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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Frau Gottsched.

Ganz freie Erfindungen waren ihre in der "Deutschen Schaubühne" ver>
öffentlichem Lustspiele: "Die ungleiche Heirat," "Die Hausfrnnzösin," "Das
Testament" und "Der Witzling." Das letzte war eigentlich nur ein kurzes
Nachspiel, mit dem sie die Verfasser der sogenannten "Bremer Beiträge" ver¬
spotten wollte, oder wie Gottsched sagt, "worin die Selige allerley kleine
Kritiken wider die Schaubühne, die damals von vielen jungen Dichtern gemachet
worden, abfertigte und diesen eingebildeten Kunstrichtern glücklich das Maul
stopfte." Von einer Wirkung auf dem Theater konnte bei diesem Nachspiel
nicht die Rede sein. Umso öfter erschienen die drei andern Lustspiele auf der
Bühne, und vorzugsweise die beiden erstgenannten.

Heutzutage sind Frau Gottscheds Lustspiele ungenießbar und in einzelnen
Stellen abstoßend geworden, aber sie waren ihrer Zeit die ersten, die genießbar
erschienen, und an Beifall hat es ihnen nicht gefehlt. Von ihnen aus geht
eine ununterbrochene aufsteigende Linie bis zu den Lustspielen der Gegenwart,
und in der Zeit ihres Erscheinens läßt sich ihr anregender und maßgebender
Einfluß an den Lustspieldichtungen eines Elias Schlegel. Krüger, Mylius, ganz
besonders aber an den Lustspielen Gellerts leicht nachweisen, und wie Gellerts
Lustspiele außerordentlich viele Berührungspunkte mit denen der Frau Gottsched
ausweisen, so finden sich solche sogar in Lessings Jugendtraum. Wenn Lessing
spater scharfen Tadel über die Lustspiele der Frau Gottsched aussprach, so
beweist das nur, wie hoch Lessing später über seinen eignen Anfängen stand,
aber es kann die Bedeutung nicht mindern, die jene Lustspiele für ihre Zeit
gehabt haben.

Als im Juni 1767, fünf Jahre nach der Dichterin Tode, die "Haus¬
französin" in Hamburg aufgeführt wurde, und Lessing in der Dramaturgie
darüber berichtete, schrieb er: "Man sagt, es sei dieses Stück zur Zeit seiner
Neuheit hier und da mit Beifall gespielt worden. Man wollte versuchen, welchen
Beifall es noch erhalten würde, und es erhielt den, den es verdient, gar keinen.
Das "Testament" von eben derselben Verfasserin ist noch so etwas, aber die
"Hausfrauzösiu" ist ganz und gar nichts. Noch weniger als nichts, denn sie
ist nicht allein niedrig und platt und kalt, sondern obendarein schmutzig, ekel
und im höchsten Grade beleidigend. Es ist mir unbegreiflich, wie eine Dame
solches Zeug schreiben können."

Lessing hat mit diesem harten Urteile der Dichterin keineswegs Unrecht
gethan. Ein neuerer Beurteiler, Johannes Crüger, nennt die Lustspiele der
Frau Gottsched "wimmelnd von den verfänglichsten Zweideutigkeiten" und fügt
hinzu: "Wenn solche Stücke der gereinigten Bühne angehörten, wie schmutzig
müssen erst diejenigen gewesen sein, die vor der Bühnenreinigung die Lachmus-
keln des deutschen Publikums in Bewegung setzten." Sehr richtig. In diesem
letzten Satze ist aber auch ein durch Frau Gottsched angebahnter Fortschritt
anerkannt. Und so sieht sich denn derselbe Beurteiler bezüglich des "Testaments"


Frau Gottsched.

Ganz freie Erfindungen waren ihre in der „Deutschen Schaubühne" ver>
öffentlichem Lustspiele: „Die ungleiche Heirat," „Die Hausfrnnzösin," „Das
Testament" und „Der Witzling." Das letzte war eigentlich nur ein kurzes
Nachspiel, mit dem sie die Verfasser der sogenannten „Bremer Beiträge" ver¬
spotten wollte, oder wie Gottsched sagt, „worin die Selige allerley kleine
Kritiken wider die Schaubühne, die damals von vielen jungen Dichtern gemachet
worden, abfertigte und diesen eingebildeten Kunstrichtern glücklich das Maul
stopfte." Von einer Wirkung auf dem Theater konnte bei diesem Nachspiel
nicht die Rede sein. Umso öfter erschienen die drei andern Lustspiele auf der
Bühne, und vorzugsweise die beiden erstgenannten.

Heutzutage sind Frau Gottscheds Lustspiele ungenießbar und in einzelnen
Stellen abstoßend geworden, aber sie waren ihrer Zeit die ersten, die genießbar
erschienen, und an Beifall hat es ihnen nicht gefehlt. Von ihnen aus geht
eine ununterbrochene aufsteigende Linie bis zu den Lustspielen der Gegenwart,
und in der Zeit ihres Erscheinens läßt sich ihr anregender und maßgebender
Einfluß an den Lustspieldichtungen eines Elias Schlegel. Krüger, Mylius, ganz
besonders aber an den Lustspielen Gellerts leicht nachweisen, und wie Gellerts
Lustspiele außerordentlich viele Berührungspunkte mit denen der Frau Gottsched
ausweisen, so finden sich solche sogar in Lessings Jugendtraum. Wenn Lessing
spater scharfen Tadel über die Lustspiele der Frau Gottsched aussprach, so
beweist das nur, wie hoch Lessing später über seinen eignen Anfängen stand,
aber es kann die Bedeutung nicht mindern, die jene Lustspiele für ihre Zeit
gehabt haben.

