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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ans dem Leben Kaiser Wilhelms.

nicht gehört worden sei. ... Beide Parteien hatten von ihrem Standpunkte aus
unstreitig recht, und so lange sie Hand in Hand gingen ^wie es Bismarck wolltej,
wirkten sie vortrefflich. Wie peinlich aber mußte die Lage des Entscheidenden
werden, hier also des Königs, wenn sie in Konflikt mit einander gerieten." Wir
fügen hinzu, daß der Kanzler sich von da ab längere Zeit von den Generals-
vortrügcn fernhielt, und daß später, in Versailles, wieder ein Streit zwischen
ihm und dem Generalstabe ausbrach, der ihm ein Abschiedsgesuch nahe legte,
da der König dabei nicht für ihn Partei nehmen wollte.

Am 3. Mürz 1871, dem Tage der großen Parade der preußischen Garde
und eines Teiles der bairischen Truppen, die im Bois de Boulogne stattfand
und dem Einmärsche in Paris voranging, schien der Kaiser sehr bewegt darüber,
daß die Dinge sich so ganz anders gestaltet hatten, als er mit Vorliebe bedacht
^das foll vermutlich heißen, daß Bismarck aus Gründen weiser Politik auf eine
Besetzung nur eines Teiles von Paris, die überdies nur einige Tage dauern
sollte, eingegangen war, während der König und das Heer mehr gewünscht und
gehofft hatten^, und äußerte, als ihm ein Pariser Blatt vorgelegt wurde, das
dem Unvermeidlichen gegenüber zur Vernunft und Ruhe riet und die Hoffnung
aussprach, es werde nichts geschehen, was den Zorn der Preußen reizen könnte:
"Das habe ich ja immer gesagt, daß es so kommen und nicht das Geringste ge¬
schehen würde. Gott verzeihe denen, die es anders gemacht haben, als ich ge¬
wollt." Über die abscheuliche Gemeinheit und den Blutdurst, der sich in dem
ultraradikalen Blatte I,s ?örs DuvQssno aussprach, war der Kaiser empört und
meinte: "Wenn das so fortgeht, werden die Franzosen bald wünschen, daß wir
noch in den Forts wären." Von der bevorstehenden Parade sagte er: "Es
wird heute das erste mal sein, daß ich das ganze Gardekorps mit seiner Land¬
wehr beisammen sehe. Während meiner langen Dienstzeit hat sich das nie so
treffen wollen, und ich freue mich sehr aus den Anblick, der gewiß auch auf die
Truppe selbst einen großen Eindruck machen wird." Dann sprach er von seiner
baldigen Abreise, aber auch von vorheriger Besichtigung der sächsischen und
wttrttembergischen Truppen auf der Ostseite von Paris, da diese ja durch die
"neuen Arrangements" ^Bismarcks) um den Einmarsch in die Hauptstadt ge¬
kommen wären, und er ihnen doch seinen Dank aussprechen müsse.

Am 4. früh bat Schneider den Kaiser, ihm den Inhalt der Anrede, die er
nach Beendigung der Parade an die Generale und Stabsoffiziere gerichtet hatte,
zu diktiren, da es wünschenswert sei, daß man ihn genau und bald in der ge¬
samten Armee erführe, und dabei kam es zu einem charakteristischen Vorgange.
"Der Kaiser war sogleich damit einverstanden -- erzählt Schneider --, und
diktirte mir wie gewöhnlich rasch aus dem Gedächtnisse, sodaß ich nur einzelne
Worte und Sätze notiren konnte, deren Zusammenstellung er mir dann überließ.
Der Schluß lautete nach dem Diktat: "Vergessen wir aber nicht, daß wir alle
der Vorsehung unsern Dank schuldig sind, welche es gewollt hat, daß wir das


Ans dem Leben Kaiser Wilhelms.

nicht gehört worden sei. ... Beide Parteien hatten von ihrem Standpunkte aus
unstreitig recht, und so lange sie Hand in Hand gingen ^wie es Bismarck wolltej,
wirkten sie vortrefflich. Wie peinlich aber mußte die Lage des Entscheidenden
werden, hier also des Königs, wenn sie in Konflikt mit einander gerieten." Wir
fügen hinzu, daß der Kanzler sich von da ab längere Zeit von den Generals-
vortrügcn fernhielt, und daß später, in Versailles, wieder ein Streit zwischen
ihm und dem Generalstabe ausbrach, der ihm ein Abschiedsgesuch nahe legte,
da der König dabei nicht für ihn Partei nehmen wollte.

Am 3. Mürz 1871, dem Tage der großen Parade der preußischen Garde
und eines Teiles der bairischen Truppen, die im Bois de Boulogne stattfand
und dem Einmärsche in Paris voranging, schien der Kaiser sehr bewegt darüber,
daß die Dinge sich so ganz anders gestaltet hatten, als er mit Vorliebe bedacht
^das foll vermutlich heißen, daß Bismarck aus Gründen weiser Politik auf eine
Besetzung nur eines Teiles von Paris, die überdies nur einige Tage dauern
sollte, eingegangen war, während der König und das Heer mehr gewünscht und
gehofft hatten^, und äußerte, als ihm ein Pariser Blatt vorgelegt wurde, das
dem Unvermeidlichen gegenüber zur Vernunft und Ruhe riet und die Hoffnung
aussprach, es werde nichts geschehen, was den Zorn der Preußen reizen könnte:
„Das habe ich ja immer gesagt, daß es so kommen und nicht das Geringste ge¬
schehen würde. Gott verzeihe denen, die es anders gemacht haben, als ich ge¬
wollt." Über die abscheuliche Gemeinheit und den Blutdurst, der sich in dem
ultraradikalen Blatte I,s ?örs DuvQssno aussprach, war der Kaiser empört und
meinte: „Wenn das so fortgeht, werden die Franzosen bald wünschen, daß wir
noch in den Forts wären." Von der bevorstehenden Parade sagte er: „Es
wird heute das erste mal sein, daß ich das ganze Gardekorps mit seiner Land¬
wehr beisammen sehe. Während meiner langen Dienstzeit hat sich das nie so
treffen wollen, und ich freue mich sehr aus den Anblick, der gewiß auch auf die
Truppe selbst einen großen Eindruck machen wird." Dann sprach er von seiner
baldigen Abreise, aber auch von vorheriger Besichtigung der sächsischen und
wttrttembergischen Truppen auf der Ostseite von Paris, da diese ja durch die
„neuen Arrangements" ^Bismarcks) um den Einmarsch in die Hauptstadt ge¬
kommen wären, und er ihnen doch seinen Dank aussprechen müsse.

Am 4. früh bat Schneider den Kaiser, ihm den Inhalt der Anrede, die er
nach Beendigung der Parade an die Generale und Stabsoffiziere gerichtet hatte,
zu diktiren, da es wünschenswert sei, daß man ihn genau und bald in der ge¬
samten Armee erführe, und dabei kam es zu einem charakteristischen Vorgange.
„Der Kaiser war sogleich damit einverstanden — erzählt Schneider —, und
diktirte mir wie gewöhnlich rasch aus dem Gedächtnisse, sodaß ich nur einzelne
Worte und Sätze notiren konnte, deren Zusammenstellung er mir dann überließ.
Der Schluß lautete nach dem Diktat: »Vergessen wir aber nicht, daß wir alle
der Vorsehung unsern Dank schuldig sind, welche es gewollt hat, daß wir das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/543>, abgerufen am 22.07.2024.