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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Frau Gottsched,

vermissen gewesen sind. Frau Gottsched war nicht nur eine geistreiche Schrift¬
stellerin, sondern auch eine ehrsame, bescheidene, echt deutsche Hausfrau,

Luise Adelgunde Viktoria Gottsched war die am 11. April 1713 zu Danzig
geborne Tochter des königlich polnischen Leibarztes Dr. Johann Georg Kulmus.
Das neugeborne Kind hatte einen auffallend großen Kopf, und die Gevattern
und Muhmen behaupteten, es sei ein "Poetenkasten," eine Weissagung, die später
nicht unbestätigt blieb.

Adelgunde -- mit diesem Namen, den sie nach der Sitte der Zeit von der
Großmutter erhalten hatte, wurde das Mädchen meist gerufen -- zeigte sich
bald als ein geistig gewecktes Kind, und die Mutter, die selber eine große Lieb¬
haberin der schönen Wissenschaften war, ließ es daher ihre vornehmste Aufgabe
sein, die Anlagen ihres Kindes auszubilden.

Wie es damals in den bessern Familien Sitte war, lehrte die Mutter
ihre Tochter schon von frühester Kindheit an das Französische. Als die Tochter
deutsch lesen und schreiben und französisch sprechen und lesen konnte, erhielt sie
Privatunterricht in den Regeln des deutschen Stils und im Englischen, das in
den norddeutschen Seestädten meist neben dem Französischen, zuweilen sogar in
noch höherm Grade als dieses zur feinern Bildung gehörte. Um die Tochter
auch im Schreiben des Französischen zu üben, gab ihr die Mutter oft viele
Seiten aus französischen Büchern abzuschreiben. Natürlich erhielt Adelgunde
auch Unterricht in der Religion. Diese wurde im Hause erteilt, doch mußte
sie vom achten bis zum zwölften Jahre auch allsonntägig die öffentlichen
Katechisationen besuchen, die von den Geistlichen der Se. Johanniskirche ge¬
halten wurden. Es wird berichtet, daß sie dort selbst den Knaben oft als ein
Beispiel des Fleißes vorgestellt worden sei, und daß man sich über die "Hurtig¬
keit" ihres Geistes gewundert habe.

Auch Musik wurde zeitig getrieben. Vater und Mutter liebten sie, und
oft wurden kleine musikalische Abende veranstaltet, in denen Freunde des Hauses
mitwirkten. Der Vater spielte selbst die Laute, die Mutter das Klavier. Auf
dem Klavier erhielt auch die Tochter regelmäßigen Unterricht, während für den
Unterricht auf der Laute nur einige Monate lang ein Lehrer zu haben war,
der dem Mädchen kaum mehr als die Namen der Saiten und etliche Griffe
beibringen konnte. Doch genügte das der fleißigen Schülerin, sie half sich selbst
weiter fort, sah sich von einem Freunde des Vaters, der bei den musikalischen
Abendunterhaltungen die Laute spielte, manches ab und ließ sich von ihm mit
leichten Stücken versehen, die sie ebenso selbst abschrieb, wie alle die Noten,
deren sie zum Klavierspielen bedürfte. Sie brachte es nach und nach auf der
Laute zu einer solchen Fertigkeit, daß sie auch schwerere Stücke vom Blatte
spielen konnte.

In ganz verständiger Weise hielt aber die Mutter darauf, daß die Zeit
nicht allein durch Lesen, Übersetzen und Musiziren ausgefüllt wurde. Die


Frau Gottsched,

vermissen gewesen sind. Frau Gottsched war nicht nur eine geistreiche Schrift¬
stellerin, sondern auch eine ehrsame, bescheidene, echt deutsche Hausfrau,

Luise Adelgunde Viktoria Gottsched war die am 11. April 1713 zu Danzig
geborne Tochter des königlich polnischen Leibarztes Dr. Johann Georg Kulmus.
Das neugeborne Kind hatte einen auffallend großen Kopf, und die Gevattern
und Muhmen behaupteten, es sei ein „Poetenkasten," eine Weissagung, die später
nicht unbestätigt blieb.

Adelgunde — mit diesem Namen, den sie nach der Sitte der Zeit von der
Großmutter erhalten hatte, wurde das Mädchen meist gerufen — zeigte sich
bald als ein geistig gewecktes Kind, und die Mutter, die selber eine große Lieb¬
haberin der schönen Wissenschaften war, ließ es daher ihre vornehmste Aufgabe
sein, die Anlagen ihres Kindes auszubilden.

Wie es damals in den bessern Familien Sitte war, lehrte die Mutter
ihre Tochter schon von frühester Kindheit an das Französische. Als die Tochter
deutsch lesen und schreiben und französisch sprechen und lesen konnte, erhielt sie
Privatunterricht in den Regeln des deutschen Stils und im Englischen, das in
den norddeutschen Seestädten meist neben dem Französischen, zuweilen sogar in
noch höherm Grade als dieses zur feinern Bildung gehörte. Um die Tochter
auch im Schreiben des Französischen zu üben, gab ihr die Mutter oft viele
Seiten aus französischen Büchern abzuschreiben. Natürlich erhielt Adelgunde
auch Unterricht in der Religion. Diese wurde im Hause erteilt, doch mußte
sie vom achten bis zum zwölften Jahre auch allsonntägig die öffentlichen
Katechisationen besuchen, die von den Geistlichen der Se. Johanniskirche ge¬
halten wurden. Es wird berichtet, daß sie dort selbst den Knaben oft als ein
Beispiel des Fleißes vorgestellt worden sei, und daß man sich über die „Hurtig¬
keit" ihres Geistes gewundert habe.

