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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Frau Gottsched.

geherberget; allein es war allerlei dabei zu bedenken, davon mein Herr und
seine Frau schon lange vorher geredet hatten. Er ist krank, und ob er gleich
nicht so krank, als er sich stellet, so ist er doch eine gebrechliche Maschine, un,
Iroininö eiisss, <mi g. 1s MÄlusrir ä'avoir 60 ans. Ich habe ih" noch nicht
gesehen; er geht nicht aus, weil er kränker thut, als er ist, und ein Buch wider
Maupertuis und wider die ganze Welt will drucken lassen. Mein Mann besucht
ihn täglich und findet mehr Tugend, Gelehrsamkeit, Gründlichkeit und Billigkeit
gegen die Deutschen bei ihm, als er gedacht hätte. Wo ich ihn nicht eher sehe,
so geschieht es künftigen Donnerstag, da wir zusammen nach Meuselwitz swohin
Voltaire von dem Grafen von Seckendorff eingeladen war^ fahren, tout VoItsM
<zu'i1 oft>, weis; ich wohl, mit wem ich unendlich lieber dahin führe."

Am 18. April berichtet sie weiter: "Alles ist zu seiner Abreise von hier
veranstaltet, ich habe ihn noch nicht gesehen, und das geht so zu: er hat bisher
noch immer den Kranken vorgestellt, und ich eine Person, die eigensinnig genug
ist, diesen Kranken in seinem Quartiere nicht zu besuchen. Sein Sekretair ver¬
trat also die Stelle eines Gesandten. Er bekam allemal ebensoviel Klagen über
den Unstern, daß ein paar so außerordentliche Leute einander nicht kennen
lernen sollten -- dieses war sein Ausdruck -- mit zurücke, als er mir über¬
bracht hatte. Endlich bestimmte ich diesem eingebildeten Kranken den Tag, wenn
ich wollte gesehen seyn und ihn bey mir sehen. Lachen Sie nicht über diesen
verwegenen Ausdruck! Ich mußte bey dieser Gelegenheit die Ehre der Deutschen
behaupten, denen die Franzosen alle Kraft zu denken absprechen, und ich wollte
den Stolz eines Voltaire nicht vermehren. Eine ausgesuchte Gesellschaft sollte
diesen Tag bey uns speisen, und ich hatte mich gefaßt gemacht, ihn mit fran¬
zösischer Höflichkeit zu empfange". Wer aber außenblieb, war der Herr von
Voltaire, und wer über diesen Eigensinn böse ward, bin ich. Nunmehr setzte
ich mir vor, mich nicht sehen zu lassen, er möchte kommen, wenn er wollte.
Dieses habe ich gehalten, und bey seinem Abschiede, den er in aller Form ge¬
nommen hat, bin ich nicht zum Vorschein gekommen. So bin ich denn wie
viele Adamskinder Schuld an meinem Verlust, einen Voltaire nicht gesehen zu
haben."

Die letzten Lebensjahre der Frau Gottsched waren leider trübe und kummer¬
voll. Ihre Gesundheit war durch ihren rastlosen Fleiß erschüttert, und wenn
sie, die überarbeitete und geistig abgespannte, Schwermutsanfällen zur Beute
wurde, so verordnete ihr der kurzsichtige Gatte als Heilmittel neue Arbeit.
Immer wußte er ihr neue Aufgaben zu stellen, und man erstaunt, wenn man
nach ihrem Tode erzählen hört, welche riesenhaften Aufgaben sie für ihn auf
sich genommen hatte, ohne daß ihm auch nur der Gedanke kommt, daß sie durch
so übermäßiges Arbeiten ihre Gesundheit untergraben habe. So nennt er es,
ohne sich die geringsten Bedenken zu machen, nur eine "Probe ihres unsäglichen
Fleißes, die allen, so sie sehen, als ein Wunder vorkommen muß," als er sie


Frau Gottsched.

