Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur landwirtschaftlichen Notlage.

neue Besitzer oder Pächter dazu gelangt, sich ein sicheres Urteil über die beste
Nutzbarmachung seines Landes für die verschiednen Feldfrüchte bei den so
mannichfachen klimatischen Verhältnissen zu beschaffen. Gewöhnlich ist deshalb
bei den Pachtungen, mit der mühselig zu einer gewissen Blüte gebrachten Kultur,
die Zeit herangekommen, wo der Wechsel wieder eintritt und der alte Pächter,
oft selbst bei gutem Willen und nach bestem Vornehmen, aus seiner mühsam
aufgebauten Unternehmung herausgedrängt wird. An dem verschiedensten Ein¬
flüsse von Thorheit, Unverstand und Besserwissenwollen, selbst von Mißgunst
und Habsucht, fehlt es dabei nicht. Dann bricht vieles Gute rettungslos zu¬
sammen, namentlich aber, was gerade den Volksfreund so schmerzlich berührt,
alles das, was man sich in seinem Gesinde, seinen Arbeitern und seinem per¬
sönlichen Hilfspersonal unter mancherlei Selbstverleugnung herangezogen hat.
Das geht wie das gewöhnliche Gutsinventar wieder hinaus ins Weite, sinkt
auf tiefere Stufen hinab und verkommt vielfach.

Es ist unfaßbar, daß die nicht hoch genug zu schätzende monarchische
Staatsidee sich nicht thatkräftig gegen den Wechsel im Gutsbesitz, namentlich
gegen das immer mehr um sich greifende Verpachtmigssystem wendet. Wo der
Grund und Boden, seine Bewirtschaftung und seine Bevölkerung des ganzen
Staates sicherste Grundlage ausmacht, sollte man meinen, daß für deren Ver¬
fassung die eingehendste und allgemeinste Berücksichtigung obwalten müßte. Es
ist doch keine Kleinigkeit, wenn der Teil der staatlichen Bevölkerung, den das
konservative Element sein eigen nennen sollte, in einem steten Wechsel hin- und
hergeschleudert wird, wie das die notgedrungene Folge eines Verpachtungs¬
systems auf kurze Zeitfristen und zum alleinigen Zwecke des höchsten Gelder¬
trages ist. Der Staat, der einen so hohen Wert auf die Schaffung eines
seßhaften Bauernstandes legt, müßte so viel als möglich dagegen eintreten,
umso mehr, als selbst auch der wirkliche Gutsertrag hierbei geschmälert wird.

Bei den kurzen achtzehnjährigen Pachtfristen kommt der vierte Teil dieser
Jahre nicht zu seiner vollen Ausnutzung. Der abgehende oder nur in seinem
Verbleiben schon unsichere alte Pächter wird in den letzten zwei Jahren seiner
Pachtzeit nicht mehr so thatkräftig wirtschaften wie in dem frühern Zeitraume;
er wird z. B. schon trachten, sein angelegtes Düngerkapital möglichst heraus¬
zuziehen; daher denn auch die neue Pachtperiode mit einem auf mindestens
die gleiche Zeit stark verminderten Ertrage anfängt. Pächter und VerPächter,
schließlich aber auch das gesamte Volk, haben infolge dieser Verkümmerung
von möglichen Ernteergebnissen sichern Nachteil.

Dieses Mißverhältnis war denn auch der Grund, daß bis in die neuere
Zeit herein die Pachtungen in ihrer Rente niedriger standen als der feste Besitz.
Jetzt dagegen, wo der Eigentümer den Vorteil eines erheblich niedrigeren Zinses
seiner Hypvthekenschuld genießt, den er gegen früher auf reichlich ein Prozent


Zur landwirtschaftlichen Notlage.

neue Besitzer oder Pächter dazu gelangt, sich ein sicheres Urteil über die beste
Nutzbarmachung seines Landes für die verschiednen Feldfrüchte bei den so
mannichfachen klimatischen Verhältnissen zu beschaffen. Gewöhnlich ist deshalb
bei den Pachtungen, mit der mühselig zu einer gewissen Blüte gebrachten Kultur,
die Zeit herangekommen, wo der Wechsel wieder eintritt und der alte Pächter,
oft selbst bei gutem Willen und nach bestem Vornehmen, aus seiner mühsam
aufgebauten Unternehmung herausgedrängt wird. An dem verschiedensten Ein¬
flüsse von Thorheit, Unverstand und Besserwissenwollen, selbst von Mißgunst
und Habsucht, fehlt es dabei nicht. Dann bricht vieles Gute rettungslos zu¬
sammen, namentlich aber, was gerade den Volksfreund so schmerzlich berührt,
alles das, was man sich in seinem Gesinde, seinen Arbeitern und seinem per¬
sönlichen Hilfspersonal unter mancherlei Selbstverleugnung herangezogen hat.
Das geht wie das gewöhnliche Gutsinventar wieder hinaus ins Weite, sinkt
auf tiefere Stufen hinab und verkommt vielfach.

