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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Frau Gottsched.

das Herz, wenn ein weiches Empfinden sie dazu drängte, während ihr Gatte
Gelegenheitsgedichte auf Bestellung für Geld verfaßte. Frau Gottsched hielt
das Schreiben von Gelegenheitsgedichten "für Verschwendung ihrer Zeit und
ihrer Einfälle"; als Braut freilich hatte sie es dem Erwählten ihres Herzens
nicht abschlagen können, ein Glückwunschgedicht an Frau Marianne von Ziegler
zu richten, die als die erste Frau unter die Mitglieder der Gottschedischen
Deutschen Gesellschaft aufgenommen worden war; aber leicht mag ihr diese Arbeit
nicht geworden sein. Wie richtig sie den Unterschied zwischen einer wirklichen
Dichtung und einem auf Bestellung gefertigten, nur einer .Höflichkeitsform ge¬
nügenden Gelegenheitsgedichte ahnte, zeigt ein die Sendung des Gedichts be¬
gleitender Brief. Sie schreibt an den Bräutigam: "Kein Gedicht kann ich es
nicht nennen, denn es sind lauter Wahrheiten von der einen Seite und Empfin¬
dungen von der andern, obwohl sehr schwach ausgedrückt. Ich werde auch nie
ein Gedicht verfertigen. Ein Dichter muß reich an Erfindungen sein und muß
vieles schön zu sagen wissen, was er nicht empfindet." Sie glaubt also keine
Dichterin zu sein, weil sie nur sagen kann, was wahr ist und was sie empfindet;
sie weiß recht wohl, daß ihre Zeit von einem Dichter und namentlich von
einem Gelegenheitsdichter verlangt, daß er schön zu sagen wisse, was er nicht
empfindet.

Frau Gottsched steht unter dem Einflüsse der Dichterregeln ihrer Zeit und
ihres Gatten, und so kann es uns kaum wundern, wenn wir sie in ihren
Briefen, wo sie sich ganz giebt, wie sie ist, wo Verstand und Herz sich nicht
von Regeln einengen lassen, oft mehr als Dichterin erkennen, als in ihren
Dichtungen. Es mögen daher hier noch einige Stellen aus ihren Briefen mit¬
geteilt sein, Stellen, aus denen ihr ganzes Wesen am besten erkannt wird.

Wie sparsam muß die Frau mit ihrer Zeit umgegangen sein, die neben
ihren eignen Werken und neben den gelehrten Handlangerdiensten, die sie ihrem
Gatten zu leisten hatte, noch so viel ausführliche und herzliche Briefe schreiben
konnte, und die doch daneben auch in ihrem Hauswesen alle einer Hausfrau
zukommenden Sorgen auf sich nahm! Gottsched schreibt: "Ihre Wirtschafts¬
angelegenheiten an Küche. Wäsche und Kleidung besorgte sie ohne alles Geräusch
aufs ordentlichste. Ihre Ausgabe und Einnahme hat sie die ganze Zeit ihres
Ehestandes durch von selber zu Pfennig aufgeschrieben und jedes Jahr richtig
geschlossen. Ja von allen Arbeiten mit der Nadel, die in einem Hauswesen
vorkommen können, hat sie sehr wenig durch fremde Hände besorgen lassen;
wenn sie nämlich nicht einträglichere Arbeiten unter der Feder hatte, die keinen
Aufschub litten."

Solchem Fleiße war jede Stunde teuer, und eine Stunde ohne Arbeit er¬
achtete sie als verloren. Auf einer Reise, die sie mit ihrem Gatten an den
Kaiserhof nach Wien unternahm, schrieb sie über eine langwierige Donaufahrt
am 9. September 1749 von Passau aus an ihre Freundin Fräulein Thomasius:


Grenzboten III. 1838. 77
Frau Gottsched.

das Herz, wenn ein weiches Empfinden sie dazu drängte, während ihr Gatte
Gelegenheitsgedichte auf Bestellung für Geld verfaßte. Frau Gottsched hielt
das Schreiben von Gelegenheitsgedichten „für Verschwendung ihrer Zeit und
ihrer Einfälle"; als Braut freilich hatte sie es dem Erwählten ihres Herzens
nicht abschlagen können, ein Glückwunschgedicht an Frau Marianne von Ziegler
zu richten, die als die erste Frau unter die Mitglieder der Gottschedischen
Deutschen Gesellschaft aufgenommen worden war; aber leicht mag ihr diese Arbeit
nicht geworden sein. Wie richtig sie den Unterschied zwischen einer wirklichen
Dichtung und einem auf Bestellung gefertigten, nur einer .Höflichkeitsform ge¬
nügenden Gelegenheitsgedichte ahnte, zeigt ein die Sendung des Gedichts be¬
gleitender Brief. Sie schreibt an den Bräutigam: „Kein Gedicht kann ich es
nicht nennen, denn es sind lauter Wahrheiten von der einen Seite und Empfin¬
dungen von der andern, obwohl sehr schwach ausgedrückt. Ich werde auch nie
ein Gedicht verfertigen. Ein Dichter muß reich an Erfindungen sein und muß
vieles schön zu sagen wissen, was er nicht empfindet." Sie glaubt also keine
Dichterin zu sein, weil sie nur sagen kann, was wahr ist und was sie empfindet;
sie weiß recht wohl, daß ihre Zeit von einem Dichter und namentlich von
einem Gelegenheitsdichter verlangt, daß er schön zu sagen wisse, was er nicht
empfindet.

