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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur landwirtschaftlichen Notlage.

Sorgen in der eignen Wirtschaft schwer bedachten Landwirt. Die Polizei¬
verwaltung allein erfordert schon eine ununterbrochene Hingebung und eine dafür
ausgebildete ganz tüchtige Kraft. In der Erkenntnis seiner schwierigen Lage
und der Verantwortung, die das Ehrenamt mit sich bringt, sollte der Landwirt
dahin streben, diese Bürde loszuwerden, und zwar umsomehr, als sie sür den
größern Grundbesitzer eine ihm wohl nicht zukommende untergeordnete Stellung
herbeiführt. Eine Beteiligung und damit die gewünschte freie gemeinnützige
Thätigkeit in allgemeinen Angelegenheiten findet er, und zwar weit angemessener,
in der Kreis- und Provinzialverwaltung, und darin, wie in dem eignen Amts¬
ausschusse, ist sein Einfluß auf die ländliche Polizeiverwaltung ausreichend ge¬
wahrt. Er sollte die besondre Führung derselben anstandslos dem Staate über¬
lassen, und dieser wiederum müßte sie im allgemeinsten Interesse auf sich nehmen,
wo seine führende Hand in Friedens-, noch mehr aber in Kriegszeiten so wichtig
ist, er auch aus seinem Militärstande heraus tüchtige Kräfte hat, diese Stellen
ähnlich denen der posenschen Distriktskommissarien würdig zu besetzen. In einem
Kriegsfalle dürften die Unzuträglichkeiten unsrer heutigen ländlichen Polizei¬
verwaltung sehr verderblich werden können.

Der im Verlaufe der Zeiten mehr hervortretende Wechsel im Grundeigen¬
tum" kann von verschiednen Standpunkte ans sowohl für einen glücklichen Um¬
stand als auch für ein recht bitteres Leidwesen angesehen werden. Nach meiner
Ansicht giebt er ebenfalls eine Ursache zu der heutigen Notlage. Ich möchte
ihn mit seinen Ergebnissen denjenigen Ergebnissen gleichstellen, welche, freilich
in anderm Maßstabe, die gewaltsame Revolution gegenüber der friedlichen Re¬
form herbeiführt. Der letztern wohlthätige Folgen kommen beim befestigten
Familienbesitze und in dessen geordnetem Erbgange zu nutzbaren Austrag, wäh¬
rend der wirkliche Wechsel im Besitz und ganz vorzugsweise in der Pachtung
all das Böse im Gefolge hat, was ein plötzlicher Umsturz des Bestehenden mit
sich bringt.

An sich ist dem ländlichen Besitzwechsel eine gewisse wohlthätige Einwirkung
auf die Kultur, durch die Gewinnung einer neuen Kraft mit vielleicht mehr zu¬
sagenden Mitteln, nicht ganz abzusprechen. Da nun aber der Landbau seinen
Segen nicht in bloß vorübergehenden Erfolgen finden, sondern ihn nachhaltig
wirkend sich erringen soll, derart, daß die gesamte staatliche Gesellschaft sich auf
ihn stützen kann, so muß man wohl eine allgemeine Schädigung durch den gar
zu häufigen Besitzwechsel anerkennen. In der Landwirtschaft gehören viele
Jahre, ich möchte sagen Jahrzehnte dazu, um nennenswerte Erfolge herbei¬
zuführen. Es ist keine Möglichkeit, solche bei derartigem Wechsel zu erreichen;
noch weniger aber in den so überaus kurz bemessenen Pachtperioden. Man
denke nur an die Viehzucht. Wie viele Generationen müssen aufgezogen
werden, um nur erst zu einer gewissen Stetigkeit in der erstrebten Zucht zu
kommen! Aber auch beim Grund und Boden gehen Jahre vorüber, ehe der


Zur landwirtschaftlichen Notlage.

Sorgen in der eignen Wirtschaft schwer bedachten Landwirt. Die Polizei¬
verwaltung allein erfordert schon eine ununterbrochene Hingebung und eine dafür
ausgebildete ganz tüchtige Kraft. In der Erkenntnis seiner schwierigen Lage
und der Verantwortung, die das Ehrenamt mit sich bringt, sollte der Landwirt
dahin streben, diese Bürde loszuwerden, und zwar umsomehr, als sie sür den
größern Grundbesitzer eine ihm wohl nicht zukommende untergeordnete Stellung
herbeiführt. Eine Beteiligung und damit die gewünschte freie gemeinnützige
Thätigkeit in allgemeinen Angelegenheiten findet er, und zwar weit angemessener,
in der Kreis- und Provinzialverwaltung, und darin, wie in dem eignen Amts¬
ausschusse, ist sein Einfluß auf die ländliche Polizeiverwaltung ausreichend ge¬
wahrt. Er sollte die besondre Führung derselben anstandslos dem Staate über¬
lassen, und dieser wiederum müßte sie im allgemeinsten Interesse auf sich nehmen,
wo seine führende Hand in Friedens-, noch mehr aber in Kriegszeiten so wichtig
ist, er auch aus seinem Militärstande heraus tüchtige Kräfte hat, diese Stellen
ähnlich denen der posenschen Distriktskommissarien würdig zu besetzen. In einem
Kriegsfalle dürften die Unzuträglichkeiten unsrer heutigen ländlichen Polizei¬
verwaltung sehr verderblich werden können.

