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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.

Seite zu treten, weil sie dann den König über seinen Karten bemerken konnte.
Meine Bewegung mußte gesehen worden sein, denn der König blickte mich be¬
fremdet an. Als ich ihm aber erklärte, weshalb meine Frau dort war, trat
er an das Fenster, rief sie herbei, lehnte sich weit hinaus und sagte: "Gute
Nachrichten! Mein Sohn hat einen glänzenden Sieg erfochten. Soll alles
gleich bekannt gemacht werden. Geht alles nach Wunsch. Hoffentlich bringe
ich Ihnen Ihren Mann gesund wieder."

Aus den Tagen des böhmischen Feldzuges, an dem Schneider als Bericht¬
erstatter teilnahm, teilen wir noch folgende für den Charakter des Königs sprechende
Äußerungen mit. Am Tage nach der Schlacht bei Königgrätz sagte der König
zu ihm: "Berichten Sie nur Thatsachen. Keine Bemerkungen, namentlich nichts,
was den Feind erniedrigen könnte. Auch was Sie von unsern Verlusten er¬
fahren, geben Sie nur in Zahlen, keine Namen. Die können später kommen
und kommen doch immer noch zu früh." Schneider fragte: "Darf ich mir
noch eine Notiz erbitten? Eure Majestät sind mehrmals im Granatfeuer ge¬
wesen. Wo war das? Das muß die Armee am Main wissen." Er bekam
die Antwort: "Im Granatfeuer? Daß ich nicht wüßte! In einer so aus¬
gedehnten Schlacht fallen überall Granaten. Wie ich auf dem Hügel von Sadowa
über die Chaussee ritt, sah ich wohl einige fallen, und nachmittags bei dem Reiter¬
gefecht foci StreseW schlugen auch Granaten um uns her ein. Das versteht
sich aber ja ganz von selbst und braucht nicht besonders beschrieben zu werden."

In Brünn erschien ein Graf von der Recke-Volmarstein, der die Ab¬
sicht hatte, in Berlin für den Krieg eine Frcischar zu errichten, dabei auf
Schwierigkeiten gestoßen war und sich nun vom Könige selbst die Vollmacht
dazu erbitten wollte. Ob er überhaupt vorgelassen wurde, erfahren wir nicht,
bezweifeln es aber, da er im Frcischärlerkostüm, mit Revolvern im Gürtel und
sonst mit allem "volkstümlichen Zubehör" ausgestattet erschien. Sicher ist,
daß der König "offenbar nicht geneigt war, dergleichen zu gestatten. Er sprach
seine Verwunderung darüber aus, wo der Graf denn die Leute für ein solches
Korps hernehmen wolle, und betonte bei dieser Gelegenheit, anscheinend mit
besondrer Genugthuung, daß die gänzliche Abwesenheit aller Freiwilligkeit,
aller Begeisterung und aller abnormen Formationen ein charakteristisches Zeichen
dieses Krieges und der Vorbereitungen dazu sei. Weder Turner-, Schützen- und
Sänger- noch Handwerkervereine hätten sich zu Freischaren zusammengethan;
im Gegenteile, man hätte Petitionen um Erhaltung des Friedens unterschrieben,
Es wäre das Verdienst der preußischen Heeresvrganisativn, daß jeder Frei¬
willigkeit, jedem anerkennenswerten guten Willen schon im voraus der rich¬
tige Platz im Heere angewiesen und vorbereitet sei.. . . Gerade in der un¬
leugbaren Erscheinung, daß das Gefühl der Pflicht in ganz Preußen so fest
wurzele, daß trotz allgemeiner Unlust sich ein solches Heer ohne Lärm und
Gesang, ohne Gedichte und Reden habe aufstellen lassen, beruhe die Kraft des


Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.

Seite zu treten, weil sie dann den König über seinen Karten bemerken konnte.
Meine Bewegung mußte gesehen worden sein, denn der König blickte mich be¬
fremdet an. Als ich ihm aber erklärte, weshalb meine Frau dort war, trat
er an das Fenster, rief sie herbei, lehnte sich weit hinaus und sagte: „Gute
Nachrichten! Mein Sohn hat einen glänzenden Sieg erfochten. Soll alles
gleich bekannt gemacht werden. Geht alles nach Wunsch. Hoffentlich bringe
ich Ihnen Ihren Mann gesund wieder."

Aus den Tagen des böhmischen Feldzuges, an dem Schneider als Bericht¬
erstatter teilnahm, teilen wir noch folgende für den Charakter des Königs sprechende
Äußerungen mit. Am Tage nach der Schlacht bei Königgrätz sagte der König
zu ihm: „Berichten Sie nur Thatsachen. Keine Bemerkungen, namentlich nichts,
was den Feind erniedrigen könnte. Auch was Sie von unsern Verlusten er¬
fahren, geben Sie nur in Zahlen, keine Namen. Die können später kommen
und kommen doch immer noch zu früh." Schneider fragte: „Darf ich mir
noch eine Notiz erbitten? Eure Majestät sind mehrmals im Granatfeuer ge¬
wesen. Wo war das? Das muß die Armee am Main wissen." Er bekam
die Antwort: „Im Granatfeuer? Daß ich nicht wüßte! In einer so aus¬
gedehnten Schlacht fallen überall Granaten. Wie ich auf dem Hügel von Sadowa
über die Chaussee ritt, sah ich wohl einige fallen, und nachmittags bei dem Reiter¬
gefecht foci StreseW schlugen auch Granaten um uns her ein. Das versteht
sich aber ja ganz von selbst und braucht nicht besonders beschrieben zu werden."

In Brünn erschien ein Graf von der Recke-Volmarstein, der die Ab¬
sicht hatte, in Berlin für den Krieg eine Frcischar zu errichten, dabei auf
Schwierigkeiten gestoßen war und sich nun vom Könige selbst die Vollmacht
dazu erbitten wollte. Ob er überhaupt vorgelassen wurde, erfahren wir nicht,
bezweifeln es aber, da er im Frcischärlerkostüm, mit Revolvern im Gürtel und
sonst mit allem „volkstümlichen Zubehör" ausgestattet erschien. Sicher ist,
daß der König „offenbar nicht geneigt war, dergleichen zu gestatten. Er sprach
seine Verwunderung darüber aus, wo der Graf denn die Leute für ein solches
Korps hernehmen wolle, und betonte bei dieser Gelegenheit, anscheinend mit
besondrer Genugthuung, daß die gänzliche Abwesenheit aller Freiwilligkeit,
aller Begeisterung und aller abnormen Formationen ein charakteristisches Zeichen
dieses Krieges und der Vorbereitungen dazu sei. Weder Turner-, Schützen- und
Sänger- noch Handwerkervereine hätten sich zu Freischaren zusammengethan;
im Gegenteile, man hätte Petitionen um Erhaltung des Friedens unterschrieben,
Es wäre das Verdienst der preußischen Heeresvrganisativn, daß jeder Frei¬
willigkeit, jedem anerkennenswerten guten Willen schon im voraus der rich¬
tige Platz im Heere angewiesen und vorbereitet sei.. . . Gerade in der un¬
leugbaren Erscheinung, daß das Gefühl der Pflicht in ganz Preußen so fest
wurzele, daß trotz allgemeiner Unlust sich ein solches Heer ohne Lärm und
Gesang, ohne Gedichte und Reden habe aufstellen lassen, beruhe die Kraft des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/540>, abgerufen am 02.10.2024.