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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur landwirtschaftlichen Notlage.

das Gewerbe bei Zeiten sich angelegen sein lassen. Es gewährt dafür Trost,
die gewaltigen Fortschritte zu überschauen, die der landwirtschaftliche Betrieb in
den letzte" Jahrzehnten gemacht hat, wie rüstig und emsig daran weiter gear¬
beitet wird, und welcher Ausdehnung die Produktion bei intensiver Kultur noch
fähig ist. Und gerade auf solche weitere Ausdehnung, wie auf Moorboden
und in wenig entwickelten Gebieten, kommt es für unser reichbevölkertcs Vater¬
land wesentlich an, das mit allen Mitteln billigen Kapitals und hoher In¬
telligenz aufs beste ausgestattet ist.

Ein schwerwiegendes Hindernis, das sehr deutlich eine mit der gröszern
Produktion nicht Schritt haltende Konsumkraft bekundet und damit einem gleich¬
mäßigen Fortschritte entgegensteht, ist der Niedergang in den Erträgnisse" unsrer
Viehzucht. Wenn man ins Auge faßt, wie innig ein blühender Landwirtschafts-
betrieb mit der Entwicklung der Viehzucht, insbesondre der Aufzucht und
Mästung, zusammenhängt, so ist dieser Übelstand tief beklagenswert; denn nur
eine reichliche und billige Düngerproduktion ermöglicht anch wieder auskömm¬
liche, reiche Ernte". Gehen aber die Preise für die Produkte der Viehzucht
derartig zurück, wie es in den letzten Jahren der Fall ist, dann erscheinen die
Aussichten für eine Besserung der landwirtschaftlichen Zustände sehr getrübt.
Ich mag hierbei noch gar nicht des unrettbar verloren gegangenen wichtigsten
Zweiges derselben, der Schafzucht, dieses bedeutenden Gliedes der Viehhaltung
auf leichtem Boden, besonders Erwähnung thun. Sie ist zu Grabe gegangen,
wenigstens mit ihrer Rentabilität, durch die Konkurrenz des Auslandes in der
Wollproduktion, und findet auch kein Auferstehen wegen der geringen Neigung
des deutschen Volkes für den Verbrauch von Schaffleisch. Würde der Ver¬
brauch von Schaffleisch größer sei", so wie beim Engländer, so würden wir
wenigstens auf leichtem Boden, der ganz wohl dafür geeignet ist, eine Fctt-
vder Fleischschafzucht betreiben können.

Die Hebung einer durch ihre mangelhafte Verwertung im Inlande be¬
schränkten Produktion durch den Export allein ist auf die Dauer nicht möglich;
es muß zu einer Hebung des inländischen Verbrauchs kommen. Und daß eine
solche in einem selbst bedeutenden Umfange für den Fleischverbrauch zu er¬
möglichen wäre, läßt sich bei allseitig thatkräftiger Unterstützung gewiß nicht in
Abrede stellen. Es ist eine bekannte Thatsache, daß der zur Zeit so sehr aus¬
gedehnte Zwischenhandel ganz unerhörte Vorteile in Anspruch nimmt und die
Preise, welche der Produzent löst, für den kleinen Konsumenten nahezu ver¬
doppelt. Noch mehr aber als beim Fabrikanten ist dies beim Landwirt der
Fall, dem nicht wie jenem so vielfache Hilfsmittel zur Seite stehen, die ihm
Kenntnis und Wege zur bessern Verwertung an die Hand geben. So ist es
z. B. beim Mastvieh. Welche unermeßlichen Werte bleiben da von: Ursprungs-
orte bis zum kleinen Haushalte in den Taschen der zahlreichen Mittelspersonen
zurück! Wenn des Arbeiters Hausstand das Fleisch nur annähernd zu dem


Zur landwirtschaftlichen Notlage.

das Gewerbe bei Zeiten sich angelegen sein lassen. Es gewährt dafür Trost,
die gewaltigen Fortschritte zu überschauen, die der landwirtschaftliche Betrieb in
den letzte» Jahrzehnten gemacht hat, wie rüstig und emsig daran weiter gear¬
beitet wird, und welcher Ausdehnung die Produktion bei intensiver Kultur noch
fähig ist. Und gerade auf solche weitere Ausdehnung, wie auf Moorboden
und in wenig entwickelten Gebieten, kommt es für unser reichbevölkertcs Vater¬
land wesentlich an, das mit allen Mitteln billigen Kapitals und hoher In¬
telligenz aufs beste ausgestattet ist.

Ein schwerwiegendes Hindernis, das sehr deutlich eine mit der gröszern
Produktion nicht Schritt haltende Konsumkraft bekundet und damit einem gleich¬
mäßigen Fortschritte entgegensteht, ist der Niedergang in den Erträgnisse» unsrer
Viehzucht. Wenn man ins Auge faßt, wie innig ein blühender Landwirtschafts-
betrieb mit der Entwicklung der Viehzucht, insbesondre der Aufzucht und
Mästung, zusammenhängt, so ist dieser Übelstand tief beklagenswert; denn nur
eine reichliche und billige Düngerproduktion ermöglicht anch wieder auskömm¬
liche, reiche Ernte». Gehen aber die Preise für die Produkte der Viehzucht
derartig zurück, wie es in den letzten Jahren der Fall ist, dann erscheinen die
Aussichten für eine Besserung der landwirtschaftlichen Zustände sehr getrübt.
Ich mag hierbei noch gar nicht des unrettbar verloren gegangenen wichtigsten
Zweiges derselben, der Schafzucht, dieses bedeutenden Gliedes der Viehhaltung
auf leichtem Boden, besonders Erwähnung thun. Sie ist zu Grabe gegangen,
wenigstens mit ihrer Rentabilität, durch die Konkurrenz des Auslandes in der
Wollproduktion, und findet auch kein Auferstehen wegen der geringen Neigung
des deutschen Volkes für den Verbrauch von Schaffleisch. Würde der Ver¬
brauch von Schaffleisch größer sei», so wie beim Engländer, so würden wir
wenigstens auf leichtem Boden, der ganz wohl dafür geeignet ist, eine Fctt-
vder Fleischschafzucht betreiben können.

