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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur"landwirtschaftlichen" Notlage.

seiner eignen Thätigkeit abgeschlossen hat und hinter sich blickt auf ein langes,
arbeitsvolles Leben. Es hat ein halbes Jahrhundert im Dienste der Landwirt¬
schaft umfaßt, und mehr als vier Jahrzehnte davon waren der Bewirtschaftung
großer Pachtgüter für eigne Rechnung gewidmet. Mit frohem Mute und unter
günstigen finanziellen Verhältnissen begann ich. Die allerschwersten, ja beinahe
vernichtende Unglücksfälle, wie Mißernten, furchtbare Wasserschäden, großes
Viehheerden, Brandschäden u. s. w., führten aber binnen kurzem zur drangsal¬
vollsten Not, ans der nächst Gottes Hilfe nur durch eine mir unvergeßliche
Beihilfe mir ganz fernstehender Personen herauszukommen war. Dann endlich,
nach langen Jahren des Fleißes, gestaltete sich das wirtschaftliche Erträgnis
günstig, und ich kann jetzt beim Abschluß meines Lebens wohl sagen, es ist
mühselig und voll schwerer Arbeit, aber doch voll reichen Segens gewesen. Ich
schicke das voraus, um damit zu beweisen, daß ich wohl eigentlich wenig be¬
rechtigt bin, über die derzeitige Notlage unsrer Landwirtschaft und die Mittel zu
deren Abhilfe ein Urteil abzugeben. Es entspringt das aber auch einem ge¬
wissen Drange zur Dankbarkeit gegen das Fach selbst, dem ich von Geburt und
Familie fern stand, dem ich aber mit der Arbeit meine Befriedigung und in
rastloser Hingebung meine Erfolge verdanke. Ich stelle ferner, wie jeder vor¬
urteilsfrei denkende Mann, das landwirtschaftliche Gewerbe so überaus hoch,
daß ich es nicht für einen Schaden erachte, wenn ein Baustein, der zur
Befestigung desselben bestimmt ist, auch einmal unnötigerweise herzugetragen
werden sollte.

Des ganzen Staates Macht und Allgewalt, seine gesicherte Fortdauer be¬
ruht vorzugsweise auf dem Landbau, auf der von ihm in Anspruch genommenen
Bevölkerung und ihrer auskömmlichen Existenz. Militär und Beamtenstand
gehen meist aus ihm hervor und fußen auf ihm. Bei einem auf eigner Scholle
seßhaften oder auch erbpcichterisch befestigten, selbstthätig wirtschaftenden Grnnd-
besitzerstande, der alle Klassen vom kleinsten Häuslerstellenbesitzer bis zum größten
Großgrundbesitzer in auskömmlichen Verhältnissen gleichartig umfaßt, haben wir
die Sozialdemokratie nicht zu fürchten; namentlich dann nicht, wenn der va-
girendc ländliche Arbeiterstand und der leider auch einem fortwährenden Wechsel
unterliegende Pächterstand mit der Zeit zum Verschwinden gebracht werden
könnte. Einer Befestigung in den landwirtschaftlichen Verhältnissen bedarf es
aber dringend. Wenn eine solche erst erreicht sein wird und die ländliche Kultur
durch Kinder und Kindeskinder auf eigner Scholle munter fortgeht, dann haben
wir, bei einer sonst weisen gesetzgeberischen Fürsorge, keine andre Not zu er¬
warten, als solche, die in vorübergehender Heimsuchung von Gott kommt. Der
Staat und die gesamte bürgerliche Gesellschaft darf also den Landbau nicht
sinken lasten.

Es ist im allgemeinen und vorzugsweise in den beteiligten Kreisen selbst
wenig Neigung vorhanden, das Gewerbe von der Person zu trennen. Und doch


Grenzboten III. 1888. "8
Zur"landwirtschaftlichen" Notlage.

seiner eignen Thätigkeit abgeschlossen hat und hinter sich blickt auf ein langes,
arbeitsvolles Leben. Es hat ein halbes Jahrhundert im Dienste der Landwirt¬
schaft umfaßt, und mehr als vier Jahrzehnte davon waren der Bewirtschaftung
großer Pachtgüter für eigne Rechnung gewidmet. Mit frohem Mute und unter
günstigen finanziellen Verhältnissen begann ich. Die allerschwersten, ja beinahe
vernichtende Unglücksfälle, wie Mißernten, furchtbare Wasserschäden, großes
Viehheerden, Brandschäden u. s. w., führten aber binnen kurzem zur drangsal¬
vollsten Not, ans der nächst Gottes Hilfe nur durch eine mir unvergeßliche
Beihilfe mir ganz fernstehender Personen herauszukommen war. Dann endlich,
nach langen Jahren des Fleißes, gestaltete sich das wirtschaftliche Erträgnis
günstig, und ich kann jetzt beim Abschluß meines Lebens wohl sagen, es ist
mühselig und voll schwerer Arbeit, aber doch voll reichen Segens gewesen. Ich
schicke das voraus, um damit zu beweisen, daß ich wohl eigentlich wenig be¬
rechtigt bin, über die derzeitige Notlage unsrer Landwirtschaft und die Mittel zu
deren Abhilfe ein Urteil abzugeben. Es entspringt das aber auch einem ge¬
wissen Drange zur Dankbarkeit gegen das Fach selbst, dem ich von Geburt und
Familie fern stand, dem ich aber mit der Arbeit meine Befriedigung und in
rastloser Hingebung meine Erfolge verdanke. Ich stelle ferner, wie jeder vor¬
urteilsfrei denkende Mann, das landwirtschaftliche Gewerbe so überaus hoch,
daß ich es nicht für einen Schaden erachte, wenn ein Baustein, der zur
Befestigung desselben bestimmt ist, auch einmal unnötigerweise herzugetragen
werden sollte.