Es ist unfaßbar, daß die nicht hoch genug zu schätzende monarchische
Staatsidee sich nicht thatkräftig gegen den Wechsel im Gutsbesitz, namentlich
gegen das immer mehr um sich greifende Verpachtmigssystem wendet. Wo der
Grund und Boden, seine Bewirtschaftung und seine Bevölkerung des ganzen
Staates sicherste Grundlage ausmacht, sollte man meinen, daß für deren Ver¬
fassung die eingehendste und allgemeinste Berücksichtigung obwalten müßte. Es
ist doch keine Kleinigkeit, wenn der Teil der staatlichen Bevölkerung, den das
konservative Element sein eigen nennen sollte, in einem steten Wechsel hin- und
hergeschleudert wird, wie das die notgedrungene Folge eines Verpachtungs¬
systems auf kurze Zeitfristen und zum alleinigen Zwecke des höchsten Gelder¬
trages ist. Der Staat, der einen so hohen Wert auf die Schaffung eines
seßhaften Bauernstandes legt, müßte so viel als möglich dagegen eintreten,
umso mehr, als selbst auch der wirkliche Gutsertrag hierbei geschmälert wird.

Bei den kurzen achtzehnjährigen Pachtfristen kommt der vierte Teil dieser
Jahre nicht zu seiner vollen Ausnutzung. Der abgehende oder nur in seinem
Verbleiben schon unsichere alte Pächter wird in den letzten zwei Jahren seiner
Pachtzeit nicht mehr so thatkräftig wirtschaften wie in dem frühern Zeitraume;
er wird z. B. schon trachten, sein angelegtes Düngerkapital möglichst heraus¬
zuziehen; daher denn auch die neue Pachtperiode mit einem auf mindestens
die gleiche Zeit stark verminderten Ertrage anfängt. Pächter und VerPächter,
schließlich aber auch das gesamte Volk, haben infolge dieser Verkümmerung
von möglichen Ernteergebnissen sichern Nachteil.

Dieses Mißverhältnis war denn auch der Grund, daß bis in die neuere
Zeit herein die Pachtungen in ihrer Rente niedriger standen als der feste Besitz.
Jetzt dagegen, wo der Eigentümer den Vorteil eines erheblich niedrigeren Zinses
seiner Hypvthekenschuld genießt, den er gegen früher auf reichlich ein Prozent


