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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Lrau Gottsched.

Wochenschriften, des "Zuschauers" (Lxsetawr) und des "Aufsehers" (SnMäikm).
Addisons Kxsvt^lor, der von Gottsched in seinen "Vernünftigen Tadlerinnen"
und dann in unzähligen andern moralischen Wochenschriften nachgeahmt wurde,
der damals das Lesebuch aller derer war, die Englisch verstanden, den Frau
Gottsched schon im Elternhause mit großem Vergnügen gelesen und der auf
ihre ganze Richtung wesentlichen Einfluß erlangt hatte, erscheint uns jetzt unbe¬
deutend; aber gerade der Mangel an Tiefe, der seine Ausführungen kennzeichnet,
gerade der Umstand, daß er nur den gesunden Menschenverstand allen Thor¬
heiten und Zierereien gegenüber in seine Rechte einsetzt, gerade das hat ihm
seinen unermeßlichen Einfluß auf die Menschen und namentlich auch auf die
Frauen des achtzehnten Jahrhunderts gesichert, das moralisirende Element in
Frau Gottscheds Schriften und ihre hausbackene, aber liebenswürdige Komik
haben ihren Grund vorzugsweise im LxöotÄtor und im (?ug.rann.

Die Übersetzung des (AuaräiW lieferte Frau Gottsched allein in der kurzeu
Zeit vom Herbst 1744 bis zum Frühjahr 1745. Die Arbeit am Kxkvwtor
war anfangs so verteilt, daß von je drei Stücken desselben allemal eins Frau
Gottsched, das andre ihr Gatte und das dritte ein ungenannter Freund über^
setzen sollte. Gottsched war aber gewöhnlich nicht fertig, wenn wieder Manuskript
an die Druckerei abgeliefert werden sollte, und dann mußte immer seine fleißige
Gattin für ihn eintreten. Er schreibt selbst: "So oft es mir an Muße fehlte,
mein Stück zu liefern, übernahm sie dasselbe an meiner Stelle. So hat ihr
denn wirklich unser Vaterland den größten Teil des verdeutschten Zuschauers
zu danken."

Aus dem Englischen übersetzte Frau Gottsched auch Addisons Trauerspiel
"Cato", das ihr Gatte später neben dem französischen Stücke von Deschamps
zu seinem "Sterbenden Cato" so ausgiebig benutzte, und ein komisches Epos,
den "Lockenraub" von Pope. Es ist ein sprechendes Zeugnis für die damaligen
Zustände des deutschen Buchhandels, daß Frau Gottsched den Urtext des
letztern Werkes lange Zeit nicht erhalten konnte. Sie entschloß sich daher zur
Übertragung einer ihr allein zugänglichen französischen Übersetzung. Während
der Arbeit aber kam ihr mancher Zweifel an der Zuverlässigkeit des französischen
Übersetzers, und sie fuhr in ihrer Arbeit nicht weiter fort Als es ihr endlich
nach vielen Mühen gelungen war, ein englisches Exemplar zu erlangen, fand
sie ihre Befürchtungen vollauf bestätigt. Rasch entschlossen, begann sie eine
neue Übersetzung, bei deren Herausgabe sie in der Vorrede mit dem französischen
Übersetzer sehr streng ins Gericht ging. Man merkt in dieser Vorrede,
wie wenig gut Frau Gottsched auf die Franzosen überhaupt zu sprechen war,
und namentlich richten sich ihr Eifer und ihr scharfer Witz gegen die an Fried¬
richs des Großen Hofe lebenden Franzosen. So schreibt sie u. a.: "Vielleicht
wird mein Eifer gegen den gewissenlosen französischen Übersetzer des Locken¬
raubes, so klein er auch ist, einigen Herren wieder zu stark vorkommen, die,


Lrau Gottsched.

Wochenschriften, des „Zuschauers" (Lxsetawr) und des „Aufsehers" (SnMäikm).
Addisons Kxsvt^lor, der von Gottsched in seinen „Vernünftigen Tadlerinnen"
und dann in unzähligen andern moralischen Wochenschriften nachgeahmt wurde,
der damals das Lesebuch aller derer war, die Englisch verstanden, den Frau
Gottsched schon im Elternhause mit großem Vergnügen gelesen und der auf
ihre ganze Richtung wesentlichen Einfluß erlangt hatte, erscheint uns jetzt unbe¬
deutend; aber gerade der Mangel an Tiefe, der seine Ausführungen kennzeichnet,
gerade der Umstand, daß er nur den gesunden Menschenverstand allen Thor¬
heiten und Zierereien gegenüber in seine Rechte einsetzt, gerade das hat ihm
seinen unermeßlichen Einfluß auf die Menschen und namentlich auch auf die
Frauen des achtzehnten Jahrhunderts gesichert, das moralisirende Element in
Frau Gottscheds Schriften und ihre hausbackene, aber liebenswürdige Komik
haben ihren Grund vorzugsweise im LxöotÄtor und im (?ug.rann.

Die Übersetzung des (AuaräiW lieferte Frau Gottsched allein in der kurzeu
Zeit vom Herbst 1744 bis zum Frühjahr 1745. Die Arbeit am Kxkvwtor
war anfangs so verteilt, daß von je drei Stücken desselben allemal eins Frau
Gottsched, das andre ihr Gatte und das dritte ein ungenannter Freund über^
setzen sollte. Gottsched war aber gewöhnlich nicht fertig, wenn wieder Manuskript
an die Druckerei abgeliefert werden sollte, und dann mußte immer seine fleißige
Gattin für ihn eintreten. Er schreibt selbst: „So oft es mir an Muße fehlte,
mein Stück zu liefern, übernahm sie dasselbe an meiner Stelle. So hat ihr
denn wirklich unser Vaterland den größten Teil des verdeutschten Zuschauers
zu danken."