Frau Gottsched steht unter dem Einflüsse der Dichterregeln ihrer Zeit und
ihres Gatten, und so kann es uns kaum wundern, wenn wir sie in ihren
Briefen, wo sie sich ganz giebt, wie sie ist, wo Verstand und Herz sich nicht
von Regeln einengen lassen, oft mehr als Dichterin erkennen, als in ihren
Dichtungen. Es mögen daher hier noch einige Stellen aus ihren Briefen mit¬
geteilt sein, Stellen, aus denen ihr ganzes Wesen am besten erkannt wird.

Wie sparsam muß die Frau mit ihrer Zeit umgegangen sein, die neben
ihren eignen Werken und neben den gelehrten Handlangerdiensten, die sie ihrem
Gatten zu leisten hatte, noch so viel ausführliche und herzliche Briefe schreiben
konnte, und die doch daneben auch in ihrem Hauswesen alle einer Hausfrau
zukommenden Sorgen auf sich nahm! Gottsched schreibt: „Ihre Wirtschafts¬
angelegenheiten an Küche. Wäsche und Kleidung besorgte sie ohne alles Geräusch
aufs ordentlichste. Ihre Ausgabe und Einnahme hat sie die ganze Zeit ihres
Ehestandes durch von selber zu Pfennig aufgeschrieben und jedes Jahr richtig
geschlossen. Ja von allen Arbeiten mit der Nadel, die in einem Hauswesen
vorkommen können, hat sie sehr wenig durch fremde Hände besorgen lassen;
wenn sie nämlich nicht einträglichere Arbeiten unter der Feder hatte, die keinen
Aufschub litten."

Solchem Fleiße war jede Stunde teuer, und eine Stunde ohne Arbeit er¬
achtete sie als verloren. Auf einer Reise, die sie mit ihrem Gatten an den
Kaiserhof nach Wien unternahm, schrieb sie über eine langwierige Donaufahrt
am 9. September 1749 von Passau aus an ihre Freundin Fräulein Thomasius:


Grenzboten III. 1838. 77
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[0617] Frau Gottsched. das Herz, wenn ein weiches Empfinden sie dazu drängte, während ihr Gatte Gelegenheitsgedichte auf Bestellung für Geld verfaßte. Frau Gottsched hielt das Schreiben von Gelegenheitsgedichten „für Verschwendung ihrer Zeit und ihrer Einfälle"; als Braut freilich hatte sie es dem Erwählten ihres Herzens nicht abschlagen können, ein Glückwunschgedicht an Frau Marianne von Ziegler zu richten, die als die erste Frau unter die Mitglieder der Gottschedischen Deutschen Gesellschaft aufgenommen worden war; aber leicht mag ihr diese Arbeit nicht geworden sein. Wie richtig sie den Unterschied zwischen einer wirklichen Dichtung und einem auf Bestellung gefertigten, nur einer .Höflichkeitsform ge¬ nügenden Gelegenheitsgedichte ahnte, zeigt ein die Sendung des Gedichts be¬ gleitender Brief. Sie schreibt an den Bräutigam: „Kein Gedicht kann ich es nicht nennen, denn es sind lauter Wahrheiten von der einen Seite und Empfin¬ dungen von der andern, obwohl sehr schwach ausgedrückt. Ich werde auch nie ein Gedicht verfertigen. Ein Dichter muß reich an Erfindungen sein und muß vieles schön zu sagen wissen, was er nicht empfindet." Sie glaubt also keine Dichterin zu sein, weil sie nur sagen kann, was wahr ist und was sie empfindet; sie weiß recht wohl, daß ihre Zeit von einem Dichter und namentlich von einem Gelegenheitsdichter verlangt, daß er schön zu sagen wisse, was er nicht empfindet. Frau Gottsched steht unter dem Einflüsse der Dichterregeln ihrer Zeit und ihres Gatten, und so kann es uns kaum wundern, wenn wir sie in ihren Briefen, wo sie sich ganz giebt, wie sie ist, wo Verstand und Herz sich nicht von Regeln einengen lassen, oft mehr als Dichterin erkennen, als in ihren Dichtungen. Es mögen daher hier noch einige Stellen aus ihren Briefen mit¬ geteilt sein, Stellen, aus denen ihr ganzes Wesen am besten erkannt wird. Wie sparsam muß die Frau mit ihrer Zeit umgegangen sein, die neben ihren eignen Werken und neben den gelehrten Handlangerdiensten, die sie ihrem Gatten zu leisten hatte, noch so viel ausführliche und herzliche Briefe schreiben konnte, und die doch daneben auch in ihrem Hauswesen alle einer Hausfrau zukommenden Sorgen auf sich nahm! Gottsched schreibt: „Ihre Wirtschafts¬ angelegenheiten an Küche. Wäsche und Kleidung besorgte sie ohne alles Geräusch aufs ordentlichste. Ihre Ausgabe und Einnahme hat sie die ganze Zeit ihres Ehestandes durch von selber zu Pfennig aufgeschrieben und jedes Jahr richtig geschlossen. Ja von allen Arbeiten mit der Nadel, die in einem Hauswesen vorkommen können, hat sie sehr wenig durch fremde Hände besorgen lassen; wenn sie nämlich nicht einträglichere Arbeiten unter der Feder hatte, die keinen Aufschub litten." Solchem Fleiße war jede Stunde teuer, und eine Stunde ohne Arbeit er¬ achtete sie als verloren. Auf einer Reise, die sie mit ihrem Gatten an den Kaiserhof nach Wien unternahm, schrieb sie über eine langwierige Donaufahrt am 9. September 1749 von Passau aus an ihre Freundin Fräulein Thomasius: Grenzboten III. 1838. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/617>, abgerufen am 23.07.2024.