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0596" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289719"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur landwirtschaftlichen Notlage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2011" prev="#ID_2010"> neue Besitzer oder Pächter dazu gelangt, sich ein sicheres Urteil über die beste<lb/>
Nutzbarmachung seines Landes für die verschiednen Feldfrüchte bei den so<lb/>
mannichfachen klimatischen Verhältnissen zu beschaffen. Gewöhnlich ist deshalb<lb/>
bei den Pachtungen, mit der mühselig zu einer gewissen Blüte gebrachten Kultur,<lb/>
die Zeit herangekommen, wo der Wechsel wieder eintritt und der alte Pächter,<lb/>
oft selbst bei gutem Willen und nach bestem Vornehmen, aus seiner mühsam<lb/>
aufgebauten Unternehmung herausgedrängt wird. An dem verschiedensten Ein¬<lb/>
flüsse von Thorheit, Unverstand und Besserwissenwollen, selbst von Mißgunst<lb/>
und Habsucht, fehlt es dabei nicht. Dann bricht vieles Gute rettungslos zu¬<lb/>
sammen, namentlich aber, was gerade den Volksfreund so schmerzlich berührt,<lb/>
alles das, was man sich in seinem Gesinde, seinen Arbeitern und seinem per¬<lb/>
sönlichen Hilfspersonal unter mancherlei Selbstverleugnung herangezogen hat.<lb/>
Das geht wie das gewöhnliche Gutsinventar wieder hinaus ins Weite, sinkt<lb/>
auf tiefere Stufen hinab und verkommt vielfach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2012"> Es ist unfaßbar, daß die nicht hoch genug zu schätzende monarchische<lb/>
Staatsidee sich nicht thatkräftig gegen den Wechsel im Gutsbesitz, namentlich<lb/>
gegen das immer mehr um sich greifende Verpachtmigssystem wendet. Wo der<lb/>
Grund und Boden, seine Bewirtschaftung und seine Bevölkerung des ganzen<lb/>
Staates sicherste Grundlage ausmacht, sollte man meinen, daß für deren Ver¬<lb/>
fassung die eingehendste und allgemeinste Berücksichtigung obwalten müßte. Es<lb/>
ist doch keine Kleinigkeit, wenn der Teil der staatlichen Bevölkerung, den das<lb/>
konservative Element sein eigen nennen sollte, in einem steten Wechsel hin- und<lb/>
hergeschleudert wird, wie das die notgedrungene Folge eines Verpachtungs¬<lb/>
systems auf kurze Zeitfristen und zum alleinigen Zwecke des höchsten Gelder¬<lb/>
trages ist. Der Staat, der einen so hohen Wert auf die Schaffung eines<lb/>
seßhaften Bauernstandes legt, müßte so viel als möglich dagegen eintreten,<lb/>
umso mehr, als selbst auch der wirkliche Gutsertrag hierbei geschmälert wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2013"> Bei den kurzen achtzehnjährigen Pachtfristen kommt der vierte Teil dieser<lb/>
Jahre nicht zu seiner vollen Ausnutzung. Der abgehende oder nur in seinem<lb/>
Verbleiben schon unsichere alte Pächter wird in den letzten zwei Jahren seiner<lb/>
Pachtzeit nicht mehr so thatkräftig wirtschaften wie in dem frühern Zeitraume;<lb/>
er wird z. B. schon trachten, sein angelegtes Düngerkapital möglichst heraus¬<lb/>
zuziehen; daher denn auch die neue Pachtperiode mit einem auf mindestens<lb/>
die gleiche Zeit stark verminderten Ertrage anfängt. Pächter und VerPächter,<lb/>
schließlich aber auch das gesamte Volk, haben infolge dieser Verkümmerung<lb/>
von möglichen Ernteergebnissen sichern Nachteil.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2014" next="#ID_2015"> Dieses Mißverhältnis war denn auch der Grund, daß bis in die neuere<lb/>
Zeit herein die Pachtungen in ihrer Rente niedriger standen als der feste Besitz.<lb/>
Jetzt dagegen, wo der Eigentümer den Vorteil eines erheblich niedrigeren Zinses<lb/>
seiner Hypvthekenschuld genießt, den er gegen früher auf reichlich ein Prozent</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0596] Zur landwirtschaftlichen Notlage. neue Besitzer oder Pächter dazu gelangt, sich ein sicheres Urteil über die beste Nutzbarmachung seines Landes für die verschiednen Feldfrüchte bei den so mannichfachen klimatischen Verhältnissen zu beschaffen. Gewöhnlich ist deshalb bei den Pachtungen, mit der mühselig zu einer gewissen Blüte gebrachten Kultur, die Zeit herangekommen, wo der Wechsel wieder eintritt und der alte Pächter, oft selbst bei gutem Willen und nach bestem Vornehmen, aus seiner mühsam aufgebauten Unternehmung herausgedrängt wird. An dem verschiedensten Ein¬ flüsse von Thorheit, Unverstand und Besserwissenwollen, selbst von Mißgunst und Habsucht, fehlt es dabei nicht. Dann bricht vieles Gute rettungslos zu¬ sammen, namentlich aber, was gerade den Volksfreund so schmerzlich berührt, alles das, was man sich in seinem Gesinde, seinen Arbeitern und seinem per¬ sönlichen Hilfspersonal unter mancherlei Selbstverleugnung herangezogen hat. Das geht wie das gewöhnliche Gutsinventar wieder hinaus ins Weite, sinkt auf tiefere Stufen hinab und verkommt vielfach. Es ist unfaßbar, daß die nicht hoch genug zu schätzende monarchische Staatsidee sich nicht thatkräftig gegen den Wechsel im Gutsbesitz, namentlich gegen das immer mehr um sich greifende Verpachtmigssystem wendet. Wo der Grund und Boden, seine Bewirtschaftung und seine Bevölkerung des ganzen Staates sicherste Grundlage ausmacht, sollte man meinen, daß für deren Ver¬ fassung die eingehendste und allgemeinste Berücksichtigung obwalten müßte. Es ist doch keine Kleinigkeit, wenn der Teil der staatlichen Bevölkerung, den das konservative Element sein eigen nennen sollte, in einem steten Wechsel hin- und hergeschleudert wird, wie das die notgedrungene Folge eines Verpachtungs¬ systems auf kurze Zeitfristen und zum alleinigen Zwecke des höchsten Gelder¬ trages ist. Der Staat, der einen so hohen Wert auf die Schaffung eines seßhaften Bauernstandes legt, müßte so viel als möglich dagegen eintreten, umso mehr, als selbst auch der wirkliche Gutsertrag hierbei geschmälert wird. Bei den kurzen achtzehnjährigen Pachtfristen kommt der vierte Teil dieser Jahre nicht zu seiner vollen Ausnutzung. Der abgehende oder nur in seinem Verbleiben schon unsichere alte Pächter wird in den letzten zwei Jahren seiner Pachtzeit nicht mehr so thatkräftig wirtschaften wie in dem frühern Zeitraume; er wird z. B. schon trachten, sein angelegtes Düngerkapital möglichst heraus¬ zuziehen; daher denn auch die neue Pachtperiode mit einem auf mindestens die gleiche Zeit stark verminderten Ertrage anfängt. Pächter und VerPächter, schließlich aber auch das gesamte Volk, haben infolge dieser Verkümmerung von möglichen Ernteergebnissen sichern Nachteil. Dieses Mißverhältnis war denn auch der Grund, daß bis in die neuere Zeit herein die Pachtungen in ihrer Rente niedriger standen als der feste Besitz. Jetzt dagegen, wo der Eigentümer den Vorteil eines erheblich niedrigeren Zinses seiner Hypvthekenschuld genießt, den er gegen früher auf reichlich ein Prozent

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/596
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/596>, abgerufen am 22.07.2024.