Die Hebung einer durch ihre mangelhafte Verwertung im Inlande be¬
schränkten Produktion durch den Export allein ist auf die Dauer nicht möglich;
es muß zu einer Hebung des inländischen Verbrauchs kommen. Und daß eine
solche in einem selbst bedeutenden Umfange für den Fleischverbrauch zu er¬
möglichen wäre, läßt sich bei allseitig thatkräftiger Unterstützung gewiß nicht in
Abrede stellen. Es ist eine bekannte Thatsache, daß der zur Zeit so sehr aus¬
gedehnte Zwischenhandel ganz unerhörte Vorteile in Anspruch nimmt und die
Preise, welche der Produzent löst, für den kleinen Konsumenten nahezu ver¬
doppelt. Noch mehr aber als beim Fabrikanten ist dies beim Landwirt der
Fall, dem nicht wie jenem so vielfache Hilfsmittel zur Seite stehen, die ihm
Kenntnis und Wege zur bessern Verwertung an die Hand geben. So ist es
z. B. beim Mastvieh. Welche unermeßlichen Werte bleiben da von: Ursprungs-
orte bis zum kleinen Haushalte in den Taschen der zahlreichen Mittelspersonen
zurück! Wenn des Arbeiters Hausstand das Fleisch nur annähernd zu dem


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[0548] Zur landwirtschaftlichen Notlage. das Gewerbe bei Zeiten sich angelegen sein lassen. Es gewährt dafür Trost, die gewaltigen Fortschritte zu überschauen, die der landwirtschaftliche Betrieb in den letzte» Jahrzehnten gemacht hat, wie rüstig und emsig daran weiter gear¬ beitet wird, und welcher Ausdehnung die Produktion bei intensiver Kultur noch fähig ist. Und gerade auf solche weitere Ausdehnung, wie auf Moorboden und in wenig entwickelten Gebieten, kommt es für unser reichbevölkertcs Vater¬ land wesentlich an, das mit allen Mitteln billigen Kapitals und hoher In¬ telligenz aufs beste ausgestattet ist. Ein schwerwiegendes Hindernis, das sehr deutlich eine mit der gröszern Produktion nicht Schritt haltende Konsumkraft bekundet und damit einem gleich¬ mäßigen Fortschritte entgegensteht, ist der Niedergang in den Erträgnisse» unsrer Viehzucht. Wenn man ins Auge faßt, wie innig ein blühender Landwirtschafts- betrieb mit der Entwicklung der Viehzucht, insbesondre der Aufzucht und Mästung, zusammenhängt, so ist dieser Übelstand tief beklagenswert; denn nur eine reichliche und billige Düngerproduktion ermöglicht anch wieder auskömm¬ liche, reiche Ernte». Gehen aber die Preise für die Produkte der Viehzucht derartig zurück, wie es in den letzten Jahren der Fall ist, dann erscheinen die Aussichten für eine Besserung der landwirtschaftlichen Zustände sehr getrübt. Ich mag hierbei noch gar nicht des unrettbar verloren gegangenen wichtigsten Zweiges derselben, der Schafzucht, dieses bedeutenden Gliedes der Viehhaltung auf leichtem Boden, besonders Erwähnung thun. Sie ist zu Grabe gegangen, wenigstens mit ihrer Rentabilität, durch die Konkurrenz des Auslandes in der Wollproduktion, und findet auch kein Auferstehen wegen der geringen Neigung des deutschen Volkes für den Verbrauch von Schaffleisch. Würde der Ver¬ brauch von Schaffleisch größer sei», so wie beim Engländer, so würden wir wenigstens auf leichtem Boden, der ganz wohl dafür geeignet ist, eine Fctt- vder Fleischschafzucht betreiben können. Die Hebung einer durch ihre mangelhafte Verwertung im Inlande be¬ schränkten Produktion durch den Export allein ist auf die Dauer nicht möglich; es muß zu einer Hebung des inländischen Verbrauchs kommen. Und daß eine solche in einem selbst bedeutenden Umfange für den Fleischverbrauch zu er¬ möglichen wäre, läßt sich bei allseitig thatkräftiger Unterstützung gewiß nicht in Abrede stellen. Es ist eine bekannte Thatsache, daß der zur Zeit so sehr aus¬ gedehnte Zwischenhandel ganz unerhörte Vorteile in Anspruch nimmt und die Preise, welche der Produzent löst, für den kleinen Konsumenten nahezu ver¬ doppelt. Noch mehr aber als beim Fabrikanten ist dies beim Landwirt der Fall, dem nicht wie jenem so vielfache Hilfsmittel zur Seite stehen, die ihm Kenntnis und Wege zur bessern Verwertung an die Hand geben. So ist es z. B. beim Mastvieh. Welche unermeßlichen Werte bleiben da von: Ursprungs- orte bis zum kleinen Haushalte in den Taschen der zahlreichen Mittelspersonen zurück! Wenn des Arbeiters Hausstand das Fleisch nur annähernd zu dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/548>, abgerufen am 25.08.2024.