Der im Verlaufe der Zeiten mehr hervortretende Wechsel im Grundeigen¬
tum« kann von verschiednen Standpunkte ans sowohl für einen glücklichen Um¬
stand als auch für ein recht bitteres Leidwesen angesehen werden. Nach meiner
Ansicht giebt er ebenfalls eine Ursache zu der heutigen Notlage. Ich möchte
ihn mit seinen Ergebnissen denjenigen Ergebnissen gleichstellen, welche, freilich
in anderm Maßstabe, die gewaltsame Revolution gegenüber der friedlichen Re¬
form herbeiführt. Der letztern wohlthätige Folgen kommen beim befestigten
Familienbesitze und in dessen geordnetem Erbgange zu nutzbaren Austrag, wäh¬
rend der wirkliche Wechsel im Besitz und ganz vorzugsweise in der Pachtung
all das Böse im Gefolge hat, was ein plötzlicher Umsturz des Bestehenden mit
sich bringt.

An sich ist dem ländlichen Besitzwechsel eine gewisse wohlthätige Einwirkung
auf die Kultur, durch die Gewinnung einer neuen Kraft mit vielleicht mehr zu¬
sagenden Mitteln, nicht ganz abzusprechen. Da nun aber der Landbau seinen
Segen nicht in bloß vorübergehenden Erfolgen finden, sondern ihn nachhaltig
wirkend sich erringen soll, derart, daß die gesamte staatliche Gesellschaft sich auf
ihn stützen kann, so muß man wohl eine allgemeine Schädigung durch den gar
zu häufigen Besitzwechsel anerkennen. In der Landwirtschaft gehören viele
Jahre, ich möchte sagen Jahrzehnte dazu, um nennenswerte Erfolge herbei¬
zuführen. Es ist keine Möglichkeit, solche bei derartigem Wechsel zu erreichen;
noch weniger aber in den so überaus kurz bemessenen Pachtperioden. Man
denke nur an die Viehzucht. Wie viele Generationen müssen aufgezogen
werden, um nur erst zu einer gewissen Stetigkeit in der erstrebten Zucht zu
kommen! Aber auch beim Grund und Boden gehen Jahre vorüber, ehe der


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[0595] Zur landwirtschaftlichen Notlage. Sorgen in der eignen Wirtschaft schwer bedachten Landwirt. Die Polizei¬ verwaltung allein erfordert schon eine ununterbrochene Hingebung und eine dafür ausgebildete ganz tüchtige Kraft. In der Erkenntnis seiner schwierigen Lage und der Verantwortung, die das Ehrenamt mit sich bringt, sollte der Landwirt dahin streben, diese Bürde loszuwerden, und zwar umsomehr, als sie sür den größern Grundbesitzer eine ihm wohl nicht zukommende untergeordnete Stellung herbeiführt. Eine Beteiligung und damit die gewünschte freie gemeinnützige Thätigkeit in allgemeinen Angelegenheiten findet er, und zwar weit angemessener, in der Kreis- und Provinzialverwaltung, und darin, wie in dem eignen Amts¬ ausschusse, ist sein Einfluß auf die ländliche Polizeiverwaltung ausreichend ge¬ wahrt. Er sollte die besondre Führung derselben anstandslos dem Staate über¬ lassen, und dieser wiederum müßte sie im allgemeinsten Interesse auf sich nehmen, wo seine führende Hand in Friedens-, noch mehr aber in Kriegszeiten so wichtig ist, er auch aus seinem Militärstande heraus tüchtige Kräfte hat, diese Stellen ähnlich denen der posenschen Distriktskommissarien würdig zu besetzen. In einem Kriegsfalle dürften die Unzuträglichkeiten unsrer heutigen ländlichen Polizei¬ verwaltung sehr verderblich werden können. Der im Verlaufe der Zeiten mehr hervortretende Wechsel im Grundeigen¬ tum« kann von verschiednen Standpunkte ans sowohl für einen glücklichen Um¬ stand als auch für ein recht bitteres Leidwesen angesehen werden. Nach meiner Ansicht giebt er ebenfalls eine Ursache zu der heutigen Notlage. Ich möchte ihn mit seinen Ergebnissen denjenigen Ergebnissen gleichstellen, welche, freilich in anderm Maßstabe, die gewaltsame Revolution gegenüber der friedlichen Re¬ form herbeiführt. Der letztern wohlthätige Folgen kommen beim befestigten Familienbesitze und in dessen geordnetem Erbgange zu nutzbaren Austrag, wäh¬ rend der wirkliche Wechsel im Besitz und ganz vorzugsweise in der Pachtung all das Böse im Gefolge hat, was ein plötzlicher Umsturz des Bestehenden mit sich bringt. An sich ist dem ländlichen Besitzwechsel eine gewisse wohlthätige Einwirkung auf die Kultur, durch die Gewinnung einer neuen Kraft mit vielleicht mehr zu¬ sagenden Mitteln, nicht ganz abzusprechen. Da nun aber der Landbau seinen Segen nicht in bloß vorübergehenden Erfolgen finden, sondern ihn nachhaltig wirkend sich erringen soll, derart, daß die gesamte staatliche Gesellschaft sich auf ihn stützen kann, so muß man wohl eine allgemeine Schädigung durch den gar zu häufigen Besitzwechsel anerkennen. In der Landwirtschaft gehören viele Jahre, ich möchte sagen Jahrzehnte dazu, um nennenswerte Erfolge herbei¬ zuführen. Es ist keine Möglichkeit, solche bei derartigem Wechsel zu erreichen; noch weniger aber in den so überaus kurz bemessenen Pachtperioden. Man denke nur an die Viehzucht. Wie viele Generationen müssen aufgezogen werden, um nur erst zu einer gewissen Stetigkeit in der erstrebten Zucht zu kommen! Aber auch beim Grund und Boden gehen Jahre vorüber, ehe der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/595>, abgerufen am 22.07.2024.