so groß sein (wir erwarten für die nächste Zeit nicht, daß sie bedeutend sein wird), der nationalen Idee mit ihren Folgerungen streng unterordnen müssen und nichts von ihrem bisherigen Glauben mitbringen und beibehalten dürfen, wenn sie als nützliches Element wieder in die Partei aufgenommen werden sollen. Ohne Erfüllung dieser Bedingung besser draußen als drinnen. Das verlangt schon die Betrachtung der Sache vom Standpunkte des Partciinteresses. Noch mehr aber gebietet es das Be¬ dürfnis des Staates und der Nation, denen die Partei, wie sie sich in der letzten Zeit gestaltet hat, mit Aufgebung früherer Ansprüche zu dienen entschlossen ist. Ein Wahlprogrcimm hat die Partei bis zu dem Augenblicke, in dem wir schreiben, noch nicht veröffentlicht, doch ist der Oberbürgermeister Miquel, jetzt nachdem Bennigsen infolge seiner Ernennung zum Oberpräsidenten von der Parteileitung selbstverständlich zurückgetreten ist, der erste Führer der Genossenschaft, mit der Abfassung eines solchen beschäftigt. Diese Arbeit scheint nicht leicht zu sein. Man befindet sich offenbar in Verlegenheit, für welche Marschrichtung bei der Wahlbewegung man sich entscheiden soll, man ist sich nicht recht klar darüber, welche die meisten Vorteile verheißt und die wenigsten Verluste befürchten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/627>, abgerufen am 24.08.2024.