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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulvereine.

"Deutschen Schulverein," dessen gesunde Kraft hiermit glänzend anerkannt
war. Wenn ich die wichtigsten Schöpfungen, die von unsern Gegnern zur
Abwehr ersonnen wurden, aufzählen will, muß ich gleich vorausschicken, daß über
die innere Einrichtung derselben nichts zu sagen übrig bleibt, weil sie überall
der des "Deutschen Schulvereins" nachgebildet ist. Auch der Zweck aller dieser
Vereinigungen ist mit dem einzigen Worte "Paralysirung des schädlichen, ent¬
setzlichen, ja grausamen und gottlosen Schulvereins" erschöpft, mag man nun
die genannten fürchterlichen Einflüsse von tschechischen, slovakischen, slovenischen
oder italienischen Kindern abwehren wollen.

Weitaus die wichtigste Gegenmaßregel ist die Ilsttoäiu og-tief slmlskä
in Prag, deren Gründung dem "Deutschen Schulvereine" fast auf dem Fuße
folgte. Mit einem jährlichen Aufwands von fast 200 000 Gulden unterhält sie
Gymnasien, Realschulen, Volksschulen, Kindergärten u. s. w. in allen drei Ländern
der ehemaligen Wenzelskrone (Böhmen, Mähren und Schlesien) und hat in
einer bedeutenden Anzahl von Fällen den großen Erfolg zu verzeichnen, daß
ihre Schulgründungen schon nach kurzer Zeit von den betreffenden Gemeinden
auf eigne Kosten übernommen werden mußten, wodurch bedeutende Mittel wieder
für andre "bedrohte" Punkte frei wurden. An Opferwilligkeit leuchtet das
tschechoslawische Volk dem deutschen weit voran, da es, obwohl ärmer und
minder zahlreich, fast dieselbe Höhe der Zuflüsse an Geldmitteln erreicht.
Man hat berechnet, daß 15 000 Tschechen für ihren Schulverein dasselbe
leisten wie 85 000 Deutsche in Österreich, und das Verhältnis würde noch
zehnmal ungünstiger sein, wenn Gesamtdeutschland in Rechnung käme. Die
Ursache liegt teils in der größern Thatkraft, welche den Minderheiten stets
innewohnt, teils in dem Entgegenkommen der leitenden Kreise, teils in der
ausgiebigen Teilnahme des tschechisch gewordenen Hochadels, teils aber auch in
der nie erlöschenden Liebe dieses slawischen Stammes zu seiner schönen Heimat,
einer Liebe, die sogar von Amerika herüber bedeutend einwirkt und in den be¬
kannten Wallfahrten, welche die amerikanischen Tschechen zum Prager National¬
theater unternommen haben, ihren Gipfelpunkt findet.

Ein zweiter tschechischer Schulverein, welcher den Namen des berühmten
landsmännischen Pädagogen Comenius (eigentlich Komensky) führt, hat seinen
Sitz unter den zahlreichen Böhmen in Wien und soll allmählich auch diesen die
Wohlthat eigner Nationalschulen überall zukommen lassen. Obwohl bisher
nur in dem Arbeiterviertel Favoriten eine solche Schule besteht, so ist doch auch
dieser Verein nur zu sehr geeignet, die bis dahin, wie alle Einwohner des viel¬
sprachigen Wiens, kosmopolitischen Schuster und Schneider zu fanatischen Hussiten
zu machen und auf diese Weise ein müheloses Werk der Germanisirung zu ver¬
nichten. Daneben giebt es noch Provinzialverbände nach Art des "Deutschen
Böhmerwaldbundes" oder des "Bundes der Nordmährer," von denen nicht
bloß die Schule, sondern mehr noch die materiellen Interessen der betreffenden


Die Schulvereine.

„Deutschen Schulverein," dessen gesunde Kraft hiermit glänzend anerkannt
war. Wenn ich die wichtigsten Schöpfungen, die von unsern Gegnern zur
Abwehr ersonnen wurden, aufzählen will, muß ich gleich vorausschicken, daß über
die innere Einrichtung derselben nichts zu sagen übrig bleibt, weil sie überall
der des „Deutschen Schulvereins" nachgebildet ist. Auch der Zweck aller dieser
Vereinigungen ist mit dem einzigen Worte „Paralysirung des schädlichen, ent¬
setzlichen, ja grausamen und gottlosen Schulvereins" erschöpft, mag man nun
die genannten fürchterlichen Einflüsse von tschechischen, slovakischen, slovenischen
oder italienischen Kindern abwehren wollen.

Weitaus die wichtigste Gegenmaßregel ist die Ilsttoäiu og-tief slmlskä
in Prag, deren Gründung dem „Deutschen Schulvereine" fast auf dem Fuße
folgte. Mit einem jährlichen Aufwands von fast 200 000 Gulden unterhält sie
Gymnasien, Realschulen, Volksschulen, Kindergärten u. s. w. in allen drei Ländern
der ehemaligen Wenzelskrone (Böhmen, Mähren und Schlesien) und hat in
einer bedeutenden Anzahl von Fällen den großen Erfolg zu verzeichnen, daß
ihre Schulgründungen schon nach kurzer Zeit von den betreffenden Gemeinden
auf eigne Kosten übernommen werden mußten, wodurch bedeutende Mittel wieder
für andre „bedrohte" Punkte frei wurden. An Opferwilligkeit leuchtet das
tschechoslawische Volk dem deutschen weit voran, da es, obwohl ärmer und
minder zahlreich, fast dieselbe Höhe der Zuflüsse an Geldmitteln erreicht.
Man hat berechnet, daß 15 000 Tschechen für ihren Schulverein dasselbe
leisten wie 85 000 Deutsche in Österreich, und das Verhältnis würde noch
zehnmal ungünstiger sein, wenn Gesamtdeutschland in Rechnung käme. Die
Ursache liegt teils in der größern Thatkraft, welche den Minderheiten stets
innewohnt, teils in dem Entgegenkommen der leitenden Kreise, teils in der
ausgiebigen Teilnahme des tschechisch gewordenen Hochadels, teils aber auch in
der nie erlöschenden Liebe dieses slawischen Stammes zu seiner schönen Heimat,
einer Liebe, die sogar von Amerika herüber bedeutend einwirkt und in den be¬
kannten Wallfahrten, welche die amerikanischen Tschechen zum Prager National¬
theater unternommen haben, ihren Gipfelpunkt findet.