Aus dem Englischen übersetzte Frau Gottsched auch Addisons Trauerspiel
„Cato", das ihr Gatte später neben dem französischen Stücke von Deschamps
zu seinem „Sterbenden Cato" so ausgiebig benutzte, und ein komisches Epos,
den „Lockenraub" von Pope. Es ist ein sprechendes Zeugnis für die damaligen
Zustände des deutschen Buchhandels, daß Frau Gottsched den Urtext des
letztern Werkes lange Zeit nicht erhalten konnte. Sie entschloß sich daher zur
Übertragung einer ihr allein zugänglichen französischen Übersetzung. Während
der Arbeit aber kam ihr mancher Zweifel an der Zuverlässigkeit des französischen
Übersetzers, und sie fuhr in ihrer Arbeit nicht weiter fort Als es ihr endlich
nach vielen Mühen gelungen war, ein englisches Exemplar zu erlangen, fand
sie ihre Befürchtungen vollauf bestätigt. Rasch entschlossen, begann sie eine
neue Übersetzung, bei deren Herausgabe sie in der Vorrede mit dem französischen
Übersetzer sehr streng ins Gericht ging. Man merkt in dieser Vorrede,
wie wenig gut Frau Gottsched auf die Franzosen überhaupt zu sprechen war,
und namentlich richten sich ihr Eifer und ihr scharfer Witz gegen die an Fried¬
richs des Großen Hofe lebenden Franzosen. So schreibt sie u. a.: „Vielleicht
wird mein Eifer gegen den gewissenlosen französischen Übersetzer des Locken¬
raubes, so klein er auch ist, einigen Herren wieder zu stark vorkommen, die,


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[0610] Lrau Gottsched. Wochenschriften, des „Zuschauers" (Lxsetawr) und des „Aufsehers" (SnMäikm). Addisons Kxsvt^lor, der von Gottsched in seinen „Vernünftigen Tadlerinnen" und dann in unzähligen andern moralischen Wochenschriften nachgeahmt wurde, der damals das Lesebuch aller derer war, die Englisch verstanden, den Frau Gottsched schon im Elternhause mit großem Vergnügen gelesen und der auf ihre ganze Richtung wesentlichen Einfluß erlangt hatte, erscheint uns jetzt unbe¬ deutend; aber gerade der Mangel an Tiefe, der seine Ausführungen kennzeichnet, gerade der Umstand, daß er nur den gesunden Menschenverstand allen Thor¬ heiten und Zierereien gegenüber in seine Rechte einsetzt, gerade das hat ihm seinen unermeßlichen Einfluß auf die Menschen und namentlich auch auf die Frauen des achtzehnten Jahrhunderts gesichert, das moralisirende Element in Frau Gottscheds Schriften und ihre hausbackene, aber liebenswürdige Komik haben ihren Grund vorzugsweise im LxöotÄtor und im (?ug.rann. Die Übersetzung des (AuaräiW lieferte Frau Gottsched allein in der kurzeu Zeit vom Herbst 1744 bis zum Frühjahr 1745. Die Arbeit am Kxkvwtor war anfangs so verteilt, daß von je drei Stücken desselben allemal eins Frau Gottsched, das andre ihr Gatte und das dritte ein ungenannter Freund über^ setzen sollte. Gottsched war aber gewöhnlich nicht fertig, wenn wieder Manuskript an die Druckerei abgeliefert werden sollte, und dann mußte immer seine fleißige Gattin für ihn eintreten. Er schreibt selbst: „So oft es mir an Muße fehlte, mein Stück zu liefern, übernahm sie dasselbe an meiner Stelle. So hat ihr denn wirklich unser Vaterland den größten Teil des verdeutschten Zuschauers zu danken." Aus dem Englischen übersetzte Frau Gottsched auch Addisons Trauerspiel „Cato", das ihr Gatte später neben dem französischen Stücke von Deschamps zu seinem „Sterbenden Cato" so ausgiebig benutzte, und ein komisches Epos, den „Lockenraub" von Pope. Es ist ein sprechendes Zeugnis für die damaligen Zustände des deutschen Buchhandels, daß Frau Gottsched den Urtext des letztern Werkes lange Zeit nicht erhalten konnte. Sie entschloß sich daher zur Übertragung einer ihr allein zugänglichen französischen Übersetzung. Während der Arbeit aber kam ihr mancher Zweifel an der Zuverlässigkeit des französischen Übersetzers, und sie fuhr in ihrer Arbeit nicht weiter fort Als es ihr endlich nach vielen Mühen gelungen war, ein englisches Exemplar zu erlangen, fand sie ihre Befürchtungen vollauf bestätigt. Rasch entschlossen, begann sie eine neue Übersetzung, bei deren Herausgabe sie in der Vorrede mit dem französischen Übersetzer sehr streng ins Gericht ging. Man merkt in dieser Vorrede, wie wenig gut Frau Gottsched auf die Franzosen überhaupt zu sprechen war, und namentlich richten sich ihr Eifer und ihr scharfer Witz gegen die an Fried¬ richs des Großen Hofe lebenden Franzosen. So schreibt sie u. a.: „Vielleicht wird mein Eifer gegen den gewissenlosen französischen Übersetzer des Locken¬ raubes, so klein er auch ist, einigen Herren wieder zu stark vorkommen, die,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/610>, abgerufen am 23.07.2024.