geherberget; allein es war allerlei dabei zu bedenken, davon mein Herr und
seine Frau schon lange vorher geredet hatten. Er ist krank, und ob er gleich
nicht so krank, als er sich stellet, so ist er doch eine gebrechliche Maschine, un,
Iroininö eiisss, <mi g. 1s MÄlusrir ä'avoir 60 ans. Ich habe ih» noch nicht
gesehen; er geht nicht aus, weil er kränker thut, als er ist, und ein Buch wider
Maupertuis und wider die ganze Welt will drucken lassen. Mein Mann besucht
ihn täglich und findet mehr Tugend, Gelehrsamkeit, Gründlichkeit und Billigkeit
gegen die Deutschen bei ihm, als er gedacht hätte. Wo ich ihn nicht eher sehe,
so geschieht es künftigen Donnerstag, da wir zusammen nach Meuselwitz swohin
Voltaire von dem Grafen von Seckendorff eingeladen war^ fahren, tout VoItsM
<zu'i1 oft>, weis; ich wohl, mit wem ich unendlich lieber dahin führe."

Am 18. April berichtet sie weiter: „Alles ist zu seiner Abreise von hier
veranstaltet, ich habe ihn noch nicht gesehen, und das geht so zu: er hat bisher
noch immer den Kranken vorgestellt, und ich eine Person, die eigensinnig genug
ist, diesen Kranken in seinem Quartiere nicht zu besuchen. Sein Sekretair ver¬
trat also die Stelle eines Gesandten. Er bekam allemal ebensoviel Klagen über
den Unstern, daß ein paar so außerordentliche Leute einander nicht kennen
lernen sollten — dieses war sein Ausdruck — mit zurücke, als er mir über¬
bracht hatte. Endlich bestimmte ich diesem eingebildeten Kranken den Tag, wenn
ich wollte gesehen seyn und ihn bey mir sehen. Lachen Sie nicht über diesen
verwegenen Ausdruck! Ich mußte bey dieser Gelegenheit die Ehre der Deutschen
behaupten, denen die Franzosen alle Kraft zu denken absprechen, und ich wollte
den Stolz eines Voltaire nicht vermehren. Eine ausgesuchte Gesellschaft sollte
diesen Tag bey uns speisen, und ich hatte mich gefaßt gemacht, ihn mit fran¬
zösischer Höflichkeit zu empfange». Wer aber außenblieb, war der Herr von
Voltaire, und wer über diesen Eigensinn böse ward, bin ich. Nunmehr setzte
ich mir vor, mich nicht sehen zu lassen, er möchte kommen, wenn er wollte.
Dieses habe ich gehalten, und bey seinem Abschiede, den er in aller Form ge¬
nommen hat, bin ich nicht zum Vorschein gekommen. So bin ich denn wie
viele Adamskinder Schuld an meinem Verlust, einen Voltaire nicht gesehen zu
haben."

Die letzten Lebensjahre der Frau Gottsched waren leider trübe und kummer¬
voll. Ihre Gesundheit war durch ihren rastlosen Fleiß erschüttert, und wenn
sie, die überarbeitete und geistig abgespannte, Schwermutsanfällen zur Beute
wurde, so verordnete ihr der kurzsichtige Gatte als Heilmittel neue Arbeit.
Immer wußte er ihr neue Aufgaben zu stellen, und man erstaunt, wenn man
nach ihrem Tode erzählen hört, welche riesenhaften Aufgaben sie für ihn auf
sich genommen hatte, ohne daß ihm auch nur der Gedanke kommt, daß sie durch
so übermäßiges Arbeiten ihre Gesundheit untergraben habe. So nennt er es,
ohne sich die geringsten Bedenken zu machen, nur eine „Probe ihres unsäglichen
Fleißes, die allen, so sie sehen, als ein Wunder vorkommen muß," als er sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/620>, abgerufen am 23.07.2024.