Auch Musik wurde zeitig getrieben. Vater und Mutter liebten sie, und
oft wurden kleine musikalische Abende veranstaltet, in denen Freunde des Hauses
mitwirkten. Der Vater spielte selbst die Laute, die Mutter das Klavier. Auf
dem Klavier erhielt auch die Tochter regelmäßigen Unterricht, während für den
Unterricht auf der Laute nur einige Monate lang ein Lehrer zu haben war,
der dem Mädchen kaum mehr als die Namen der Saiten und etliche Griffe
beibringen konnte. Doch genügte das der fleißigen Schülerin, sie half sich selbst
weiter fort, sah sich von einem Freunde des Vaters, der bei den musikalischen
Abendunterhaltungen die Laute spielte, manches ab und ließ sich von ihm mit
leichten Stücken versehen, die sie ebenso selbst abschrieb, wie alle die Noten,
deren sie zum Klavierspielen bedürfte. Sie brachte es nach und nach auf der
Laute zu einer solchen Fertigkeit, daß sie auch schwerere Stücke vom Blatte
spielen konnte.

In ganz verständiger Weise hielt aber die Mutter darauf, daß die Zeit
nicht allein durch Lesen, Übersetzen und Musiziren ausgefüllt wurde. Die


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[0603] Frau Gottsched, vermissen gewesen sind. Frau Gottsched war nicht nur eine geistreiche Schrift¬ stellerin, sondern auch eine ehrsame, bescheidene, echt deutsche Hausfrau, Luise Adelgunde Viktoria Gottsched war die am 11. April 1713 zu Danzig geborne Tochter des königlich polnischen Leibarztes Dr. Johann Georg Kulmus. Das neugeborne Kind hatte einen auffallend großen Kopf, und die Gevattern und Muhmen behaupteten, es sei ein „Poetenkasten," eine Weissagung, die später nicht unbestätigt blieb. Adelgunde — mit diesem Namen, den sie nach der Sitte der Zeit von der Großmutter erhalten hatte, wurde das Mädchen meist gerufen — zeigte sich bald als ein geistig gewecktes Kind, und die Mutter, die selber eine große Lieb¬ haberin der schönen Wissenschaften war, ließ es daher ihre vornehmste Aufgabe sein, die Anlagen ihres Kindes auszubilden. Wie es damals in den bessern Familien Sitte war, lehrte die Mutter ihre Tochter schon von frühester Kindheit an das Französische. Als die Tochter deutsch lesen und schreiben und französisch sprechen und lesen konnte, erhielt sie Privatunterricht in den Regeln des deutschen Stils und im Englischen, das in den norddeutschen Seestädten meist neben dem Französischen, zuweilen sogar in noch höherm Grade als dieses zur feinern Bildung gehörte. Um die Tochter auch im Schreiben des Französischen zu üben, gab ihr die Mutter oft viele Seiten aus französischen Büchern abzuschreiben. Natürlich erhielt Adelgunde auch Unterricht in der Religion. Diese wurde im Hause erteilt, doch mußte sie vom achten bis zum zwölften Jahre auch allsonntägig die öffentlichen Katechisationen besuchen, die von den Geistlichen der Se. Johanniskirche ge¬ halten wurden. Es wird berichtet, daß sie dort selbst den Knaben oft als ein Beispiel des Fleißes vorgestellt worden sei, und daß man sich über die „Hurtig¬ keit" ihres Geistes gewundert habe. Auch Musik wurde zeitig getrieben. Vater und Mutter liebten sie, und oft wurden kleine musikalische Abende veranstaltet, in denen Freunde des Hauses mitwirkten. Der Vater spielte selbst die Laute, die Mutter das Klavier. Auf dem Klavier erhielt auch die Tochter regelmäßigen Unterricht, während für den Unterricht auf der Laute nur einige Monate lang ein Lehrer zu haben war, der dem Mädchen kaum mehr als die Namen der Saiten und etliche Griffe beibringen konnte. Doch genügte das der fleißigen Schülerin, sie half sich selbst weiter fort, sah sich von einem Freunde des Vaters, der bei den musikalischen Abendunterhaltungen die Laute spielte, manches ab und ließ sich von ihm mit leichten Stücken versehen, die sie ebenso selbst abschrieb, wie alle die Noten, deren sie zum Klavierspielen bedürfte. Sie brachte es nach und nach auf der Laute zu einer solchen Fertigkeit, daß sie auch schwerere Stücke vom Blatte spielen konnte. In ganz verständiger Weise hielt aber die Mutter darauf, daß die Zeit nicht allein durch Lesen, Übersetzen und Musiziren ausgefüllt wurde. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/603>, abgerufen am 22.07.2024.