Ein zweiter tschechischer Schulverein, welcher den Namen des berühmten
landsmännischen Pädagogen Comenius (eigentlich Komensky) führt, hat seinen
Sitz unter den zahlreichen Böhmen in Wien und soll allmählich auch diesen die
Wohlthat eigner Nationalschulen überall zukommen lassen. Obwohl bisher
nur in dem Arbeiterviertel Favoriten eine solche Schule besteht, so ist doch auch
dieser Verein nur zu sehr geeignet, die bis dahin, wie alle Einwohner des viel¬
sprachigen Wiens, kosmopolitischen Schuster und Schneider zu fanatischen Hussiten
zu machen und auf diese Weise ein müheloses Werk der Germanisirung zu ver¬
nichten. Daneben giebt es noch Provinzialverbände nach Art des „Deutschen
Böhmerwaldbundes" oder des „Bundes der Nordmährer," von denen nicht
bloß die Schule, sondern mehr noch die materiellen Interessen der betreffenden


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[0554] Die Schulvereine. „Deutschen Schulverein," dessen gesunde Kraft hiermit glänzend anerkannt war. Wenn ich die wichtigsten Schöpfungen, die von unsern Gegnern zur Abwehr ersonnen wurden, aufzählen will, muß ich gleich vorausschicken, daß über die innere Einrichtung derselben nichts zu sagen übrig bleibt, weil sie überall der des „Deutschen Schulvereins" nachgebildet ist. Auch der Zweck aller dieser Vereinigungen ist mit dem einzigen Worte „Paralysirung des schädlichen, ent¬ setzlichen, ja grausamen und gottlosen Schulvereins" erschöpft, mag man nun die genannten fürchterlichen Einflüsse von tschechischen, slovakischen, slovenischen oder italienischen Kindern abwehren wollen. Weitaus die wichtigste Gegenmaßregel ist die Ilsttoäiu og-tief slmlskä in Prag, deren Gründung dem „Deutschen Schulvereine" fast auf dem Fuße folgte. Mit einem jährlichen Aufwands von fast 200 000 Gulden unterhält sie Gymnasien, Realschulen, Volksschulen, Kindergärten u. s. w. in allen drei Ländern der ehemaligen Wenzelskrone (Böhmen, Mähren und Schlesien) und hat in einer bedeutenden Anzahl von Fällen den großen Erfolg zu verzeichnen, daß ihre Schulgründungen schon nach kurzer Zeit von den betreffenden Gemeinden auf eigne Kosten übernommen werden mußten, wodurch bedeutende Mittel wieder für andre „bedrohte" Punkte frei wurden. An Opferwilligkeit leuchtet das tschechoslawische Volk dem deutschen weit voran, da es, obwohl ärmer und minder zahlreich, fast dieselbe Höhe der Zuflüsse an Geldmitteln erreicht. Man hat berechnet, daß 15 000 Tschechen für ihren Schulverein dasselbe leisten wie 85 000 Deutsche in Österreich, und das Verhältnis würde noch zehnmal ungünstiger sein, wenn Gesamtdeutschland in Rechnung käme. Die Ursache liegt teils in der größern Thatkraft, welche den Minderheiten stets innewohnt, teils in dem Entgegenkommen der leitenden Kreise, teils in der ausgiebigen Teilnahme des tschechisch gewordenen Hochadels, teils aber auch in der nie erlöschenden Liebe dieses slawischen Stammes zu seiner schönen Heimat, einer Liebe, die sogar von Amerika herüber bedeutend einwirkt und in den be¬ kannten Wallfahrten, welche die amerikanischen Tschechen zum Prager National¬ theater unternommen haben, ihren Gipfelpunkt findet. Ein zweiter tschechischer Schulverein, welcher den Namen des berühmten landsmännischen Pädagogen Comenius (eigentlich Komensky) führt, hat seinen Sitz unter den zahlreichen Böhmen in Wien und soll allmählich auch diesen die Wohlthat eigner Nationalschulen überall zukommen lassen. Obwohl bisher nur in dem Arbeiterviertel Favoriten eine solche Schule besteht, so ist doch auch dieser Verein nur zu sehr geeignet, die bis dahin, wie alle Einwohner des viel¬ sprachigen Wiens, kosmopolitischen Schuster und Schneider zu fanatischen Hussiten zu machen und auf diese Weise ein müheloses Werk der Germanisirung zu ver¬ nichten. Daneben giebt es noch Provinzialverbände nach Art des „Deutschen Böhmerwaldbundes" oder des „Bundes der Nordmährer," von denen nicht bloß die Schule, sondern mehr noch die materiellen Interessen der betreffenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/554>, abgerufen am 24.08.2024.