Als im Juni 1767, fünf Jahre nach der Dichterin Tode, die „Haus¬
französin" in Hamburg aufgeführt wurde, und Lessing in der Dramaturgie
darüber berichtete, schrieb er: „Man sagt, es sei dieses Stück zur Zeit seiner
Neuheit hier und da mit Beifall gespielt worden. Man wollte versuchen, welchen
Beifall es noch erhalten würde, und es erhielt den, den es verdient, gar keinen.
Das »Testament« von eben derselben Verfasserin ist noch so etwas, aber die
»Hausfrauzösiu« ist ganz und gar nichts. Noch weniger als nichts, denn sie
ist nicht allein niedrig und platt und kalt, sondern obendarein schmutzig, ekel
und im höchsten Grade beleidigend. Es ist mir unbegreiflich, wie eine Dame
solches Zeug schreiben können."

Lessing hat mit diesem harten Urteile der Dichterin keineswegs Unrecht
gethan. Ein neuerer Beurteiler, Johannes Crüger, nennt die Lustspiele der
Frau Gottsched „wimmelnd von den verfänglichsten Zweideutigkeiten" und fügt
hinzu: „Wenn solche Stücke der gereinigten Bühne angehörten, wie schmutzig
müssen erst diejenigen gewesen sein, die vor der Bühnenreinigung die Lachmus-
keln des deutschen Publikums in Bewegung setzten." Sehr richtig. In diesem
letzten Satze ist aber auch ein durch Frau Gottsched angebahnter Fortschritt
anerkannt. Und so sieht sich denn derselbe Beurteiler bezüglich des „Testaments"


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[0615] Frau Gottsched. Ganz freie Erfindungen waren ihre in der „Deutschen Schaubühne" ver> öffentlichem Lustspiele: „Die ungleiche Heirat," „Die Hausfrnnzösin," „Das Testament" und „Der Witzling." Das letzte war eigentlich nur ein kurzes Nachspiel, mit dem sie die Verfasser der sogenannten „Bremer Beiträge" ver¬ spotten wollte, oder wie Gottsched sagt, „worin die Selige allerley kleine Kritiken wider die Schaubühne, die damals von vielen jungen Dichtern gemachet worden, abfertigte und diesen eingebildeten Kunstrichtern glücklich das Maul stopfte." Von einer Wirkung auf dem Theater konnte bei diesem Nachspiel nicht die Rede sein. Umso öfter erschienen die drei andern Lustspiele auf der Bühne, und vorzugsweise die beiden erstgenannten. Heutzutage sind Frau Gottscheds Lustspiele ungenießbar und in einzelnen Stellen abstoßend geworden, aber sie waren ihrer Zeit die ersten, die genießbar erschienen, und an Beifall hat es ihnen nicht gefehlt. Von ihnen aus geht eine ununterbrochene aufsteigende Linie bis zu den Lustspielen der Gegenwart, und in der Zeit ihres Erscheinens läßt sich ihr anregender und maßgebender Einfluß an den Lustspieldichtungen eines Elias Schlegel. Krüger, Mylius, ganz besonders aber an den Lustspielen Gellerts leicht nachweisen, und wie Gellerts Lustspiele außerordentlich viele Berührungspunkte mit denen der Frau Gottsched ausweisen, so finden sich solche sogar in Lessings Jugendtraum. Wenn Lessing spater scharfen Tadel über die Lustspiele der Frau Gottsched aussprach, so beweist das nur, wie hoch Lessing später über seinen eignen Anfängen stand, aber es kann die Bedeutung nicht mindern, die jene Lustspiele für ihre Zeit gehabt haben. Als im Juni 1767, fünf Jahre nach der Dichterin Tode, die „Haus¬ französin" in Hamburg aufgeführt wurde, und Lessing in der Dramaturgie darüber berichtete, schrieb er: „Man sagt, es sei dieses Stück zur Zeit seiner Neuheit hier und da mit Beifall gespielt worden. Man wollte versuchen, welchen Beifall es noch erhalten würde, und es erhielt den, den es verdient, gar keinen. Das »Testament« von eben derselben Verfasserin ist noch so etwas, aber die »Hausfrauzösiu« ist ganz und gar nichts. Noch weniger als nichts, denn sie ist nicht allein niedrig und platt und kalt, sondern obendarein schmutzig, ekel und im höchsten Grade beleidigend. Es ist mir unbegreiflich, wie eine Dame solches Zeug schreiben können." Lessing hat mit diesem harten Urteile der Dichterin keineswegs Unrecht gethan. Ein neuerer Beurteiler, Johannes Crüger, nennt die Lustspiele der Frau Gottsched „wimmelnd von den verfänglichsten Zweideutigkeiten" und fügt hinzu: „Wenn solche Stücke der gereinigten Bühne angehörten, wie schmutzig müssen erst diejenigen gewesen sein, die vor der Bühnenreinigung die Lachmus- keln des deutschen Publikums in Bewegung setzten." Sehr richtig. In diesem letzten Satze ist aber auch ein durch Frau Gottsched angebahnter Fortschritt anerkannt. Und so sieht sich denn derselbe Beurteiler bezüglich des „Testaments"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/615>, abgerufen am 23.07.2024.