Des ganzen Staates Macht und Allgewalt, seine gesicherte Fortdauer be¬
ruht vorzugsweise auf dem Landbau, auf der von ihm in Anspruch genommenen
Bevölkerung und ihrer auskömmlichen Existenz. Militär und Beamtenstand
gehen meist aus ihm hervor und fußen auf ihm. Bei einem auf eigner Scholle
seßhaften oder auch erbpcichterisch befestigten, selbstthätig wirtschaftenden Grnnd-
besitzerstande, der alle Klassen vom kleinsten Häuslerstellenbesitzer bis zum größten
Großgrundbesitzer in auskömmlichen Verhältnissen gleichartig umfaßt, haben wir
die Sozialdemokratie nicht zu fürchten; namentlich dann nicht, wenn der va-
girendc ländliche Arbeiterstand und der leider auch einem fortwährenden Wechsel
unterliegende Pächterstand mit der Zeit zum Verschwinden gebracht werden
könnte. Einer Befestigung in den landwirtschaftlichen Verhältnissen bedarf es
aber dringend. Wenn eine solche erst erreicht sein wird und die ländliche Kultur
durch Kinder und Kindeskinder auf eigner Scholle munter fortgeht, dann haben
wir, bei einer sonst weisen gesetzgeberischen Fürsorge, keine andre Not zu er¬
warten, als solche, die in vorübergehender Heimsuchung von Gott kommt. Der
Staat und die gesamte bürgerliche Gesellschaft darf also den Landbau nicht
sinken lasten.

Es ist im allgemeinen und vorzugsweise in den beteiligten Kreisen selbst
wenig Neigung vorhanden, das Gewerbe von der Person zu trennen. Und doch


Grenzboten III. 1888. «8
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[0545] Zur"landwirtschaftlichen" Notlage. seiner eignen Thätigkeit abgeschlossen hat und hinter sich blickt auf ein langes, arbeitsvolles Leben. Es hat ein halbes Jahrhundert im Dienste der Landwirt¬ schaft umfaßt, und mehr als vier Jahrzehnte davon waren der Bewirtschaftung großer Pachtgüter für eigne Rechnung gewidmet. Mit frohem Mute und unter günstigen finanziellen Verhältnissen begann ich. Die allerschwersten, ja beinahe vernichtende Unglücksfälle, wie Mißernten, furchtbare Wasserschäden, großes Viehheerden, Brandschäden u. s. w., führten aber binnen kurzem zur drangsal¬ vollsten Not, ans der nächst Gottes Hilfe nur durch eine mir unvergeßliche Beihilfe mir ganz fernstehender Personen herauszukommen war. Dann endlich, nach langen Jahren des Fleißes, gestaltete sich das wirtschaftliche Erträgnis günstig, und ich kann jetzt beim Abschluß meines Lebens wohl sagen, es ist mühselig und voll schwerer Arbeit, aber doch voll reichen Segens gewesen. Ich schicke das voraus, um damit zu beweisen, daß ich wohl eigentlich wenig be¬ rechtigt bin, über die derzeitige Notlage unsrer Landwirtschaft und die Mittel zu deren Abhilfe ein Urteil abzugeben. Es entspringt das aber auch einem ge¬ wissen Drange zur Dankbarkeit gegen das Fach selbst, dem ich von Geburt und Familie fern stand, dem ich aber mit der Arbeit meine Befriedigung und in rastloser Hingebung meine Erfolge verdanke. Ich stelle ferner, wie jeder vor¬ urteilsfrei denkende Mann, das landwirtschaftliche Gewerbe so überaus hoch, daß ich es nicht für einen Schaden erachte, wenn ein Baustein, der zur Befestigung desselben bestimmt ist, auch einmal unnötigerweise herzugetragen werden sollte. Des ganzen Staates Macht und Allgewalt, seine gesicherte Fortdauer be¬ ruht vorzugsweise auf dem Landbau, auf der von ihm in Anspruch genommenen Bevölkerung und ihrer auskömmlichen Existenz. Militär und Beamtenstand gehen meist aus ihm hervor und fußen auf ihm. Bei einem auf eigner Scholle seßhaften oder auch erbpcichterisch befestigten, selbstthätig wirtschaftenden Grnnd- besitzerstande, der alle Klassen vom kleinsten Häuslerstellenbesitzer bis zum größten Großgrundbesitzer in auskömmlichen Verhältnissen gleichartig umfaßt, haben wir die Sozialdemokratie nicht zu fürchten; namentlich dann nicht, wenn der va- girendc ländliche Arbeiterstand und der leider auch einem fortwährenden Wechsel unterliegende Pächterstand mit der Zeit zum Verschwinden gebracht werden könnte. Einer Befestigung in den landwirtschaftlichen Verhältnissen bedarf es aber dringend. Wenn eine solche erst erreicht sein wird und die ländliche Kultur durch Kinder und Kindeskinder auf eigner Scholle munter fortgeht, dann haben wir, bei einer sonst weisen gesetzgeberischen Fürsorge, keine andre Not zu er¬ warten, als solche, die in vorübergehender Heimsuchung von Gott kommt. Der Staat und die gesamte bürgerliche Gesellschaft darf also den Landbau nicht sinken lasten. Es ist im allgemeinen und vorzugsweise in den beteiligten Kreisen selbst wenig Neigung vorhanden, das Gewerbe von der Person zu trennen. Und doch Grenzboten III. 1888. «8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/545>, abgerufen am 22.07.2024.