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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Frau Gottsched.

unterzubringen, hat die Selige kurz vor ihrem Ende so aufgebracht, daß sie
ohne mein Wissen es einmal im Zorne den Flammen aufgeopfert." Wir
dürfen in diesem Vrandopfer gewiß einen Verlust für die deutsche Litteratur¬
forschung beklagen. Was Gottscheds "nötiger Vorrat zur Historie der dra¬
matischen Dichtkunst" den Litteraturforschern und Litteraturfreunden gewesen
ist, das wäre ihnen für ein andres Gebiet die "Geschichte der lyrischen Dicht¬
kunst" wahrscheinlich auch geworden. Frau Gottscheds Eifer in Durchforschung
alter, seltener Schriften hätte vielleicht im Verein mit ihrem reifen, feinsinnigen
Urteil ein Buch dargeboten, das vor dem des Gatten noch manche" Vorzug
gehabt hätte. Manchem Literarhistoriker wäre vielleicht dnrch das Buch
seine Arbeit wesentlich erleichtert, manche Mühe erspart worden, und wir ver¬
ehrten darin vielleicht noch heute Frau Gottscheds Hauptwerk.

Aber nicht nur Mitarbeiterin auf dem Gebiete der Wissenschaft war sie
ihrem Gatten, sie war auch seine Gehilfin in kleineren Dingen. So war es
u. a. ihre Aufgabe, die Bibliothek des Gatten in Ordnung zu halten und
bei den neu hinzukommenden Büchern die Rückenschilder mit zierlichen Titel¬
aufschriften zu versehen.

Für die Entwicklung der deutschen Litteratur am bedeutungsvollsten und
einflußreichsten ist ihre Mitarbeit an Gottscheds "Deutscher Schaubühne." Gott¬
scheds erst in neuerer Zeit vollkommen gewürdigte Verdienste um das deutsche
Theater bestanden zunächst darin, daß er die Nenbersche Schauspielertruppe
dahin brachte, an die Stelle der regellosen Stücke, bei denen die Schauspieler
ihre Rollen aus dem Stegreif sprachen, regelmäßige und von den Schauspielern
wörtlich eingelernte Stücke zu setzen. Er selbst sagt, daß ans seine Veranlassung
"Herr Johann Reuber angefangen, anstatt der sonst gewöhnlichen Haupt- und
Staatsaktionen, mit Harlekins Lustbarkeiten untermengt, wahrhafte Trauer¬
spiele nach Art der Alten und der neueren Franzosen aufzuführen. . . Von
der Komödie ist so viel zu merken, daß auch diese ganz von dem alten Wüste
gereiniget und so weit gebracht worden, daß man auf der Ncuberschen Bühne
weder den Harlekin, noch Scaramutz, noch die andern Narren der Welschen
mehr sieht oder nötig hat." Er beklagt sodann, daß durch die Berufung der
Ncuberschen Truppe an den kaiserlichen Hof zu Petersburg "Deutschland die
einzige kluge und wohleingerichtete Schaubühne verloren, die es in seinen
Grenzen gehabt hat," und fügt hinzu, daß er sich "entschlossen, zur Erhaltung
des guten Geschmacks und zur Aufmunterung junger Dichter eine deutsche
Schaubühne im Drucke herauszugeben." Waren also die regelmäßigen Stücke,
die Gottsched und seine Gehilfen bis jetzt teils übersetzt, teils selbständig ge¬
dichtet hatten, alleiniges Eigentum der Ncuberschen Truppe gewesen, so sollten
sie nun durch den Druck allen Schauspiclertrnppen zugänglich gemacht werden

Von 1740 bis 1745 erschienen sechs Bände, und in ihnen wurden 37
Dramen, Trauer- und Lustspiele veröffentlicht. Es waren darunter Dichtungen


Frau Gottsched.

unterzubringen, hat die Selige kurz vor ihrem Ende so aufgebracht, daß sie
ohne mein Wissen es einmal im Zorne den Flammen aufgeopfert." Wir
dürfen in diesem Vrandopfer gewiß einen Verlust für die deutsche Litteratur¬
forschung beklagen. Was Gottscheds „nötiger Vorrat zur Historie der dra¬
matischen Dichtkunst" den Litteraturforschern und Litteraturfreunden gewesen
ist, das wäre ihnen für ein andres Gebiet die „Geschichte der lyrischen Dicht¬
kunst" wahrscheinlich auch geworden. Frau Gottscheds Eifer in Durchforschung
alter, seltener Schriften hätte vielleicht im Verein mit ihrem reifen, feinsinnigen
Urteil ein Buch dargeboten, das vor dem des Gatten noch manche» Vorzug
gehabt hätte. Manchem Literarhistoriker wäre vielleicht dnrch das Buch
seine Arbeit wesentlich erleichtert, manche Mühe erspart worden, und wir ver¬
ehrten darin vielleicht noch heute Frau Gottscheds Hauptwerk.

Aber nicht nur Mitarbeiterin auf dem Gebiete der Wissenschaft war sie
ihrem Gatten, sie war auch seine Gehilfin in kleineren Dingen. So war es
u. a. ihre Aufgabe, die Bibliothek des Gatten in Ordnung zu halten und
bei den neu hinzukommenden Büchern die Rückenschilder mit zierlichen Titel¬
aufschriften zu versehen.

Für die Entwicklung der deutschen Litteratur am bedeutungsvollsten und
einflußreichsten ist ihre Mitarbeit an Gottscheds „Deutscher Schaubühne." Gott¬
scheds erst in neuerer Zeit vollkommen gewürdigte Verdienste um das deutsche
Theater bestanden zunächst darin, daß er die Nenbersche Schauspielertruppe
dahin brachte, an die Stelle der regellosen Stücke, bei denen die Schauspieler
ihre Rollen aus dem Stegreif sprachen, regelmäßige und von den Schauspielern
wörtlich eingelernte Stücke zu setzen. Er selbst sagt, daß ans seine Veranlassung
„Herr Johann Reuber angefangen, anstatt der sonst gewöhnlichen Haupt- und
Staatsaktionen, mit Harlekins Lustbarkeiten untermengt, wahrhafte Trauer¬
spiele nach Art der Alten und der neueren Franzosen aufzuführen. . . Von
der Komödie ist so viel zu merken, daß auch diese ganz von dem alten Wüste
gereiniget und so weit gebracht worden, daß man auf der Ncuberschen Bühne
weder den Harlekin, noch Scaramutz, noch die andern Narren der Welschen
mehr sieht oder nötig hat." Er beklagt sodann, daß durch die Berufung der
Ncuberschen Truppe an den kaiserlichen Hof zu Petersburg „Deutschland die
einzige kluge und wohleingerichtete Schaubühne verloren, die es in seinen
Grenzen gehabt hat," und fügt hinzu, daß er sich „entschlossen, zur Erhaltung
des guten Geschmacks und zur Aufmunterung junger Dichter eine deutsche
Schaubühne im Drucke herauszugeben." Waren also die regelmäßigen Stücke,
die Gottsched und seine Gehilfen bis jetzt teils übersetzt, teils selbständig ge¬
dichtet hatten, alleiniges Eigentum der Ncuberschen Truppe gewesen, so sollten
sie nun durch den Druck allen Schauspiclertrnppen zugänglich gemacht werden

Von 1740 bis 1745 erschienen sechs Bände, und in ihnen wurden 37
Dramen, Trauer- und Lustspiele veröffentlicht. Es waren darunter Dichtungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/613>, abgerufen am 23.07.2024.