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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die lvahlbewegung in Preußen.

ur noch wenige Woche" trennen uns von den Urwcihlcn für den
Landtag, und die Parteien haben begonnen, ihre
Stellung dazu deutlicher kundzugeben. Zunächst haben die Deutsch-
konservativen, bei denen die Hochkirchlichen den rechten Flügel
einen Wahlaufruf veröffentlicht, von dem man sagen
muß, daß er sich geschickt mit der gegebenen Lage der Dinge abzufinden weiß.
Er spricht zuvörderst die Befriedigung der Partei über die Verheißung des
Kaisers und Königs aus, nach welcher er im Geiste seines verewigten Gro߬
vaters zu regieren beabsichtigt, und wendet sich dann zu unsrer großen Freude
an die Parteien, die zur Erhaltung eines starken monarchischen Regiments, zur
Pflege der Vaterlandsliebe und zur Wahrung christlicher Zucht und Sitte (bei
dem Worte "christlich" darf man wohl an den sehr zeitgemäßen Artikel denken,
den die Kreuzzeitung vor kurzem über den bedenklichen Einfluß des Judentums
auf unsre Zustände brachte) zusammengetreten waren. "Deutschlands Fürsten,
welche sich bei der Thronbesteigung einmütig um Kaiser Wilhelm II. scharten,
mögen den preußischen Wählern ein leuchtendes Vorbild rücksichtsloser Hin¬
gebung an das Vaterland auch bei der bevorstehenden Wahl sein." Das so¬
dann entwickelte Programm erklärt die Gewerbesteuer für veraltet und erhebt
gegen die Grund- und Gebändesteuer den Vorwurf, sie wirkten umso drücken¬
der, als der Grundbesitz immer geringere Erträge abwerfe. Die Frage über
die Reform der Klassen- und Einkommensteuer wird nur mit der Bemerkung
berührt, daß sich das Einschätzungsverfahren als unzureichend erwiesen habe.
Dagegen wird eine weitere Entlastung der gemeindlichen Verbände durch Reichs¬
hilfe verlangt. Für den Erlaß einer Landgemeindeordnung soll kein Bedürfnis
vorliegen. "Die Freiheit der Entwicklung unsrer ländlichen Verhältnisse ist
gegenwärtig in keiner Weise behindert; sie ruht vielmehr auf gesunder Grund¬
lage; jedoch soll da, wo Landgemeinden und selbständige Gutsbezirke örtlich




Die lvahlbewegung in Preußen.

ur noch wenige Woche» trennen uns von den Urwcihlcn für den
Landtag, und die Parteien haben begonnen, ihre
Stellung dazu deutlicher kundzugeben. Zunächst haben die Deutsch-
konservativen, bei denen die Hochkirchlichen den rechten Flügel
einen Wahlaufruf veröffentlicht, von dem man sagen
muß, daß er sich geschickt mit der gegebenen Lage der Dinge abzufinden weiß.
Er spricht zuvörderst die Befriedigung der Partei über die Verheißung des
Kaisers und Königs aus, nach welcher er im Geiste seines verewigten Gro߬
vaters zu regieren beabsichtigt, und wendet sich dann zu unsrer großen Freude
an die Parteien, die zur Erhaltung eines starken monarchischen Regiments, zur
Pflege der Vaterlandsliebe und zur Wahrung christlicher Zucht und Sitte (bei
dem Worte „christlich" darf man wohl an den sehr zeitgemäßen Artikel denken,
den die Kreuzzeitung vor kurzem über den bedenklichen Einfluß des Judentums
auf unsre Zustände brachte) zusammengetreten waren. „Deutschlands Fürsten,
welche sich bei der Thronbesteigung einmütig um Kaiser Wilhelm II. scharten,
mögen den preußischen Wählern ein leuchtendes Vorbild rücksichtsloser Hin¬
gebung an das Vaterland auch bei der bevorstehenden Wahl sein." Das so¬
dann entwickelte Programm erklärt die Gewerbesteuer für veraltet und erhebt
gegen die Grund- und Gebändesteuer den Vorwurf, sie wirkten umso drücken¬
der, als der Grundbesitz immer geringere Erträge abwerfe. Die Frage über
die Reform der Klassen- und Einkommensteuer wird nur mit der Bemerkung
berührt, daß sich das Einschätzungsverfahren als unzureichend erwiesen habe.
Dagegen wird eine weitere Entlastung der gemeindlichen Verbände durch Reichs¬
hilfe verlangt. Für den Erlaß einer Landgemeindeordnung soll kein Bedürfnis
vorliegen. „Die Freiheit der Entwicklung unsrer ländlichen Verhältnisse ist
gegenwärtig in keiner Weise behindert; sie ruht vielmehr auf gesunder Grund¬
lage; jedoch soll da, wo Landgemeinden und selbständige Gutsbezirke örtlich


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[0623] [Abbildung] Die lvahlbewegung in Preußen. ur noch wenige Woche» trennen uns von den Urwcihlcn für den Landtag, und die Parteien haben begonnen, ihre Stellung dazu deutlicher kundzugeben. Zunächst haben die Deutsch- konservativen, bei denen die Hochkirchlichen den rechten Flügel einen Wahlaufruf veröffentlicht, von dem man sagen muß, daß er sich geschickt mit der gegebenen Lage der Dinge abzufinden weiß. Er spricht zuvörderst die Befriedigung der Partei über die Verheißung des Kaisers und Königs aus, nach welcher er im Geiste seines verewigten Gro߬ vaters zu regieren beabsichtigt, und wendet sich dann zu unsrer großen Freude an die Parteien, die zur Erhaltung eines starken monarchischen Regiments, zur Pflege der Vaterlandsliebe und zur Wahrung christlicher Zucht und Sitte (bei dem Worte „christlich" darf man wohl an den sehr zeitgemäßen Artikel denken, den die Kreuzzeitung vor kurzem über den bedenklichen Einfluß des Judentums auf unsre Zustände brachte) zusammengetreten waren. „Deutschlands Fürsten, welche sich bei der Thronbesteigung einmütig um Kaiser Wilhelm II. scharten, mögen den preußischen Wählern ein leuchtendes Vorbild rücksichtsloser Hin¬ gebung an das Vaterland auch bei der bevorstehenden Wahl sein." Das so¬ dann entwickelte Programm erklärt die Gewerbesteuer für veraltet und erhebt gegen die Grund- und Gebändesteuer den Vorwurf, sie wirkten umso drücken¬ der, als der Grundbesitz immer geringere Erträge abwerfe. Die Frage über die Reform der Klassen- und Einkommensteuer wird nur mit der Bemerkung berührt, daß sich das Einschätzungsverfahren als unzureichend erwiesen habe. Dagegen wird eine weitere Entlastung der gemeindlichen Verbände durch Reichs¬ hilfe verlangt. Für den Erlaß einer Landgemeindeordnung soll kein Bedürfnis vorliegen. „Die Freiheit der Entwicklung unsrer ländlichen Verhältnisse ist gegenwärtig in keiner Weise behindert; sie ruht vielmehr auf gesunder Grund¬ lage; jedoch soll da, wo Landgemeinden und selbständige Gutsbezirke örtlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/623>, abgerufen am 22.07.2024.